Ein Geheimnis war es auch bisher nicht, dass Nordkoreaner in Russland eingesetzt werden, und zwar nicht nur im Krieg. Voriges Jahr hatten Russland und Nordkorea ein Abkommen über eine „umfassende strategische Partnerschaft“ geschlossen. Im April bestätigte Pjöngjang auch erstmals die Truppenentsendungen zur Unterstützung des Kremls, nachdem Seoul und Kiew bereits Alarm geschlagen hatten.

Inzwischen kämpfen etliche tausend Soldaten aus Nordkorea gegen die Ukraine. Doch die strategische Partnerschaft umfasst auch Tausende „Wiederaufbaukräfte“ aus Nordkorea. Denn Russlands Männer sind oft entweder an der Front, tot oder desertiert. Im Land selbst verschärfte sich so der Arbeitskräftemangel enorm.

Untragbare Bedingungen

Die BBC konnte mit mehreren Nordkoreanern sprechen, die die Flucht aus Russland geschafft haben. Südkoreanische Regierungsbeamte, Forschende und Fluchthelfer bestätigten die Angaben. Die Arbeiter berichteten, dass sie meist auf Baustellen eingesetzt werden.

Ihre Lebensbedingungen seien entsetzlich, so die BBC am Dienstag. Sie seien Tag und Nacht auf den Baustellen isoliert und überwacht, schliefen in schmutzigen überfüllten Schiffscontainern voller Ungeziefer oder auf dem Boden unfertiger Wohnblöcke. Die Türen seien mit Planen abgedeckt, um die Kälte abzuhalten. Im Jahr hätten sie zwei Tage frei.

„Als würden wir sterben“

Einer der Arbeiter erzählte, dass er nach seiner Landung im fernen Osten Russlands von einem nordkoreanischen Sicherheitsbeamten vom Flughafen zu einer Baustelle begleitet wurde. Dieser befahl ihm, mit niemandem zu sprechen und nichts anzusehen. „Die Außenwelt ist unser Feind“, habe der Beamte gesagt. Er sei sofort auf der Hochhausbaustelle eingesetzt worden, mehr als 18 Stunden pro Tag.

Kim Jong Un und Wladimir Putin

AP/KNCA (Archivbild)

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Ein weiterer Interviewpartner sagte: „Manche verließen tagsüber ihren Posten, um zu schlafen, oder sie schliefen im Stehen ein. Aber die Aufseher fanden und schlugen sie. Es war wirklich, als würden wir dort sterben.“ Ein weiterer Mann erklärte, er habe sich beim Sturz von einem Baugerüst das Gesicht zerschmettert, habe aber nicht ins Krankenhaus gehen dürfen.

„Die Bedingungen sind wirklich miserabel“, so Kang Dong Wan, Professor an der südkoreanischen Dong-A-Universität. Er konnte in Russland mehrfach mit Nordkoreanern sprechen. „Die Arbeiter sind sehr gefährlichen Situationen ausgesetzt. Nachts wird das Licht ausgeschaltet, und sie arbeiten im Dunkeln, es gibt kaum Sicherheitsausrüstung.“

Seltene Flucht

Eine Flucht ist schwer. Nach einigen Vorfällen habe das nordkoreanische Regime strenge Überwachung veranlasst, so die BBC. Gehirnwäschesitzungen, in denen die Arbeiter ihre vermeintlichen Verfehlungen offenlegen und ihre Loyalität zu Machthaber Kim Jong Un bekunden müssen, würden durchgeführt, so Professor Kang. Die Baustellen zu verlassen sei nur noch in Gruppen möglich, damit nie jemand alleine ist, berichtete Kim Seung Chul. Der südkoreanische Aktivist hilft nordkoreanischen Arbeiter aus Russland heraus.

Einigen wenigen gelingt es doch, mit Hilfe. Einer der Arbeiter erzählte etwa, er habe sich zur Flucht entschlossen, als er im Internet erfuhr, wie viel Arbeiter in Südkorea verdienten. Eines Nachts habe er seine Habseligkeiten in einen Müllsack gepackt und eine Decke unter seine Tuchent gesteckt, um vorzugaukeln, es würde jemand im Bett schlafen. Nach einer Odyssee traf er einen Anwalt, der ihm weiterhalf, nach Seoul zu gelangen.

Mehr werden erwartet

Schon in früheren Jahren waren wiederholt Nordkoreaner im Arbeitseinsatz, bis die UNO das 2019 untersagte. Denn das Geld, das die Menschen dort verdienten, wanderte umgehend in die klammen Kassen des diktatorischen Regimes und dessen Atomwaffenproduktion.

Laut südkoreanischen Angaben wurden im vergangenen Jahr erneut mehr als 10.000 Arbeiter nach Russland geschickt. Und weit mehr werden noch erwartet. Seoul erwartet, dass sie bald auch bei Wiederaufbauprojekten in den von Russland besetzten ukrainischen Gebieten eingesetzt werden dürften.

„Russland leidet derzeit unter einem schweren Mangel an Arbeitskräften, und die Nordkoreaner bieten die perfekte Lösung. Sie sind billig, fleißig und geraten nicht in Schwierigkeiten“, wurde Andrei Lankow von der Kookmin-Universität in Seoul zitiert. Die Arbeiter blieben das „Erbe der Kriegsfreundschaft“ zwischen Kim und Kreml-Chef Wladimir Putin. Denn sie würden weiter nach Russland geschickt, auch wenn der Krieg irgendwann ende.