Entlang der Strecke Chemnitz-Flöha-Pockau-Reitzenhain wird 2025 das 150-jährige Bestehen der einst grenzüberschreitenden Eisenbahntrasse gefeiert. Auch auf böhmischer Seite gilt ihr noch immer das Interesse.
Sebastiansberg. Von üppigem Grün überwucherte Grundmauern waren jetzt neuerlicher Treffpunkt gestandener Erzgebirger. Der trostlos wirkende Schauplatz des einstigen Bahnhofs in Hora Svaté Šebestiána (Sebastiansberg) übt noch immer für Milan Bachor, Frantisek Trux und Jan Kadlec seinen Reiz aus: beruflich mit der tschechischen Eisenbahn České dráhy (ČD) verbunden, kennen sie dessen wechselvolle Geschichte.
„Ungezählte Bilder habe ich mit meiner Praktika-Kamera vom Standort und der Trasse geschossen“, sagt Milan Bachor, selbst Lokführer und leidenschaftlich anerkannter Fotograf. „Der Heimat verbunden, verfolge ich, wie die Natur den einst florierenden Verkehrsweg überwuchert hat. Durch die Kontakte mit Kollegen kenne ich das Geschehen, den Niedergang. In den 1960er-, Anfang der 1970er Jahre wurden noch Schadwagen auf der längst unbedeutend gewordenen Strecke abgestellt. Denn die 1875 geschaffene, durchgängige Verbindung von Chomutov herauf über die Grenze hinüber ins sächsische Reitzenhain war als Folge des II. Weltkriegs im Mai 1948 zwischen diesen Stationen schon unterbrochen und von beiden Ländern stillgelegt worden“, so der Böhme.
„Sebastiansberg wurde noch bis 1959 als Verlade- und Endstation betrieben. Damals transportierten wir Holz und Torf. Der Personenverkehr war auf die Straße gewechselt“, fügt Frantisek Trux hinzu, der selbst als Zugführer im Betriebsdienst hier unterwegs war. „Schließlich wurde der Verfall immer größer und das endgültige Aus der Strecke folgte im Oktober 1972. Die gesamte, in Krima von der Strecke Chomutov – Vejprty abzweigende 14,5 Kilometer lange Trasse mit Endpunkt Reizenhain wurde in den Jahren 1985–1987 abgebaut. Es finden sich nur noch Einschnitte der Bahndämme, verrottete Schwellen, einige Brückenwiderlager und, wie in Sebastiansberg Bahnwärterhäuschen. Teile der Anrainerfläche sind auch im Einzugsbereich der Talsperre geflutet worden“, berichtet der 69-Jährige.
Dieses Weichenwärterhäuschen steht noch in Sebastiansberg. Foto: Uwe Schulze
Mit Jan Kadlec weiß ein dritter der Runde aus eigenem Erleben, welch wichtiges Unterfangen diese Bahnverbindung einst darstellte. „Die wirtschaftliche Bedeutung war enorm. Dass das sächsische Chemnitz als Wirtschaftsstandort mit dem englischen Manchester verglichen wurde und Mitteldeutschland prosperierte, basiert gerade aus der Zulieferung der hiesigen Braunkohle. Aus Böhmen kam der Energieträger der Zeit“, so der 91-jährige Autor dreier renommierter Fachbücher zur Eisenbahngeschichte im Erzgebirge, darunter jener zwischen Křimov – Reitzenhain.
„Aus diesem Zwecke war zunächst die bereits 1872 eröffnete Trasse über den Erzgebirgskamm als älteste zwischen Vejprty (Weipert) nach Chomutov (Komotau) begründet worden. Die enorme Nachfrage nach Kohle und der wirtschaftliche Austausch begründeten den Bau dieser Verbindungen. 1906 beispielsweise wurden über die Grenzübergänge Weipert und Reitzenhain knapp 500.000 Tonnen Braunkohle aus dem nordböhmischen Revier herauftransportiert“, so der Absolvent der Eisenbahn-Universität Prag, der später als Abteilungsleiter in der regionalen Verkehrsbehörde in Chomutov beruflich mit dieser einstigen Lebensader betraut war.
Ein Brückenwiderlager zwischen Sebastiansberg und Reitzenhain. Einst gab es drei Stahlkonstruktionen auf diesem Stück. Foto: Uwe Schulze
„Die Buštěhrader-Eisenbahngesellschaft erhielt die Konzession und war Betreiber der eingleisigen Strecken. Die von Chomutov über Krima nach Reitzenhain führende, betrugt reichlich 37 Kilometer und wurde drei Jahre später gebaut, war aber kürzer als jene über die Route Weipert -Krima“, so Kadlec. Aus diesem Grund und der geringeren Steigung sowie der größere Achslastfähigkeit wurde sie zur wichtigeren Verbindung im Grenzverkehr. Der Bahnhof Reitzenhain entwickelte sich dabei zum bedeutenden Knotenpunkt der zugleich am schnellsten zu befahrenden Trasse zwischen Leipzig und Prag, zwischen Süd- und Nordeuropa. Von 1938 bis 1945 befuhr die Strecke Komotau-Chemnitz sogar ein Schnellzugpaar, der früh im Egertal startete und abends zurückgekehrt war.
„Das 2025 gefeierte Streckenjubiläum verfolgen wir ebenso mit Aufmerksamkeit“, so Jan Kadlec, der zurückliegend wie im Kulturhaus Steinbach wiederholt Vorträge dazu hielt. Auch ein Stammtisch bringt die tschechischen Lokführer noch regelmäßig einmal im Monat zusammen. (hy)
Tipp: 22. bis 24. August: Bahnfest am Bahnhof Reitzenhain:
Geführte Rundgänge über das ehemalige Bahnhofsgelände, Ausstellung zum Grenzbahnhof Reitzenhain und der Strecke bis Krimov, Vorträge, Buchlesungen, Bus-Pendelverkehr zwischen Bahnhof Reitzenhain und Krimov (Tschechien).