Halle/Saale. Am Ende seines Besuchs in Halle (Sachsen-Anhalt) steht der Bundesminister des Inneren am Donnerstagvormittag vor dem Mahnmal im Hof der Synagoge, das an den 9. Oktober 2019 erinnert, den Tag des Anschlags. Alexander Dobrindt zeigt sich „tief bewegt“ und betont: „Das muss ein Mahnmal für uns alle sein.“ Wenige Augenblicke später setzt sich der CSU-Politiker wieder in Bewegung. Der nächste Termin wartet.
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Das Mahnmal besteht aus der einstigen Tür zum Hof der Synagoge und ist eingefasst in künstlich hergestellte Äste, die sie halten wie eine schützende Hand. Es verweist auf die Tat des Rechtsextremisten Stephan Balliet. Er hatte an jenem 9. Oktober 2019 zum Schrecken der Republik versucht, in das Gotteshaus einzudringen, scheiterte aber an genau dieser Tür, erschoss daraufhin eine Passantin und einen jungen Mann in einem Döner-Imbiss. Auf seiner Flucht vor der Polizei verletzte der 1992 geborene Täter weitere Menschen – und wurde im Dezember 2020 zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt.
Der politische Rahmen hat sich verändert
Zwar war die Geschichte von Halle damit keineswegs beendet. Balliet nutzte bald abermals eine selbstgebaute Waffe, diesmal um aus dem Hochsicherheitstrakt der Justizvollzugsanstalt Burg zu fliehen, und nahm dabei einen Beamten als Geisel. Entscheidend ist jedoch, dass sich seit jenem 9. Oktober 2019 der politische Rahmen verändert hat. Das vor allem wird während Dobrindts Visite deutlich.
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Da ist zunächst die Synagoge selbst. Die Sicherheitsmaßnahmen wurden seither massiv verschärft. So wurde die beschädigte Tür zum Hof ersetzt. Der Eingang zur Synagoge wurde mit Panzerglas gesichert, Ähnliches gilt für die Fenster. Das hatte indes unbeabsichtigte Konsequenzen. Denn die Baumaßnahmen haben die Luft in dem kleinen Gotteshaus massiv verschlechtert. Jetzt wird also wieder gebaut, bloß diesmal an der Klimaanlage. So findet sich der Minister im Inneren der Synagoge vor Baugerüsten wieder, die mit Plastikplanen zugehängt sind.
Neuerliche Bauarbeiten Alexander Dobrindt besucht im Beisein von Max Privorozki, Vorsitzender der Jüdischen Gemeinde Halle/Saale, die Synagoge.
Quelle: Hendrik Schmidt/dpa
Weitaus gravierender ist der Umstand, dass auf den 9. Oktober 2019 der 7. Oktober 2023 folgte – der Überfall der radikalislamischen Hamas auf Israel mit über 1200 Toten und 240 Geiseln. Dieses Ereignis prägt den Besuch des Ministers im jüdischen Gemeindezentrum der Stadt an der Saale, die dem Besuch in der Synagoge vorausgeht, maßgeblich.
Dobrindt: Zahl antisemitischer Straftaten „unerträglich“
Dobrindt sagt mit Bezug auf die Tat von Halle: „Wir sind froh und dankbar, dass eine Tür das Leben der Menschen gerettet hat.“ Seither werde alles getan, um das Leben jüdischer Menschen in Deutschland noch stärker zu schützen. Unerträglich sei daher, dass die Zahl antisemitischer Straftaten seit dem Überfall der Hamas derart zugenommen und 2024 sogar einen Rekord erreicht habe. Im vergangenen Jahr zählte die Polizei bundesweit 6.236 antisemitische Straftaten, davon gingen 3.016 Taten auf das Konto mutmaßlich rechtsradikaler Täter.
Eine zentrale Botschaft des Gastes aus Berlin ist denn auch, „dass der importierte Antisemitismus eine bedeutende Rolle einnimmt“. Die Urheber seien in Deutschland nicht nur nicht willkommen, sondern sollten das Land verlassen. Der Rechtsextremismus spielt lediglich am Rande eine Rolle.
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Offener Widerspruch zum Kanzler
Dobrindts zweite Botschaft lautet: „Israel nimmt sein Verteidigungsrecht wahr und hat unsere ausdrückliche Unterstützung.“ Das ist kein offener Widerspruch zur Entscheidung von Kanzler Friedrich Merz, der an die Regierung von Ministerpräsident Benjamin Netanjahu keine Waffen mehr für den Einsatz im Gazastreifen liefern will. Freilich wirken Dobrindts Worte wie ein Kommentar zum Vorgehen des Regierungschefs und werden im Raum auch so verstanden.
Neben dem Gemeindevorsitzenden Max Privorozki, der die negative Wirkung des 7. Oktober 2023 für die Juden in Deutschland hervorhebt, sorgt dann in erster Linie Sarah Maria Sander für Aufsehen – eine Frau, die einer jüdisch-osteuropäischen Familie entstammt und sich auf ihrer Homepage mit den Worten vorstellt, sie habe sich „dem politischen Aktivismus und freien Journalismus zugewandt“. Sander solidarisiert sich völlig mit der israelischen Seite und wirft den Deutschen vor, es nicht zu tun – oder nicht ausreichend. „Wir gedenken der toten Juden“, sagt die junge Frau, die dem Minister im Gemeindezentrum gegenübersitzt. „Aber wir vergessen dabei die lebenden Juden.“ Man dürfe dem wachsenden internationalen Druck auf Israel jedenfalls „nicht nachgeben“, mahnt Sander und fährt fort: „Ich frage mich, wann wir endlich aufwachen.“
Dobrindt erwidert: „Vielen Dank, dass Sie das so offen vortragen.“ Das passt ins Bild. Denn es gibt keine Partei in Deutschland, die sich so uneingeschränkt hinter die Regierung Netanjahu stellt wie die CSU und diese Position auch gegenüber der CDU und deren Kanzler behauptet.
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Kurz darauf sind die Anwesenden vom Gemeindezentrum zur Synagoge umgezogen, die wenige Kilometer entfernt liegt. Dort hat sich eine andere junge Frau eingefunden und sagt gemünzt auf den Terroranschlag des Rechtsextremisten Stephan Balliet am 9.Oktober 2019: „Ich hoffe und wünsche sehr, dass wir nicht noch mehr Mahnmale errichten müssen.“