Stand: 14.08.2025 12:29 Uhr

Millionen Solaranlagen versorgen Deutschlands Haushalte. Der Großteil stammt aus China. Das birgt laut Fachleuten ein enormes Risiko: Kann China unsere Stromversorgung bis zum vollständigen Blackout sabotieren?

Von Julius Baumeister, Herbert Kordes und Falk Steiner, WDR

Für Andreas Schmitz ist es ein perfekter Tag: Die Sonne scheint, seine Photovoltaikanlage (PV-Anlage) produziert Strom im Überfluss. „Wir sehen, dass jetzt ungefähr acht Kilowatt ins öffentliche Netz eingespeist werden“, erklärt der Ingenieur stolz. Die Anlage hat er selbst geplant und gebaut und nur er hat Zugriff darauf. „Ich kann alles Mögliche ändern oder sie einfach abschalten“, demonstriert er. Sekunden später fließt kein Strom mehr ins Netz.

Was im Kleinen an einer einzelnen Anlage funktioniert, könnte im Großen fatale Folgen haben, warnen Fachleute. Denn in Deutschland gibt es rund drei Millionen PV-Dachanlagen. Was, wenn ein Hersteller millionenfach Geräte gleichzeitig vom Netz nähme?

Nach Recherchen des ARD-Politikmagazins Monitor ist genau das offenbar möglich. Auch die wichtigste Behörde für IT-Sicherheit in Deutschland, das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI), warnt vor einer „Manipulation von Energieinfrastruktur durch Hersteller oder Dritte“ und meint dabei ausdrücklich auch Solaranlagen.

Schwachstelle Wechselrichter

Kontrolle über PV-Anlagen erhält man über ein verhältnismäßig kleines Bauteil: den Wechselrichter. Er wandelt den erzeugten Solar-Gleichstrom in Wechselstrom und speist diesen in das Netz ein. Viele Wechselrichter sind mit dem Internet verbunden, etwa für eine bessere Steuerung, für Updates und Benutzerfreundlichkeit. Die Hersteller behalten so die Kontrolle über das Herzstück der PV-Anlage – Hersteller wie SMA in Kassel.

Das Unternehmen gehört zu den führenden Herstellern von Wechselrichtern in Deutschland. Mittlerweile sind die Wechselrichter aus China um ein Vielfaches günstiger. Rund 80 Prozent der verbauten Wechselrichter in Europa kommen Schätzungen zufolge aus China. Die chinesische Marktmacht ist in den vergangenen Jahren stark gestiegen. Die Netze könnten so von ihnen gestört werden oder gar zu einem Blackout führen, sagt SMA-Vorstandschef Jürgen Reinert im Gespräch mit Monitor.

Mit seiner Warnung vor der chinesischen Konkurrenz und einem möglichen Angriff auf das deutsche Stromnetz ist Reinert nicht allein.

Ein Blackout scheint möglich

Im Mai dieses Jahres warnte das BSI vor möglicher „Manipulation von Energieinfrastruktur“ bis hin zu gezielten Stromausfällen durch Cyberangriffe, auch über „Wechselrichter“ heißt es in dem Papier des BSI. Ein erfolgreicher Cyberangriff könne „weitreichende Folgen haben – zum Beispiel: Stromausfälle (Blackouts) durch gezielte Angriffe auf (…) private Energieanlagen.“

Man sehe ein „gewisses Gefahrenpotenzial, wenn wir uns überlegen, dass es eine sehr, sehr, sehr hohe Konzentration solcher Komponenten in der Hand von gewissen Nationen gibt“, sagt die Chefin des BSI, Claudia Plattner.

Chinesische Hersteller zur Kooperation gezwungen

Neben der großen Marktmacht Chinas beunruhigt Experten vor allem der große Einfluss des Regimes auf die chinesischen Hersteller. Diese sind per Gesetz dazu verpflichtet, mit der chinesischen Regierung zusammenzuarbeiten.

Der chinesische Technologiekonzern Huawei schreibt auf Monitor-Anfrage die gesetzlichen Bestimmungen „gelten nur innerhalb der Volksrepublik Chinas und gerade nicht in Deutschland und Europa“.

Bart Groothuis glaubt das nicht. Er ist niederländischer EU-Abgeordneter und ehemaliger Chef der Cybersicherheitsbehörde des Verteidigungsministeriums in den Niederlanden. Groothuis beschäftigt sich seit Jahren mit chinesischer Spionage und Manipulation. „Es gibt ein klares Gesetz, das chinesische Firmen verpflichtet, zu tun, was der Staat verlangt“, sagt er.

Könnte die Macht des chinesischen Präsidenten Xi Jinping also tatsächlich bis ins deutsche Stromnetz reichen? Bart Groothuis fürchtet, China könnte die Marktmacht der Technikhersteller auf das deutsche und europäische Netz ganz gezielt nutzen, etwa bei geopolitischen Konflikten wie mit Taiwan. „Dann hat China Einfluss auf uns und schränkt unsere politische Souveränität ein“, so Groothuis.

Dobrindt: „Ich kann das nicht verhindern“

Auch der IT-Sicherheitsexperte Manuel Atug kritisiert die Anfälligkeit des deutschen Stromnetzes und die Abhängigkeit von chinesischen Herstellern. „Mehr als 80 Prozent aller Wechselrichter stammen aus chinesischer Hand – solange keine konkreten Gegenmaßnahmen ergriffen werden, ist der Zugriff schlicht gegeben.“

Für solche Gegenmaßnahmen wäre etwa das Bundesinnenministerium zuständig. Bundesinnenminister Alexander Dobrindt erklärt auf Monitor-Nachfrage: „Ich kann nicht verhindern, dass Solaranlagen ferngesteuert werden, vor allem nicht bei diesem hohen Aufbaumaß.“ Man könne auch Zweifel haben, ob es durch fremde Eingriffe bei Balkonkraftwerken zu einem hohen Schadenspotential kommen könne, so Dobrindt.

Es ist eine Aussage, die im offenkundigen Widerspruch steht zu den Warnungen des BSI, der zuständigen Behörde für Cybersicherheit in Deutschland. Gegenmaßnahmen plant man im Innenministerium offenbar nicht.

Nicht auf der Liste sensibler Produkte

Und die EU? Ab 2027 soll der „Cyber Resilience Act“ höhere Sicherheitsstandards für vernetzte Geräte vorschreiben. Doch ausgerechnet Wechselrichter stehen bisher nicht auf der Liste besonders sensibler Produkte. Die zuständige EU-Kommissarin Henna Virkkunen erklärt gegenüber Monitor, man wolle die Risiken nun gemeinsam mit der europäischen Cybersicherheitsagentur prüfen. „Wir haben gemeinsam mit Kommissar Jorgensen angekündigt, dass wir jetzt mit der Arbeit beginnen werden.“

Für Experten kommt diese Ankündigung reichlich spät. Es sei höchste Zeit, sich von der Abhängigkeit von chinesischen Herstellern zu lösen – gerade, um die europäische Souveränität zu wahren, sagt der Niederländer Groothuis. Das sei vor allem „eine Frage des politischen Willens“.

Mehr zu diesem und anderen Themen können Sie im Magazin Monitor um 21:45 im Ersten und in der ARD-Mediathek sehen.