Neugründung der Franckeschen Stiftungen: Moderner Bildungskosmos
Noch im selben Jahr wurde die Institution als Stiftung neu gegründet, in den Wiederaufbau flossen 157 Millionen Euro, die Stadt, Land und Bund gemeinsam aufbrachten.
Der Wiederaufbau der Franckeschen Stiftung war eine gesamtstaatliche Leistung.
Thomas Müller-Bahlke, Direktor Franckesche Stiftungen Halle
Auch die EU habe Gelder gegeben, erinnert sich der scheidende Direktor, ebenso Privatpersonen, die Kirchen und andere Stiftungen, die 20 Millionen Euro beisteuerten. Deshalb könne man durchaus sagen, „dass der Wiederaufbau der Franckeschen Stiftungen eine gesamtstaatliche Leistung“ gewesen sei.
Bei der Übergabe der letzten drei sanierten Gebäude 2021 betonte Müller-Bahlke im MDR-Gespräch, dass damit kein Freilichtmuseum, sondern ein „moderner Bildungskosmos“ ganz im Sinne von Francke entstanden sei. Nicht weniger als „eine Universalreform der Gesellschaft durch breite Bildung und Erziehung zur Selbstverantwortung nach christlichen Maßstäben“ strebte der Pietist Ende des 17. Jahrhunderts an.
Gemeinsam mit Christoph Semler erfand er die „Realschule“. Mit allen Sinnen lernen, das war der neue Ansatz, so gehörten Experimente oder Exkursionen zum Lehrplan. Selbst gebaute Modelle zeigten, wie Maschinen funktionierten, wie Architektur gelang oder wie man sich das Weltall vorstellte.
Heute sind auf dem Areal der Franckeschen Stiftungen mit rund 50 Gebäuden Schulen, Kitas, Forschungsstätten und universitäre Einrichtungen ansässig. Es gibt Freizeit- und Betreuungsangebote für alle Generationen.
Die Entdeckung der Wunderkammer zu Halle
Bis zum „modernen Bildungskosmos“ war es ein langer Weg, Thomas Müller-Bahlke war von Anfang an mit dabei. Als Archivar und intimer Kenner der Geschichte führte er auch prominente Besucher wie den damaligen Außenminister Hans-Dietrich Genscher durch die Gebäude am Franckeplatz. Der gebürtige Hallenser war ein Unterstützer des Projekts und damals, im Herbst 1993, in Begleitung zweier Staatsgäste: Henry Kissinger und Michael Gorbatschow.
Durch sein Studium und sogar familiäre Bande bestens mit der Geschichte der Einrichtung vertraut, hatte er nach der sanierungsbedingten Schließung der Bibliothek begonnen, die Räume und Kammern im Gebäude zu erkunden. Dabei fand er nicht nur „das großartige Archiv mit zehntausenden von Manuskripten“, sondern auch eine fast vollständig erhaltene barocke Wunderkammer: Schränke voller Kuriositäten von tierischen Überresten bis zur Handwerkskunst aus aller Welt – zusammengetragen von wohlhabenden und adligen Menschen.
In den Schränken wurden die Objekte einst sortiert, um so auch die Welt in ein System zu bringen. So entstand zugleich ein reicher Fundus an Anschauungsobjekten für den Realschulunterricht in den Franckeschen Stiftungen. Heute sind nur wenige dieser Sammlungen erhalten. Kuriositäten aus der Wunderkammer zeigt derzeit die große Jahresausstellung.
Die Franckeschen Stiftungen in der Welt
Verdient gemacht hat sich Thomas Müller-Bahlke auch um die Ausstrahlung der Stiftungen über die Stadt Halle hinaus, indem er internationale Kooperationen anstieß, pflegte und ein Netzwerk vormoderner Museen anregte. So hat er beispielsweise die Verbindung in die südindische Stadt Tharangambadi wieder belebt. Im 17. und 18. Jahrhundert waren dort Francke-Schüler missionarisch tätig, darunter Bartholomäus Ziegenbalg, der in seinen Briefen nach Halle beklagte, wie die Europäer mit den Tamilen umgehen, dass sie Sklaverei betrieben. Auch die Städtepartnerschaft zwischen Savannah in den USA und Halle wurde durch Müller-Bahlke möglich.
Wie wichtig und bedeutsam die Franckeschen Stiftungen sind, sollte auch der Status als Unesco-Weltkulturerbe unterstreichen. Allerdings scheiterte 2015 der Versuch, in die Liste aufgenommen zu werden. Ein bitteres Kapitel, räumt Müller-Bahlke ein. Immerhin sei viel Mühe und Geld in die Bewerbung geflossen. Eine Institution wie die in Halle habe es schwerer als etwa Schloss Neuschwanstein oder der Kölner Dom – auch wenn sie als einzige bundesweit systematisch kulturelle Bildung und soziale Arbeit miteinander verschränke, wie er betont.
Die Franckeschen Stiftungen setzten vor 300 Jahren bahnbrechende pädagogische Ideen um.
Thomas Müller-Bahlke, Direktor Franckesche Stiftungen Halle
„Die Franckeschen Stiftungen sind vor allen Dingen wertvoll aufgrund ihrer bahnbrechenden Ideen, die sie vor über 300 Jahren in die Welt gesetzt haben und die bis heute fruchtbar gemacht werden können“, führt Müller-Bahlke weiter aus. Deshalb laufe aktuell ein neues Verfahren zur Anerkennung als Unesco-Weltkulturerbe. Bis zu einer Entscheidung wird es noch dauern. Falls es gelingt, wird es auch die Leistung des scheidenden Direktors sein.
Quelle: MDR KULTUR (Stefan Nölke), Franckesche Stiftungen, redaktionelle Bearbeitung: tsa, ks