Papst Leo XIV. ist seit gut 100 Tagen im Amt. Wie blicken Schweizer und deutsche Geistliche, Theologen und Theologinnen auf diese Zeit? Eine kleine Umfrage zeigt: Die Rolle von Papst Leo wird noch nicht von allen als spürbar wahrgenommen.

Wolfgang Holz

Abt Urban Federer, Kloster Einsiedeln

«Ich empfinde Papst Leo XIV. als besonnenen Brückenbauer – was ja auch seine Funktion ist, heisst doch einer seiner Titel «Pontifex» übersetzt «Brückenbauer». Er baut etwa Brücken über die Generationen hinweg.

Die grösste Ansammlung von Menschen, denen Papst Leo bis jetzt begegnet ist, kam diesen Sommer am Weltjungendtag in Rom zusammen: Mehr als eine Millionen junger Menschen. Ihnen sagte der Papst: «Ihr seid das Zeichen dafür, dass eine andere Welt möglich ist: eine Welt der Geschwisterlichkeit und Freundschaft, in der Konflikte nicht mit Waffen, sondern mit Dialog gelöst werden.» Nach Aussagen von Jugendlichen, die ich getroffen habe, vermochte Papst Leo diesen jungen Menschen Hoffnung und die Sehnsucht nach Gott weiterzugeben.

Abt Urban Federer

Abt Urban Federer

Der neue Papst will auch an den Brücken zwischen der Kurie in Rom und der Weltkirche bauen. Der Erzbischof von Westminster, Kardinal Vincent Nichols, sagte letzthin vor Medienleuten, Papst Leo werde im Herbst Reformen der Römischen Kurie ankündigen.

«Papst Leo will sich getreu seinem Vorgänger Papst Franziskus für die Einheit der weltweiten Kirche einsetzen.»

Vor diesem Hintergrund ist eine Aussage des Papstes zu Mitarbeitenden des Staatssekretariats interessant. Zu ihnen sagte Papst Leo im Juni, sie hätten einen zunehmend universellen Charakter angenommen. Mit fast der Hälfte der Mitarbeiter, die nicht dem Klerikerstand angehören, darunter mehr als 50 Frauen, «spiegle das Staatssekretariat selbst das Gesicht der Kirche wider.»

Und Papst Leo will sich getreu seinem Vorgänger Papst Franziskus für die Einheit der weltweiten Kirche einsetzen. Im Miteinander aller Glieder der Kirche könne am besten die Schönheit des Evangeliums weitergegeben werden. Dafür streicht er den Weg des synodalen Prozesses heraus. Dieser ist für den Papst ein fruchtbarer Weg zur Erneuerung der Kirche.»

David Neuhold, Universität Luzern:

«Am Anfang war die Papstwahl eine Überraschung, das ‘Habemus Papam’ hatte etwas Unerwartetes: Ein US-amerikanischer Papst, kann das inmitten der Spannungsgefüge unserer Welt gut gehen? Es scheint aber, dass eine stille, leise und beständige Art den neuen Papst auszeichnet – und Leo XIV. erweist sich als versöhnlich und ruhig.

David Neuhold, Professor für Kirchengeschichte an der Universität Luzern

David Neuhold, Professor für Kirchengeschichte an der Universität Luzern

Erst jüngst hat mir das wiederum jemand bestätigt, der mit ihm öfters zusammengearbeitet hat. Grosse Erwartungshaltungen an den Papst zu haben, scheint mir schwierig. Interessant und bedeutsam ist vor allem, welche Bischofsprofile er schärft. Auf seine theologischen Akzentsetzungen bin ich daneben gespannt.

Es heisst ja, dass er gerade in Castel Gandolfo an einer Enzyklika arbeitet. Wenn er als spirituelle Führungskraft zu Frieden, Sorge um die und mit den Schwachen sowie Menschenwürde beitragen könnte, dann wäre das wunderbar. Im Raum der Kirche wird Leo XIV. vor allem aber auch in finanziell-ökonomischen Hinsicht gefordert. Hier trägt er ein Erbe seines Vorgängers weiter.»

Diakon Stefan Staub, Teufen:

«Ob Papst Leo die Reformbemühungen seines Vorgängers fortführt, weiss niemand. Alles andere wäre Kaffeesatzleserei. Fest steht nur: Er kennt die Realität Südamerikas – dem Heimatkontinent von Franziskus – und er hat Erfahrung im Umgang mit sozial randständigen Menschen. Doch Leos Wurzeln liegen in den USA, vermutlich in einer geschützten und gut versorgten Umgebung.

Diakon Stefan Staub

Diakon Stefan Staub

Zwischen beiden Päpsten liegen Welten. Franziskus war Theologe und Seelsorger, weniger ein Freund vatikanischer Protokolle und grosser Liturgien, dafür umso mehr ein Hirte und Sozialarbeiter. Leo dagegen ist liturgisch geprägt und pflegt sichtbar den vatikanischen Lifestyle – spürbar stärker als sein Vorgänger. Seine bisherigen Entscheidungen, wie er das Papsttum pflegt, gehen in diese Richtung.

Im Monat Juni war ich im Rahmen eines Sabbaticals in Rom, mitten im Herzen der katholischen Welt – und habe von Leo kaum etwas wahrgenommen. In einer Zeit multipler Krisen ist das meines Erachtens nicht das Weiseste.

«Unsere Welt ist bekanntlich nicht im Lot, und es braucht jemand, der es ausspricht. Papst Leo könnte diese Stimme sein.»

Die Welt braucht einen Papst, der präsent ist, nicht nur in der Sixtinischen Kapelle und an grossen Jugendtreffen, sondern an den Frontlinien der Menschheit. Ja, sicher: Hinter den vatikanischen Mauern laufen wohl zahllose diplomatische Gespräche. Aber Hoffnung auf Gottes Dasein in den Stürmen der Welt entsteht nicht in stillen Salons. Hoffnung wächst, wenn er Gesicht zeigt und er Stellung bezieht zu den Verbrechengegen die Menschlichkeit. Unsere Welt ist bekanntlich nicht im Lot und es braucht jemand, der es ausspricht. Papst Leo könnte diese Stimme sein. Noch ist er es für mich noch nicht.»

Thomas Söding, Universität Bochum:

«Die katholische Kirche steht vor einer doppelten Herausforderung: Sie muss ihre internen Verfassungsprobleme lösen, die durch zu viel Klerikalismus ausgelöst werden. Und sie muss in einer aufgeregten Welt die Stimme der Vernunft sein, der Menschlichkeit.

Thomas Söding ist Vizepräsident des Zentralkomitees der deutschen Katholiken.

Thomas Söding ist Vizepräsident des Zentralkomitees der deutschen Katholiken.

Beides hat Papst Leo XIV. verstanden und zu verbinden begonnen. Er greift starke Impulse von Papst Franziskus auf: synodale Kirche, ökologische Verantwortung, soziales Gewissen. Aber er führt es eigenständig weiter: besonnen, informiert, interessiert, lösungsorientiert. So habe ich Papst Leo vor seiner Wahl persönlich kennengelernt. Es werden noch Krisen kommen, die er zu meistern hat. Aber er bringt gute Voraussetzungen mit, auch auf schwerer See Kurs zu halten.»

Monika Schmid, Theologin, Effretikon ZH:

«Ich habe mich wenig mit dem neuen Papst auseinandergesetzt. Er scheint sympathisch zu sein und möchte es möglichst allen Recht machen. 

Monika Schmid

Monika Schmid

Vor allem die konservativen Kreise, die gegen Franziskus gearbeitet haben, versucht er gnädig zu stimmen. Grosse innerkirchliche Erneuerungen wird er kaum anstossen. Wie er sich aussenpolitisch einbringt, ist noch sehr vage. Ich habe keine Erwartungen an sein Pontifikat. Für Überraschungen bin ich offen.»

© Katholisches Medienzentrum, 13.08.2025

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