Allein aus logistischer Sicht war es eine wahre Meisterleistung. 1992 hatte Anne Geddes die verrückte Idee, Dutzende Babys in Blumentöpfen zu fotografieren. E-Mail gab es noch nicht, also startete sie einen Aufruf im Radio und schaffte zahllose Terrakottakübel in eine Halle. Schließlich gelang es: Die Eltern setzten die Kleinen flugs in die Töpfe, eilten zur Seite – und Anne Geddes hatte genau zwei Minuten Zeit, um die Schar zu fotografieren.

Auf der Suche nach dem etwas anderen Babyfoto

Das legendäre Foto darf natürlich nicht fehlen im Neuen Kunstmuseum Tübingen, das eine Retrospektive von Anne Geddes zeigt: „Until Now“. Eine stattliche Auswahl mit rund 150 Bildern repräsentiert das Schaffen der 68-Jährigen, die als junge Frau in Australien ihr Geld mit Kinderporträts verdiente.

Geddes war ehrgeizig, deshalb suchte sie nach einer eigenen Handschrift, um sich abzusetzen. So entstand eine so kuriose wie erfolgreiche Idee: Babys inszeniert als Tiere, als Pflanzen oder in allerhand weiteren ulkigen Situationen.

Die Zwillinge Rhys und Grant im Kohl Foto: Geddes

Und so setzte Anne Geddes zum Beispiel zwei Babys in Kohlköpfe hinein, dann wieder verwandelte sie sie in Bienen, Rosenblüten oder Feen. Für eine Serie mit Sternzeichen posiert ein kleiner Leo im Löwenkostüm in der knallgelben Blüte einer Sonnenblume. Immer wieder scheinen die Kleinen mitten in einer Blume zu sitzen, dann wieder scheinen sie selbst eine Wasserlilie zu sein. Und mit diesen Baby-Motiven, die mal witzig zugespitzt sind, mal poetisch und verträumt, hat Anne Geddes einen wahren Hype ausgelöst. Heute kopieren Eltern ihre Ideen gern und verjuxen den Nachwuchs selbst mit kuriosen Requisiten.

Auch kommerziell ist Geddes’ Methode extrem erfolgreich. 19 Millionen Bücher und 13 Millionen Kalender hat sie weltweit verkauft, dazu kommen zahllose Adressbücher, Fotoalben, Postkarten.

Nur eines ist ihr bisher versagt geblieben: Erfolg im Museumskontext. Sie sei oft belächelt worden, sagt Anne Geddes. Ihre Fotos wurde immer wieder als „unerträglich süß“ und kitschig bezeichnet. Tatsächlich bedient sie eher Werbeästhetik und verzichtet auf subtile Zwischentöne zugunsten des Überraschungseffekts.

19 Millionen Bücher und 13 Millionen Kalender hat Anne Geddes weltweit verkauft Foto: Geddes

Jetzt ist Anne Geddes ist eigens aus New York nach Tübingen gereist, weil sie zum ersten Mal museal im großen Stil gewürdigt wird. Das neue Privatmuseum will mit populären Positionen die Massen anlocken, denen bei der Geddes-Schau sicher das Herz aufgehen wird.

Denn sie feiert nicht nur den weichen Speck der Babys, sondern auch Mutterschaft und neues Leben an sich. Schützen und Umhüllen ist deshalb ein wichtiges Kompositionsprinzip von Anne Geddes, die Babys auch in Nester gelegt oder in eiförmige Stoffe gehüllt hat.

„Jack hält Maneesha“ Foto: Anne Geddes

Eines ihrer besten Fotos hat dagegen durchaus existenzielle Dimension: In einer großen Männerhand schläft entspannt ein winziges Frühchen und vermittelt beeindruckend Zuversicht und Lebenskraft.

Ausstellung

Anne-Geddes-Retrospektive „Until Now“
Neues Kunstmuseum Tübingen, Schaffhausenstraße 123, bis 21. September, geöffnet Dienstag bis Sonntag von 10 bis 18 Uhr