Frauen am Mikrofon müssen nicht zarte Wesen in rosa Satin sein wie Popikone Taylor Swift oder Sabrina Carpenter, die zu sanfter Musik herzzerreißende Balladen von Liebe und Leid singen. Schon lange trauen sich Frauen auch andere Rollen zu. Das verdeutlicht auch der erste Abend des Westcoast-Festivals in Griesheim: Harte Bässe erschüttern das Industriegelände am Main, das in diesen Tagen zur Westküste geadelt wird durch die Namensgebung der Festivalveranstalter. Unübersehbar leuchtet der Schriftzug in großen Lettern über der Bühne.

Die Frauen auf dieser Bühne, die am Fuß eines rostigen Verladekrans aufgebaut ist, sind keine Elfen. Sie wollen auch keine sein. Sie sind laut, rotzig, aggressiv. Ihre Stimmen sind dreckig, ihre Texte provokant – und ihre Fans lieben sie dafür. Während auf den Konzerten von Rappern wie Bushido Männer das Publikum dominieren, bilden hier Frauen die klare Mehrheit. Ekstatisch, elektrisiert, emanzipiert – die Energie der Künstlerinnen reißt die Menge mit. Als die Frankfurter Rapperin Alyzah, die sich selbst als „Deutschraps Pocahontas“ bezeichnet, die Bühne betritt, kreischen die Fans. Mit einer Mischung aus Straßenstaub, Herzblut und Authentizität in ihren Texten erreicht sie ihr Publikum mühelos.

Gegenpol zum Frankfurter Osten

Die hochsommerlichen Temperaturen sind kein Hemmnis für die Feiernden: Mit knapper oder luftiger Kleidung kämpfen Künstlerinnen und Festivalbesucher gleichermaßen gegen die Hitze an, die auch am Abend noch in der Luft hängt. Der Veranstalter verteilt kostenlose Fächer. Schweiß tropft dennoch von den Gesichtern, Schminke verläuft. Niemand interessiert sich hier für solche Nebensächlichkeiten. Im Fokus steht das Gefühl, nicht das Aussehen. An den Getränkeständen bilden sich nach den Auftritten lange Schlangen.

Die „Female-Rap-Night“ ist ein gelungener Auftakt für das Westcoast-Festival. Kleinere, noch unbekannte Sängerinnen finden genauso Anklang wie die etablierten Acts. Das viertägige Festival spielt sich vor der Industriekulisse auf einem Teil des früheren Chemieparks in Griesheim ab. Seit 2019 wird das Industrieareal, das mit 77 Hektar die Ausmaße von rund 100 Fußballfeldern hat, von der BEOS AG umgestaltet. Unter dem Projektnamen „Westside“ sollen auf dem Areal Büroflächen und Freizeit- und Kulturangebote entstehen. Das Gelände sowie finanzielle Mittel für das Festival stellt die BEOS. „Wir wollen identitätsstiftend sein“, sagt Mathias Strauch, Projektleiter der „Westside“. Griesheim müsse eine neue, positivere Konnotation in den Köpfen der Frankfurter bekommen.

Das Westcoast-Festival ist nur ein Teil dieses Projekts. Im Juli fand bereits das Mundart-Theaterfest „Barock am Main“ auf der Fläche der BEOS statt. „Der Frankfurter Westen muss ein Gegenpol zum Frankfurter Osten werden“, so Strauch. Laut Veranstalter kamen bereits am ersten Tag des Festivals mehr als 900 Gäste. „In so einer Off-Location so viele Menschen versammeln zu können, ist wirklich beeindruckend“, sagt Strauch.

Das Festivalprogramm ist auch am Wochenende vielfältig: Zwischen Kran und Backsteinfassaden finden am Samstag Yoga-Workshops und Fußballtrainings mit Cristiano-Ronaldo-Double Saki statt. Auch Weinverkostungen sind für den Nachmittag geplant. Am Abend soll der Stand-up-Comedian Bruno Banarby für Unterhaltung sorgen. Am Sonntag endet das Festival unter anderem mit einem Vintage-Flohmarkt.

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