„Sie hat eher dazu geneigt, gnadenlos alles zu entsorgen, was sie fand“, sagt er. Die Eltern seien anfangs gar nicht begeistert von den künstlerischen Ambitionen gewesen. „Meine Mutter hat noch lange insgeheim gehofft, dass aus mir doch mal noch etwas Richtiges werden würde“, sagt Wenders.
Anfangs sah es aus Sicht der Mutter auch gar nicht schlecht aus. Wenders studiert Medizin und Philosophie. 1966 bricht er das aber ab und geht nach Paris, um Maler zu werden. Der wichtigste Ort für ihn dort wird die Cinémathèque française – ein Filminstitut, in dem ab 14 Uhr bis in die Nacht Filmklassiker laufen. Angeblich sieht Wenders mehr als 1000 Filme in einem Jahr. Heute würde man wohl „Binge Watching“ dazu sagen.
Der Film wird schließlich seine Kunstform. Ab 1967 gehört er zum ersten Jahrgang der Hochschule für Film und Fernsehen (HFF) in München. Mit der Verfilmung von Peter Handkes Roman „Die Angst des Tormanns beim Elfmeter“ (1972) wird er zum Aushängeschild des „Neuen Deutschen Films“. Das melancholische „Paris, Texas“ (1984) gilt bald als Meisterwerk und gewinnt die Goldene Palme in Cannes. „Der Himmel über Berlin“ (1987) ist eine ikonische Meditation über die damals noch geteilte Stadt.
Wenn es ein Genre gibt, mit dem man ihn bis heute in Verbindung bringt, dann sicherlich das Roadmovie. Im Reisen kommen die Menschen bei Wilhelm Ernst Wenders, so sein bürgerlicher Name, oft zu sich. Auch bei ihm selbst greift dieser Mechanismus. Das Weggehen und Kennenlernen von anderen Orten sei für ihn das größte Thema geworden, schon als Kind, aber dann noch mehr als Heranwachsender, sagt er. „Woanders zu sein, das wurde mein Thema“, sagt er. „Und das habe ich dann auch über das Filmemachen als Thema behalten.“
Das Reise-Prinzip zieht sich bei Wenders durch, selbst beim Umgang mit Drehbüchern. Auch da fährt er am liebsten auf Sicht. „Die meisten Drehbücher habe ich vom ersten Tag des Drehs an nicht mehr angeguckt. Ich musste sie auch nicht mehr angucken“, sagt er. „Nach Drehbuch zu drehen, ist eher ein Reproduzieren als ein Produzieren. Viele Filme sind deswegen nur Fließbandarbeit. Und das macht mir keinen Spaß.“
Man müsse schlicht nicht wissen, wie es am nächsten Tag weitergehe, sagt Wenders. „Vielen Leuten macht diese Vorstellung Angst, mir aber nicht.“ Ihn habe im Gegenteil immer das Gefühl befreit, dass es ins Offene gehe.
Bewegung ist für ihn essenziell. Vielleicht auch deshalb wirft er die Stirn in Falten, wenn man ihn nach neueren Kommunikationsmitteln fragt. „Ich finde es äußerst wichtig, dass man sich als Jugendlicher Dingen aussetzt. Im Internet kann ich mich auch aussetzen, aber das ist eine völlig andere Form, das ist virtuell und nicht tatsächlich“, sagt Wenders. „Man kann durch das Internet auch überall hinreisen, ohne wirklich dort zu sein“, sagt er. „Das ist für mich eine Horrorvorstellung.“ Dann doch lieber Abenteuerspielplatz.