Kurz vor der Jahrtausendwende erschien mit „Agnen – A Journey Through The Dark“ das zweite Werk von KEEP OF KALESSIN. Was wie die logische Fortsetzung des Debüts „Through Times Of War“ klang und von außen wie die Konsolidierung einer aufstrebenden und talentierten Band wirkte, sollte in Wirklichkeit deren temporäres Ende markieren.
Logische Folge und temporäres Ende
Aber der Reihe nach: Das norwegische Quartett KEEP OF KALESSIN stand 1997 plötzlich mit seinem Debüt auf der Matte und setzte mit dem darauf zelebrierten Black Metal direkt eine Duftmarke. Ihre Instrumente hatten die Jungs im Griff, und da sie textlich weder Beelzebub und Co. huldigten noch in die Wikinger-Kerbe schlugen, konnten sie frei von Vorbildern aufspielen. Natürlich erfanden sie mit ihrem von Tremoloriffs angetriebenen und stark verhallten Black Metal das Rad nicht neu, aber die Verwandschaft zu damals angesagten Bands wie DIMMU BORGIR, IMMORTAL oder DARK FUNERAL war doch eher ungefähr als konkret.
Dazu kam die textliche Auseinandersetzung mit Ursula K. Le Guins „Earthsea“-Trilogie. Viele Songtexte der Band beziehen sich auf diese Buchreihe, und auch der Bandname ist eine Referenz an eine darin vorkommende Figur, den ältesten und gefürchtetsten Drachen der Erde, Kalessin. Das Höllenfeuer oder fröhliches Feiern in Valhall blieben hingegen außen vor.
Never change a winning team
Bereits ein Jahr nach Veröffentlichung von „Through Times Of War“ kehrten Obsidian C., Vyl, Ghâsh und Warach wieder ins Brygga Studio in ihrer Heimatstadt Trondheim, um die Songs für das Nachfolgealbum aufzunehmen. Never change a winning team – immerhin hatte das Debüt einen starken, verhallten Black-Metal-Sound verpasst bekommen. Trotzdem klingt „Agnen – A Journey Through The Dark“ dezent anders: weniger verhallt, das Schlagzeug präsenter, der Sound insgesamt direkter.
Musikalisch stehen die beiden Alben aber in einer logischen Reihe: Es dominiert in den acht teils langen Songs (der abschließende Titeltrack läuft schließlich bei 11:34 Minuten ein) mal rasend schneller, dann im Midtempo voranschreitender Black Metal. Drummer Vyl leistet ganze Arbeit und aktiviert gerade im Bass-Bereich mit flirrend schnellen Passagen den Turbolader. Gitarrist Obsidian C. setzt auf flottes Tremolopicking, das sich mit Arpeggien abwechselt, wenn er nicht gerade mit einem verwinkelten Manöver den Song in eine andere Richtung stößt. Bassist Warach agiert eher unter der Gitarrenkruste, schüttelt sich aber einige hörenswerte Bassläufe aus dem Handgelenk, und Sänger Ghâsh klingt so kompromisslos hasserfüllt wie eh und je – seine Rolle wird im CD-Booklet passenderweise als „Plague Carrying“ angegeben.
Um bei den flotten Songs für memorable Momente zu sorgen, setzt die Band in einzelnen Passagen flächige Keyboards ein – das kennen wir ja schon vom Debütalbum. Außerdem gibt es beim Track „Orb Of Man“ einen sonoren Backgroundchor, mit dem man beim Durchschnaufen mitbrummen kann.
„Agnen“: Plague Carrying und verwinkelte Manöver
Unterm Strich funktioniert „Agnen – A Journey Through The Dark“ in seiner Gesamtheit und überzeugt durch seinen Sound, seine Kompromisslosigkeit und eine ganze Reihe von rasiermesserscharfen Gitarrenriffs. Einzelne Hits zu lokalisieren, wie das beim Debüt noch der Fall war, ist dagegen schwieriger – am ehesten entwickeln „Dryland“ und „Dragonlord“ das Potential dazu, sofern man bei Black Metal überhaupt davon sprechen möchte. Trotzdem oder gerade deshalb gehen bei „Agnen“ beide Daumen nach oben.
Womit wir beim Stichwort sind, denn bei KEEP OF KALESSIN drehten die Daumen zu dieser Zeit langsam nach unten: Zunächst kam „Agnen – A Journey Through The Dark“ erst im Oktober 1999 und damit mit ein paar Monaten Verzögerung in die Läden; dafür machte die Band das Label Avantgarde Music verantwortlich. Dann wurden in der im Booklet abgedruckten Tracklist gleich mehrere Songs vertauscht, und als hätte das noch nicht genug Verwirrung gestiftet, waren von den nominell vier Bandmitgliedern nur Gitarrist Obsidian C. und Drummer Vyl mit Foto abgebildet.
Das entsprach allerdings den Realitäten, denn kurze Zeit nach Veröffentlichung hatten die Bandmitglieder die Schnauze voneinander voll und gingen getrennte Wege. KEEP OF KALESSIN waren erst einmal Geschichte. Obsidian C. heuerte in der Liveinkarnation von SATYRICON an, Warach gründete seine Band ANTARES PREDATOR, Ghâsh sollte schließlich mit APTORIAN DEMON weitermachen.
KEEP OF KALESSIN und die Realität
Rückblickend sollte der Split allerdings weniger lang dauern, als es zunächst den Anschein hatte: Arnt Grønbech a.k.a. Obsidian C. startete unter altem Namen neu durch und holte sich für die 2003 erschienene EP „Reclaim“ prominente Unterstützung ins Studio: Da stand dann Vokalakrobat Attila Csihar (MAYHEM) am Mikrofon und Überschalldrummer Frost (SATYRICON) nahm hinter den Kesseln Platz. Das sollte allerdings nur der Anfang der zweiten Inkarnation von KEEP OF KALESSIN sein, die anscheinend auch nach dem 2023er-Werk „Katharsis“ noch lange nicht ihr Pulver verschossen hat.