Die Deutsche Bank verdunkelt Werner Plumpes Schaffen. Das ist nicht metaphorisch gemeint, sondern wörtlich. Vor den Fenstern von Plumpes Wohnung im Frankfurter Westend ragen die Zwillingstürme des Geldinstituts in die Höhe – zusammen mit den alten Bäumen vor dem Haus sind sie der Grund dafür, dass der Wirtschaftshistoriker in seinem Arbeitszimmer immer das Licht einschalten muss.
Es dürfte oft und lange hell sein in diesem Raum, denn zu tun hat Plumpe genug, auch wenn er als Professor der Goethe-Universität mittlerweile emeritiert ist. Als Vortragsredner und Gastautor ist der Siebzigjährige gefragter denn je, seit Donald Trump die Welt mit seinen Zollkapriolen in Atem hält. Plumpe hat ein Buch über das Wesen des Kapitalismus geschrieben („Das kalte Herz“) und erst kürzlich eines über Wirtschaftskriege, das macht ihn zum begehrten Gesprächspartner, wo immer man sich bemüht, den amerikanischen Präsidenten zu verstehen.
Werner PlumpeZeichnung Alfred Schüssler
Wer angesichts des Trump’schen Treibens Empörung und Verdammung erwartet, ist bei Plumpe an der falschen Adresse. Nüchtern ordnet der Gelehrte das Agieren des Präsidenten in die amerikanische Wirtschaftsgeschichte ein. Die Annahme, in den Vereinigten Staaten gebe es einen Widerstreit von kosmopolitischen und isolationistischen Kräften, sei falsch. „Jede US-Regierung hat konsequent im Interesse der eigenen Wirtschaft gehandelt. Auch Biden oder Obama waren knallhart, wenn es gegen China ging.“ Der Unterschied zu Trump sei vor allem, dass dieser mehr „Wind“ mache.
Dass aus diesem Wind ein Sturm wird, der mehr hinwegfegt als jahrzehntelang bewährte Handelsbeziehungen, schließt Plumpe nicht aus, er bleibt aber vorsichtig optimistisch. „Trump ist Teil eines internationalen Beziehungsgeflechts, das er nicht einfach komplett zerreißen kann.“ Zu hoffen sei, dass sich nach dem Ende der unipolaren, von den USA dominierten Weltordnung zwischen den stärksten Akteuren ein neues, von „Deals“ bestimmtes Gleichgewicht einstelle. Pessimistischer ist Plumpes Blick auf Deutschland. Wirkliche Aufbruchstimmung nach Amtsantritt der Regierung Merz vermag er nicht zu erkennen; sinkende Produktivität und mangelnder Reformwille im Land bei gleichzeitig rapide wachsender Verschuldung bereiten ihm große Sorgen. Dass Alice Weidel bald Kanzlerin wird, glaubt er nicht. Aber: „Die CDU müsste ihre Souveränität zurückgewinnen, um eigene Mehrheiten zu finden.“ Dass sie mittlerweile auf SPD, Grüne oder gar Linke angewiesen sei, um regierungsfähig zu bleiben, sei fatal.
Das sagt ein Mann, der von 1972 bis 1989 Mitglied der Deutschen Kommunistischen Partei war. Nach dem Tiananmen-Massaker verabschiedete sich Plumpe vom Marxismus, ein Parteibuch legte er sich nie wieder zu. Heute beschreibt er sich in Wirtschaftsfragen als „fast libertär“, gesellschaftlich als konservativ. Zu einem Geschichtsphilosophen, der vermeintliche Gewissheiten hinsichtlich des Weltenwandels formuliert, ist er aber auch als Apologet des Kapitalismus nicht geworden. Er akzeptiert, dass selbst große historische Kenntnis nicht mit hellseherischer Begabung einhergeht. Wird Deutschland die Wende doch noch schaffen? Auf diese Frage antwortet Plumpe mit einem Satz, der Professoren sonst schwer über die Lippen geht: „Ich weiß es nicht.“
Der vierfache Großvater – eine Enkelin studiert Wirtschaftssoziologie – wird sich weiter als Publizist und Redner betätigen. Wobei er an öffentlichen Auftritten eines besonders schätzt: Sie animierten das Publikum, anders als ein Buch, zu spontanen Reaktionen. Darin sieht er eine Parallele zu seiner Freizeitleidenschaft, dem Kochen: „Da weiß man auch nach 100 Minuten, ob etwas gelungen ist.“
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