Kiel. Der Tagestreff- und Kontaktladen (Tako) der Stadtmission ist für viele Menschen ein existenzieller Ort. Zu ihnen zählt Alexander B. „Wenn es den Tako nicht gäbe, müsste ich eine ganze Weile im Monat hungern“, sagt er. Alexander wohne derzeit mit einem Freund zusammen, aber besuche immer mal wieder den Kontaktladen, sobald das Geld knapp wird. „Wenn es das nicht geben würde, würde es für Leute in Kiel viel schlechter aussehen“.
Weiterlesen nach der Anzeige
Weiterlesen nach der Anzeige
Dieser Treffpunkt für wohnungslose Menschen sucht nun nach neuen Räumlichkeiten. „Der Ort ist für diese tägliche Masse an Leuten nicht ausreichend“, sagt Sebastian Rehbach von der Stadtmission Kiel.
Täglich kommen 80 bis 90 Menschen hierher. Besonders voll sei es mittags, wenn im Durchschnitt 60 Essensportionen ausgegeben werden. Manchmal müssten Menschen dann ihr Essen im Stehen oder im Treppenhaus zu sich nehmen. „Durch die Enge entstehen viele Konflikte, die vermeidbar wären.“ Auch die sanitären Anlagen seien unzureichend.
Weiterlesen nach der Anzeige
Weiterlesen nach der Anzeige
An diesem sonnigen Tag haben sich ungefähr 20 Menschen zur Mittagszeit in der Kieler Schaßstraße eingefunden. Heute steht Chili con Carne auf dem Speiseplan.
Wir möchten wohnungslosen Menschen Tagesstruktur geben und ihren Alltag leichter machen.
Inga Zopp
Teamleiterin des Tako
Im Tako geht es aber nicht nur die um Verpflegung, es ist auch ein sozialer Begegnungsort. Viele kennen sich hier. Man grüßt und verabschiedet sich. Ein paar Männer sprechen über Till Schweiger und Michael Bully Herbig. Im Hintergrund läuft Pop-Musik.
„Wir möchten wohnungslosen Menschen Tagesstruktur geben und ihren Alltag leichter machen“, erklärt die Teamleiterin des Tako, Inga Zopp. „Das hier soll ein sicherer Ort für unsere Klientinnen und Klienten sein“, sagt die 37-Jährige. „Wir sind der Ansprechpartner für Menschen, die sonst keine Ansprechpartner haben“.
Tagestreff- und Kontaktladen in Kiel ist jeden Tag geöffnet
Finanziert wird das Projekt von der Stadt Kiel, dem Land Schleswig-Holstein und durch Spenden. Kliniken und Bäckereien unterstützen den Tagestreff, aber auch Privatpersonen. Der Tako ist das ganze Jahr geöffnet. Jeden Tag können sich wohnungslose Menschen hier waschen und mit Nahrung versorgen. Der Tako bietet kostengünstig Frühstück und Mittagessen an. Menschen mit einer Essensmarke von der St. Nikolai Kirche speisen sogar kostenlos.
Weiterlesen nach der Anzeige
Weiterlesen nach der Anzeige
Zudem können Wohnungslose hier für 1,50 Euro ihre Klamotten waschen und trocknen. Ein Aufenthaltsraum bietet Schlafmöglichkeiten für Menschen, die „Platte machen“, also auf der Straße übernachten. „Das wird gut angenommen“, sagt Zopp. „Die Sofas sind immer voll.“
Leider bieten die 200 Quadratmeter in der Schaßstraße nicht mehr genug Platz und sie sind nicht barrierefrei. Die Stadtmission sucht deshalb nach Räumlichkeiten von 300 bis 400 Quadratmetern in Innenstadtlage, auf denen sich eine kleine Küche, ein größerer sanitärer Bereich, Büros und Aufenthaltsräume unterbringen ließen. „Wer passende Räumlichkeiten kennt, kann sich gerne bei mir melden“, sagt Rehbach.
Steven (am Tisch mit Handy) im Tagestreff- und Kontaktladen (Tako) in der Schaßstraße in Kiel.
Quelle: Frank Peter
Im Tako wird wöchentlich eine medizinische Sprechstunde angeboten. „Ich habe das Gefühl hier sehr hilfreich sein zu können“, sagt Hanna Stelzer. Sie ist Assistenzärztin in der Gemeinschaftspraxis Ehrhardt-Moikow in Altenholz. Während ihrer Ausbildung übernimmt sie regelmäßig die Sprechstunde im Tako. Hier habe sie häufiger mit Suchterkrankungen und infizierten Wunden zu tun.
„Ich lerne hier viel, weil ich Dinge sehe, die in einer normalen Haushaltspraxis seltener zu sehen sind“, sagt die 30-Jährige. Kliniken und Privatpersonen ermöglichen diese kostenlose Sprechstunde durch das Spenden von rezeptfreien Medikamenten und Verbandsmaterialien.
Was die Mitarbeiter im Tako in Kiel erleben
Ulrich Petri steht regelmäßig am Tresen und verteilt hier Essen. Der 65-Jährige ist seit der Gründung des Kontaktladens im Jahre 2001 aktiv. Damals verschmolzen die Tageswohnung und der Tagestreff zu dieser neuen Einrichtung. In dieser langen Zeit habe er zahlreiche Leidensgeschichten gehört und viele Todesfälle erlebt. In den knapp 25 Jahren seien rund 100 seiner Kunden gestorben – die meisten von ihnen durch Suchterkrankungen.
Weiterlesen nach der Anzeige
Weiterlesen nach der Anzeige
„Ich habe mich mit einem 22-jährigen einen Tag vor seinem Tod noch unterhalten”, sagt er. „Am andern Tag erfuhr ich, dass er an seinem eigenen Erbrochenen erstickt ist.“ Auch gewaltsame Auseinandersetzungen habe er gesehen.
Im November geht Petri in den Ruhestand. Trotz der tragischen Momente blickt er positiv auf seine Zeit hier zurück: „Im Allgemeinen hat es Spaß gemacht. Es ist schön, sich mit Menschen zu unterhalten und ihnen zu helfen.“
Klaus H. besucht seit April den Tako. Der ehemalige Selbständige habe sein Geschäft schließen müssen. Derzeit wohne er in dem Shelter-Containerdorf in Kiel. „Der Tako ist ein wichtiger Ort der Zusammenkunft für Menschen, die gar nichts haben“, sagt er. Seine Unterkunft muss er morgens um zehn Uhr verlassen und kann erst um 17 Uhr zurück. Daher ist er beinah täglich hier. Die Mitarbeiter seien freundlich. „Es gibt genügend hier, mit denen man sich vernünftig unterhalten kann“.
Im Tako trifft man nicht nur auf wohnungslose Menschen. Auch Personen, die mit wenig Geld auskommen müssen, kommen her. „Das ist meine Sozialstation“, sagt Katharina Beier. „Man hat einen Anlaufpunkt und das gibt einem Struktur“. Seit elf Jahren besucht die Hempels-Verkäuferin den Tako. Beier wohnt am Hiroshimapark, frühstückt aber häufig hier. Über den Laden spricht sie in den höchsten Tönen: „Die Stadtmission macht viel für uns.“
KN