Zu einem Urlaub in südlichen Gefilden gehört fast zwingend der Besuch eines Marktes oder einer Markthalle. Um sich staunend am Lokalkolorit und den heimischen Erzeugnissen zu erfreuen. Doch weshalb in die Ferne schweifen, wenn quasi vor der Haustür ein Prachtbau wartet, mit einem Warenangebot, das sich nur schwer übertreffen lässt.

Ob Trüffel aus Italien, Kaviar aus dem Iran, Geflügel aus Frankreich oder Tee aus Indien, ob Pferde- und Bisonfleisch, Austern und Seeteufel, Käse, Brot- und Backwaren, ob Gewürze aus aller Herren Länder, Kaffee, Kräuter oder Imkereiprodukte; die Spezialitäten und Delikatessen sprechen alle Sinne an, die Markthalle ist ein Palast aus Farben, Gerüchen und Geschmack. Das war in gewisser Weise schon immer so, auch wenn diese Stuttgarter Institution steter Veränderung unterliegt.

Wurstwaren aus ganz Deutschland

„Früher kam hier eher die schwäbische Hausfrau zum Einkaufen“, sagt Sabine Krause, ihr gehört der Stand „Wurstliebe by Gustav Breyer“, den es schon seit mehr als 100 Jahren gibt. Breyer hat damals seine Waren noch draußen auf dem Wochenmarkt verkauft, als dann 1914 unweit der Stiftskirche die Markthalle eingeweiht wurde, zog er um. In ein architektonisches Unikat, das längst unter Denkmalschutz steht. Gebaut nach den Plänen des Architekten Martin Elsässer, ein Jugendstilbau mit einer Konstruktion aus Stahlbetonträgern und einer von einem Glasdach überspannten Halle. Außen trutzig und elegant zugleich mit Arkaden, Erkern und Türmchen, innen luftig, hell und funktional.

Sabine Krause betreibt in der Markthalle Stuttgart den Stand Wurstliebe, den es schon seit mehr als 100 Jahren gibt. Bild vergrößern

Sabine Krause betreibt in der Markthalle Stuttgart den Stand Wurstliebe, den es schon seit mehr als 100 Jahren gibt. (Foto: Dirk Grupe)

Sabine Krause hat dort Breyers ursprüngliches Konzept beibehalten, mit Wurstwaren ausschließlich aus Deutschland, ob aus Thüringen, Braunschweig oder dem Allgäu, von mehr als 20 Lieferanten aus dem ganzen Land. Und auch ihre vielen Stammkunden „nehmen weite Wege auf sich, die kommen aus Böblingen, Esslingen oder sonst woher“, sagt sie. Und sie investieren nicht nur ihre Zeit. „Ich könnte meine Ware auch von einem großen Fleischhändler beziehen, das wäre billiger“, sagt die Inhaberin über das Preisniveau. „Aber ich habe lieber meine kleinen Lieferanten, bei denen ich weiß, woher das Schwein stammt. Deshalb ist die Markthalle nicht teuer, weil es die Markthalle ist, sondern weil es auch um die Qualität geht.“

Austern und Schampus am Mittag

Unter dem Glasdach treffen sich Menschen verschiedenster Couleur, gerade mittags, wenn sich die Angestellten schnell bei den Bäckern Baier oder Reimann versorgen, oder beim Italiener ein Panino mit Parmaschinken holen. Andere schlürfen Austern und trinken dazu Schampus, an Geld für den Hochgenuss fehlt es vielen Kunden nicht. Auch das war nicht immer so, wie Gastronom Holger Looß weiß. „Früher gab es ausländische Stände und die waren eigentlich für die Gastarbeiter.“ Ein Türkenstand für die Türken, ein Ungarnstand für die Ungarn, ein Jugoslawenstand für die Jugoslawen, und natürlich Kartoffeln, Kopfsalat und Maultaschen für die Deutschen. Looß hat damals den ersten Gourmetstand eröffnet mit italienischen Speisen, eine Bude mit Stehtischen oben auf der Empore. „Die Markthändler haben uns ausgelacht, in vier Wochen seid ihr weg, hieß es, weil es damals vor allem um die Versorgung ging.“

Gastronomische Vielfalt unterm Glasdach

Mehr als 30 Jahre später ist das Restaurant Empore ein Treffpunkt für Genießer, auf der Speisekarte stehen Bavette Tutto Mare, Bandnudeln mit Calamari, Sepia, Schrimps und Muscheln, oder Paillard con Finferli, kleine Kalbsschnitzel vom Grill mit Kräuterpfifferlingen. Gastronomie ist heute in der Markthalle ein zentrales Thema. Irgendwann hat Looß auch den Fischhändler übernommen und um eine Austern- und Champagnerbar erweitert, sich mit einer spanischen Tapasbar einen Traum erfüllt. Heute betreibt er zusätzlich noch das Marktstüble. „Das war ursprünglich nur eine kleine Wärmestube für die Marktleute.“ Heute hat es 110 Sitzplätze für den „schwäbischen Feinschmecker“, der Zwiebelrostbraten oder warme Ofenschlupfer mag.

Auch Möbel und Blumen im Angebot

Inzwischen wurde die Markthalle, die über eine GmbH der Stadt gehört, auch um einen gastronomischen Außenbereich, einen Balkon und hohe Fenster an einer Seite erweitert. Und im Obergeschoss bietet Merz & Benzing Möbel, Blumen und Accessoires an.

Den Wandel wollte oder konnte aber nicht jeder mitmachen, die Zahl der Stände liegt heute bei etwas mehr als 30. Allerdings loben die Anbieter nach wie vor das gute Verhältnis untereinander und auch das zum Kunden. „Die Leute kaufen hier bewusster ein und sie bringen Zeit mit“, bestätigt Sabine Krause. Und Safar aus Persien (Guschee-Feinkost), der Essig, Öle, Datteln und Kaviar verkauft, betont: „Drei Dinge sind wichtig: Qualität, Beratung und Vertrauen. Die menschliche Begegnung ist dabei die höchste Stufe.“ Ein Dreiklang, mit dem die Markthalle auch die nächsten 100 Jahre bestehen kann?

„Das Gebäude hoffentlich schon. Ob das Konzept weiter so funktioniert, da bin ich gespannt“, sagt Holger Looß. Was den Gastronomen umtreibt: „Ich hoffe, dass sich die Markthalle nicht zu einer Fresshalle wandelt.“ Noch sei es so, dass zum Beispiel ein Parmaschinkenhändler sechs verschiedene Sorten anbietet, vom sechs bis sechzig Monate lang gereiften, erklärt Looß. „Wenn sein Hauptgeschäft aber darin besteht, Panini zu machen, welchen Schinken wird er wohl als Erstes aus seinem Sortiment nehmen? Natürlich den sechzig Monate alten.“ Also das Premiumprodukt. Und das große Geld würde dann wohl weiterziehen.

Weitere Informationen: Markthalle Stuttgart, Dorotheenstraße 4, 70173 Stuttgart, Öffnungszeiten Mo – Fr 7.30 – 18.30 Uhr, Sa 7.00 – 17.00 Uhr