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Mehrere EU-Staaten fordern umfassende Chatkontrollen. Nach dem ersten Entwurf könnten alle Privatnachrichten überwacht werden. Betroffen wäre beispielsweise auch WhatsApp.
Schon seit Jahren wird auf EU-Ebene über eine sogenannte Chatkontrolle diskutiert. Zuletzt waren entsprechende Verhandlungen unter anderem an Deutschland gescheitert, doch wie die neue Bundesregierung dazu steht, ist noch unklar. Jetzt nehmen die Befürworter einen erneuten Anlauf. Dabei geht es um die Massenüberwachung privater Chats – auch ohne konkreten Verdacht. Das Ziel: der Schutz von Kindern vor sexualisierter Gewalt. Kritiker halten dieses Argument für vorgeschoben. Effektiver Kinderschutz sehe anders aus – stattdessen wären Grundrechte in Gefahr. Wie realistisch ist das Vorhaben wirklich?
EU-Gesetz für Massenüberwachung – Kommt jetzt die Chatkontrolle bei WhatsApp & Co.? © amethyststudio / Montage: Ingame
Aktuell möchte vor allem Dänemark das Thema wieder auf den Tisch bringen. Das Land hat bis Ende 2025 die sechsmonatige Präsidentschaft des EU-Rats inne. Die Chatkontrolle ist dabei eine der selbsterklärten Prioritäten. In der Praxis sollen Kommunikationsdienstleister, darunter Messenger-Apps wie WhatsApp oder E-Mail-Anbieter, sämtliche Privatchats auf strafbare Inhalte scannen. Insgesamt 15 EU-Mitgliedsstaaten gelten als wahrscheinliche Befürworter der Maßnahme. Gerüchteweise wird der Oktober als möglicher Entscheidungsmonat im Rat angepeilt.
Das sind die Probleme der EU-Verordnung zur Chatkontrolle
Die betreffende Verordnung wurde erstmals 2022 von der EU-Kommission unter ihrer Präsidentin Ursula von der Leyen vorgeschlagen. Sie ist auch als „CSAM-Verordnung“ bekannt, wobei CSAM für „Child Sexual Abuse Material“ steht, also Darstellungen von Kindesmissbrauch. Verdächtige Inhalte in Privatchats sollen automatisiert gefunden und umgehend gemeldet werden. Dabei geht es nicht nur um Fotos und Videos, sondern auch um sogenanntes „Grooming“ – Chats, die Pädokriminelle mit Minderjährigen führen.
Durch „Client-Side-Scanning“ sollen auch Chats mit Ende-zu-Ende-Verschlüsselung unter die geplante Verordnung fallen. Das bedeutet, dass eine Überwachungssoftware direkt auf dem Gerät der Nutzer installiert ist. In der Praxis wäre sie wohl KI-basiert und in Messenger-Apps integriert. Es gäbe also eine Hintertür, durch die die Verschlüsselung jederzeit ausgehebelt werden kann. Private Bilder und Nachrichten müssten von einer künstlichen Intelligenz interpretiert werden. Vollkommene Privatsphäre im digitalen Raum gäbe es de facto nicht mehr.
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Kritiker verweisen auf die hohen Fehlerquoten der heutigen Software-Lösungen. Millionen Menschen könnten zu Unrecht des Kindesmissbrauchs beschuldigt werden. Im schlimmsten Fall könnten z.B. persönliche und unproblematische Strandfotos an Mitarbeiter von Behörden gelangen. Scharfe Kritik kommt unter anderem von netzpolitik.org und der Gesellschaft für Freiheitsrechte. Der Plan sei „mit Grundrechten unvereinbar“ ist auf der Website der GFF zu lesen.
Wird die Chatkontrolle tatsächlich kommen?
Damit das Gesetz durchkommt, müssten der Rat der EU und das Europaparlament ihm mehrheitlich zustimmen. Da die CSAM-Verordnung kontrovers ist, wird sie im Trilog-Verfahren verhandelt. EU-Parlament, Rat und Kommission versuchen demnach, einen Kompromiss zu finden. Das EU-Parlament hat sich 2023 klar gegen eine Massenüberwachung ausgesprochen. Die Ampel-Koalition hatte das Vorhaben 2024 im EU-Rat blockiert, doch unter der Regierung Merz könnte sich das ändern. Gerade in CDU und CSU gibt es eine gewisse Offenheit für KI-basierte Überwachung. Eine einheitliche Position hat die aktuelle Bundesregierung noch nicht.
Auch im Europaparlament haben sich die Machtverhältnisse nach der Wahl 2024 deutlich nach rechts verschoben. Im Juli hatte netzpolitik.org über ein sogenanntes Schattentreffen berichtet. Javier Zarzalejos, Vorsitzender des Innenpolitik-Ausschusses des Parlaments, hatte vornehmlich Befürworter der Chatkontrolle eingeladen. Für die Kritiker der Maßnahme wird die Luft also zunehmend dünner.
Inzwischen regt sich allerdings Widerstand. Am 06.08.2025 veröffentlichte z.B. die Initiative „Fight Chat Control“ eine eigene Website. Sie fordert EU-Bürgerinnen und -Bürger dazu auf, sich mit Bedenken direkt an Parlamentsabgeordnete zu wenden. Hier geht es zu einem Kommentar zur Chatkontrolle von unserem Redakteur Daniel Roßbach. Dort geht es nochmal ausführlicher darum, weshalb die Chatkontrolle Grundrechte verletzt. Bereits 2024 positionierten sich Linke, Grüne und FDP zur CSAM-Verordnung.