Von den östlichen Hängen des Ölbergs in Jerusalem blickt man direkt in das Westjordanland, auf die palästinensische Stadt Anata und Dörfer im Norden und Süden. Im Osten erhebt sich Ma’ale Adumim, eine völkerrechtswidrig in den besetzten palästinensischen Gebieten errichtete israelische Siedlung. Mittlerweile leben dort etwa 37.000 Einwohner – mehr als in Anata und den umliegenden palästinensischen Gemeinden zusammen.
Zwischen Ostjerusalem und der Siedlung erstreckt sich auf etwa zwölf Quadratkilometern ein Gebiet, das als East 1 oder E1 bekannt ist und das seit Jahrzehnten für Streit sorgt zwischen der israelischen Regierung und internationalen Partnern. Nach dem Sechstagekrieg 1967 hatte Israel Ostjerusalem besetzt und schon damals begonnen, drumherum Siedlungen zu bauen. 1980 annektierte Israel Ostjerusalem, der Siedlungsbau schritt weiter fort. Diese Siedlungen haben dazu geführt, dass überwiegend palästinensische Stadtviertel vom restlichen Westjordanland isoliert wurden und nicht wachsen konnten. E1 galt als letzte Öffnung der Stadt zum Westjordanland.
Seit den Neunzigerjahren hat fast jede israelische Regierung versucht, das Gebiet zu bebauen, um den Ring um Jerusalem zu schließen. Bisher ist das am massiven internationalen Widerstand gescheitert. Das scheint sich nun zu ändern.
4.000 Beduinen würden zwangsvertrieben
Am Mittwochabend verkündete der ultrarechte Finanzminister Bezalel Smotrich die Bebauung des Gebiets mit über 3.000 Wohneinheiten, nachdem die Genehmigung in einer Anhörung des Obersten Planungskomitees in der vergangenen Woche beschlossen wurde. In einer zweiten Sitzung in der kommenden Woche soll der Beschluss offiziell finalisiert werden.
© Lea Dohle
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Diese Besiedlung würde nicht nur mit der Zwangsvertreibung von schätzungsweise 4.000 dort lebenden Beduinen einhergehen, sondern auch Ostjerusalem endgültig abriegeln und das nördliche und südliche Westjordanland voneinander abtrennen.
„So begräbt man einen palästinensischen Staat“, bekundete Smotrich in seinem Statement. Dies sei der letzte Sargnagel und Zionismus vom Allerfeinsten – bauen, siedeln und die Souveränität Eretz Israels stärken, sagte Smotrich weiter. Mit Eretz Israel, das hat er immer wieder bekräftigt, meint er die unter nationalreligiösen und revisionistisch-zionistischen Israelis verbreitete Vision Großisraels jenseits völkerrechtlich akzeptierter Grenzen, die nicht nur das Westjordanland umfassen, sondern bisweilen auch Teile Ägyptens, Jordaniens und anderer Nachbarstaaten.
Die Siedlergewalt eskaliert täglich weiter
Seit die Koalition um Benjamin Netanjahus Likud, Smotrichs Nationalreligiöse Partei, Itamar Ben Gvirs Jüdische Stärke und andere rechte Parteien an der Regierung ist, hat sie nicht nur die Justiz reformiert. Sie hat auch Maßnahmen zur de facto Annexion des Westjordanlands massiv vorangetrieben, etwa durch rechtliche Maßnahmen und die Übertragung von Befugnissen von der Besatzungsbehörde auf Siedlerbehörden. Im Schatten des Gazakriegs, der durch die Massaker der Hamas am 7. Oktober 2023 ausgelöst wurde, hat sich die Lage im Westjordanland drastisch verschlechtert.
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Die Siedlergewalt eskaliert fast täglich weiter. Wie sehr, zeigte sich zuletzt Ende Juli, als der Extremist Yinon Levi in Masafer Yatta den palästinensischen Aktivisten Awdah Hathaleen ermordete und trotz erdrückender Beweislage freigelassen wurde. Im Jordantal östlich der Allon-Straße haben Siedler durch Gewalt fast alle Palästinenser vertrieben – nur noch eine einzige Gemeinde ist dort verblieben. Allein 2023 und 2024 wurden fast 50.000 neue Siedlungseinheiten genehmigt – teilweise nachträglich, nachdem Siedler zuvor Außenposten errichtet und damit Fakten geschaffen hatten.
Das Westjordanland würde zweigeteilt
Wird das Siedlungsprojekt E1 realisiert, würde es mit der bereits bestehenden Siedlung Ma’ale Adumim einen entscheidenden strategischen Fakt schaffen: die vollständige Teilung des Westjordanlands. „Israel benutzt immer wieder Planung und Bauvorhaben als Waffe, um Land zu beschlagnahmen und Dörfer zu vertreiben. E1 ist eine der stillsten und zugleich erschreckendsten Formen israelischer Gewalt, institutionalisierter Planungsgewalt“, sagt Alon Cohen-Lifshitz, Architekt bei der israelischen Menschenrechtsorganisation Bimkom.
Die Grundlagen für das Projekt hat Israel seit Jahren gelegt. Erst im März wurde der Bau der sogenannten Sovereignty Road durch das Gebiet beschlossen, einer Umgehungsstraße für Palästinenser, die ihren Zugang in das Gebiet einschränken und die Siedlungen noch effektiver miteinander verbinden soll. Bereits 2006 wurde eine große israelische Polizeistation mitten im Gebiet gebaut. Immer wieder errichteten Siedler auch nach israelischem Recht illegale Außenposten und versuchten, die Einwohner der Gemeinde Khan al-Ahmar mit Gewalt einzuschüchtern und den Zugang für Kinder zur dortigen Schule zu blockieren.
Israel begründet die Planung von E1 mit Sicherheitsinteressen, um Ma’ale Adumim und Jerusalem zu schützen. Doch die internationale Gemeinschaft hat immer wieder gegen eine Bebauung von E1 protestiert und sie in der Vergangenheit durch diplomatischen Druck verhindert. Kritiker fürchteten immer wieder, die Siedlung würde endgültig die Aussicht auf eine Zweistaatenlösung zerschlagen.
Die USA geben ihren Widerstand auf
Länder wie Frankreich und Großbritannien hatten in der Vergangenheit mit so drastischen Mitteln wie dem Abzug ihrer Botschafter aus Israel gedroht. Die USA haben bislang immer wieder bekräftigt, E1 und die darin befindliche Beduinen-Gemeinde Khan al-Ahmar gelten ihnen als „rote Linie„. Doch in den vergangenen 22 Monaten des Gazakriegs wurden rote Linien immer wieder ignoriert und überschritten. So scheint es nun auch mit dieser zu sein: US-Präsident Trump hat bereits angekündigt, keinen Einspruch gegen Smotrichs Pläne einlegen zu wollen. UN-Generalsekretär António Guterres dagegen hat das Siedlungsprojekt E1 am Donnerstagabend abermals verurteilt und Israel dazu aufgerufen, alle völkerrechtswidrigen Siedlungsaktivitäten einzustellen.
Aviv Tatarsky, Wissenschaftler bei Ir Amim, einer israelischen Organisation, warnt, dass solche Mahnungen keinen Einfluss auf das Handeln Israels haben dürften. „Staaten, die derzeit daran arbeiten, einen palästinensischen Staat anzuerkennen, sollten sich darüber im Klaren sein, dass Israel sich von diplomatischen Gesten oder Verurteilungen nicht beirren lässt“, sagt Aviv Tatarsky. Wer wirklich auf eine politische Lösung hinarbeite, müsse konkrete Maßnahmen ergreifen, sonst wäre auch eine Anerkennung wirkungslos, so Tatarsky.
Laut Tatarsky verkünde Israel mit den Plänen für E1 offen einen Zustand der Apartheid im Westjordanland, der langfristig mehr Gewalt für Palästinenser und Israelis bedeute. Und Minister Smotrich hat bereits deutlich gemacht, dass E1 nur ein Schritt Richtung Großisrael sei. Ministerpräsident Benjamin Netanjahu scheint solchen Plänen gegenüber nicht abgeneigt zu sein. In einem Fernsehinterview mit dem Sender i24 sagte er kürzlich, er sei der Vision des Gelobten Landes und Großisraels „sehr verbunden“ und fühle es als seine „historische und spirituelle Mission„.