Ein Gesamtkunstwerk in der Reformationskirche in Köln-Marienburg. Auf der Leinwand vor dem Altarraum lief „Faust – eine deutsche Volkssage“. Kombiniert wurde die „gewaltige Bildsprache“ des 1926 uraufgeführten Stummfilms mit einer eindrucksvollen aktuellen Tonsprache. Mit dem Kirchenmusiker Samuel Dobernecker sowie dem Stimm- und Elektronikkünstler Manfred Rücker alias Ketonge begleiteten auf der Empore zwei Musiker das dramatische Geschehen in bester Manier – kommentierend, erzählend, Stimmungen verstärkend, Spannung erzeugend. Fast zweieinhalb Stunden Bild, Schrift und Klang. Eine dichte Atmosphäre vom Anfang bis zum Ende.
Dr. Katrin Winter und Jörg Gerle führen in das Stummfilmkonzert ein.
Damit fand die Reihe der sommerlichen Stummfilmkonzerte der Evangelischen Kirchengemeinde Köln-Bayenthal ihre erfolgreiche Fortsetzung. Aufgeführt wurde ein expressionistischer Klassiker des Regisseurs Friedrich Wilhelm Murnau (1888–1931). Darin finden sich miteinander verwebt Motive des Volksbuchs der Historia des Doktor Johann Fausten, der Dramatisierung von Christopher Marlowe und der Tragödie von Johann Wolfgang von Goethe.
„Der Wunder Grösstes ist die Freiheit des Menschen: Zu wählen zwischen Gut und Böse.“
In „Faust“ schließt der gleichnamige Gelehrte einen Pakt mit dem Teufel. „Die Frage, ob der Mensch Gut und Böse unterscheiden kann und ob er wirklich in der Lage ist, dem Bösen zu widerstehen, führt uns am bekannten Stoff direkt in die großen Konflikte unserer Zeit“, hob Dobernecker schon in einer Terminankündigung auf die Zeitlosigkeit des Themas ab. In einem Zwischentitel des Films preist Faust: „Wunderbar sind alle Dinge des Himmels und der Erde! Doch der Wunder Grösstes ist die Freiheit des Menschen: Zu wählen zwischen Gut und Böse.“
„Ich ringe Gott die Seele Faustens ab!“
Im Prolog wirft der strahlende Erzengel Michael dem düsteren Mephisto entgegen: „Was geißelst Du die Menschheit mit Krieg, Pest, Hungersnot?!“ Dieser erwidert: „Mein ist die Erde.“ Der Erzengel: „Nie wird die Erde Dein sein! Der Mensch ist gut: Sein Geist strebt nach der Wahrheit!“ Der Dämon solle sich nur Faust ansehen. „Seine Seele strebt nach dem Höchsten und wenn Du sie gewinnst, so ist die Erde dein!“ Dem Bösen widerstehe kein Mensch, so Mephisto: „Was gilt die Wette: Ich ringe Gott die Seele Faustens ab!“ Am Schluss muss der Teufel seine Fehleinschätzung eingestehen.
Seit 2018 Stummfilmkonzerte in der Reformationskirche
Seit 2018 lade der Gemeinde-Kantor Samuel Dobernecker fast jährlich einen Musiker ein, mit ihm zusammen einen Stummfilm zu begleiten, informierte Pfarrer André Kielbik in seiner Begrüßung. Diesmal habe er den Stimm- und Elektronikkünstler Ketonge gewinnen können. Kielbik freute sich auch über die organisatorische Zusammenarbeit mit Christian Schmalz. Er ist Betreiber des OFF Broadway sowie des Weisshaus Kinos.
Filmreferentin Winter und Filmjournalist Gerle führten ein
Bevor die Besuchenden sich von den visuellen und akustischen Darbietungen gefangen nehmen ließen, brachten ihnen Dr. Katrin Winter und Jörg Gerle den Film, Regisseur sowie die beiden Musiker etwas näher. Murnau sei mit Fritz Lang und Ernst Lubitsch sicherlich einer der bekanntesten deutschen Stummfilm-Regisseure, leitete die Filmreferentin ein. Wie der Filmjournalist Gerle ist sie unter anderem in der Filmvermittlung der Kinos OFF Broadway sowie Weisshaus tätig.
Vor mehr als hundert Jahren habe der deutsche Film international ein großes Ansehen genossen, blickte Winter zurück. Der in die bürgerliche, wohlhabende Familie Plumpe in Bielefeld hineingeborene Friedrich Wilhelm habe eher künstlerische Ambitionen verfolgt und Schauspiel studiert. Als Schauspieler habe er seinen Zunamen geändert und sich nach dem schönen bayerischen Ort Murnau benannt. Sein erster in den USA inszenierter Film „Sunrise“ (1927) habe bei der Premiere „Academy Awards“ (Oscar-Verleihung) drei Auszeichnungen erhalten.
Zwischentitel machen Handlung im Film verständlicher
Auf der Leinwand in der Reformationskirche: Szene in „Faust – eine deutsche Volkssage“.
In den meisten Stummfilmen würden viele Dinge durch geschriebene Zwischentitel erläutert. „Die Handlung soll dadurch verständlicher werden, die Motivation der Charaktere“, so Winter. Die verwendete altdeutsche Frakturschrift sei nicht immer leicht zu lesen. Ansonsten helfe die Musik weiter im Verständnis dieses Films. Die Musiker hätten zwar geprobt, sagte Winter, gleichwohl sei auch Improvisation dabei. „Was wir hören und sehen werden ist ein einmaliges Ereignis.“ Das mache die Sache natürlich umso spannender für alle von uns.
„Quasi weltpremierenhafte“ Aufführung
Es grenze an ein Wunder, dass man einen solchen Film hier sehen könne, so der unter anderem für das Online-Portal filmdienst.de schreibende Filmjournalist und -kritiker Gerle. Es sei alles andere als selbstverständlich, dass solche Filme überhaupt noch existierten, ging er auf die Produktionsbedingungen und das sehr brennbare, schwer lagerfähige Filmmaterial Zelluloid ein. Es habe zahlreicher „Indiana Jones´“ bedurft, „um in Archiven oder eingestaubten Kirchenräumen, wo seinerzeit die Filme auch vorgeführt wurden, alte Kopien zu entdecken“. Produktionen wie „Faust“ seien damals für Aufführungen auch im Ausland gedoppelt worden. „In der Regel lichteten dafür zwei Kameras gleichzeitig die Schauspieler ab.“ Gerle findet es gut, „dass wir den Film jetzt in einer neuen Musikbearbeitung zu sehen bekommen, die quasi weltpremierenhaft ist.“
Samuel Dobernecker
Dobernecker bekleide seit 2016 die Kantorenstelle der Bayenthaler Kirchengemeinde, so Winter. Seit 2024 fungiere der 38-Jährige zudem als Kreiskantor des Evangelischen Kirchenkreises Köln-Süd. Gebürtig im sächsischen Vogtlandkreis habe er früh auch die zeitgenössische Musik schätzen gelernt. Dobernecker arbeite grundsätzlich in verschiedenen interreligiösen Projekten und verfüge in seinem musikalischen Ausdruck über ein ziemlich breites Spektrum.
Ketonge
Manfred Rücker alias Ketonge, Jahrgang 1974, stellte Winter als einen „Vertreter der Low-Budget-, Trash- und Improvisations-Elektronik sowie der Klang-Bildhauerei“ vor. „Das finde ich spannend. Das klingt nach Abenteuer.“ Noch bevor Ketonge ab 1995 Kunst, Musik und Psychologie studiert habe, „baute er 1990 ein erstes Studio aus Sperrmüll-Elektronik“. Der freie Komponist und Filmkomponist, Klang- und Medienkünstler experimentiere mit verschiedenen Instrumenten und seiner eigenen Stimme.
Text: Engelbert Broich
Foto(s): Engelbert Broich