Vor 20 Jahren sorgten Tokio Hotel auch im Nachbarland für Begeisterung. Französische Jugendliche lernten auf einmal reihenweise Deutsch – ein Phänomen, das seinesgleichen sucht.
Es ist 2008, im Parc des Princes in Paris geben vier Jungs aus Sachsen-Anhalt ein Konzert und sorgen für regelrechte Ekstase bei den Fans. „Wir werden immer wieder hier herkommen, nach Paris!“, ruft der Sänger Bill Kaulitz. Es war eines der frühen Konzerte von Tokio Hotel in Frankreich. Drei Jahre zuvor waren sie durch ihren Hit „Durch den Monsun“ weltberühmt geworden.
Bill Kaulitz mit Tokio Hotel bei einem Konzert in Paris 2007.
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Nicht mehr „galère“, sondern „genial“
Mégane Lemay ist heute Anfang 30, arbeitet als Deutschlehrerin und war ein Riesenfan von Tokio Hotel. Die Band habe für alles gestanden, was sie damals interessiert hat, erzählt sie in einer Sprachnachricht.
„Deutsch hat mir immer sehr gut gefallen und als die Band berühmt wurde, war es alles auf einmal: Coole Texte, coole Rockmusik und natürlich auch hübsche Kerle“.
Sie habe sich nicht wegen Tokio Hotel für Deutschland und die deutsche Sprache interessiert, sagt Mégane Lemay. „Aber zum ersten Mal hatte ich das Gefühl, dass ich irgendwie diese Leidenschaft für die deutsche Sprache mit anderen teilte“.
Kaum eine deutsche Band war in Frankreich so erfolgreich und wurde zu einem solchen Medienphänomen. Dank Tokio Hotel war Deutsch keine mühsame „galère“ mehr, sondern „genial“ – wenn auch schwer zu lernen.
Deutschlernen an französischen Schulen beliebt
Auch Katrin Goldmann erinnert sich gut an diese Zeit. Sie ist die Vizepräsidentin der Gesellschaft zur Förderung des Deutschunterrichts in Frankreich, kurz ADÖAF. „Ich habe auch Eltern in meiner Schule gehabt, die dann gefragt haben, ob man noch mal wechseln könnte, da die Tochter jetzt gerne Deutsch lernen möchte wegen Tokio Hotel“, erzählt sie am Telefon.
Die Band habe gezeigt, dass Deutschland auch kulturell attraktiv sein könne, so Katrin Goldmann. Tokio Hotel habe für eine gewisse Begeisterung für das Nachbarland, aber vor allem für die deutsche Sprache gesorgt. Durch konkrete Zahlen lässt sich das zwar nicht belegen. Doch die Lehrerin Mégane Lemay betont: „Ehrlich gesagt habe ich so ein Phänomen nie wieder erlebt.“
Plötzlich war auch Deutschland cool: Französische Fans von Tokio Hotel, die 2008 mehrere Tage auf vor dem Hotel der Band warteten
Seit 2021 nimmt die Zahl der Deutschlernenden ab
Deutsch ist bei den französischen Jugendlichen heute nicht mehr wirklich en vogue. Um die Jahrtausendwende habe knapp ein Fünftel aller Schülerinnen und Schüler in Frankreich Deutsch gelernt, erklärt Katrin Goldmann.
Bis Tokio Hotel kam, sei dieser Anteil gesunken, habe sich danach aber stabilisiert. Seit 2021 allerdings nimmt die Zahl der Deutschlernenden wieder ab. Aktuell liegt der Anteil bei 13 Prozent. Für viele Schulen lohnt sich der Unterricht nicht mehr.
„Manchmal gibt es Familien, die möchten, dass ihr Kind Deutsch lernt und das wird in der Schule nicht angeboten. Das sind also Schüler, die dann auch verloren gehen“, sagt die Expertin.
Tokio Hotel hat den Negativ-Trend verzögert
Tokio Hotel hat den Negativ-Trend vielleicht eine Zeitlang aufgehalten, aber nicht umgekehrt. Für Katrin Goldmann gibt es mehrere Erklärungsansätze für das fehlende Interesse an Deutsch bei französischen Schülern. Deutsch gelte nicht als Weltsprache, anders als etwa Spanisch. Noch dazu seien deutsche Kultur und vor allem Popkultur in der französischen Öffentlichkeit kaum präsent.
Auch Mégane Lemay kann das bestätigen: „Die Schüler von heute wissen mehr über deutsche Sportler oder Influencer, aber über deutsche Sänger. Aber wenn ich die Gelegenheit habe, ein bisschen deutsche Musik zu hören, dann sie sind immer sehr begeistert.“
Aber auch wenn die Zahl der Deutschlernenden in Frankreich sinkt, die Begeisterung für Tokio Hotel ist offenbar immer noch da. Im nächsten Jahr hat die Band zwei Konzerte in Paris angekündigt. Einer der beiden Termine ist schon jetzt ausverkauft.