Göttingen. Abends leeren sich die Lesesäle schneller als noch vor ein paar Wochen. Die Klausurenphase ist in der Niedersächsischen Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen (SUB) von der Zeit der Hausarbeiten abgelöst worden. Erschöpft blättert der Student noch ein wenig in den vor ihm ausgebreiteten Büchern, dann ist klar: Das war‘s für heute. Auf dem Weg zum Ausgang muss der Student drei Bücher abgeben, die Leihfrist endet heute. Und während er in die Göttinger Nacht hinaus tritt, beginnt für das abgegebene Buch eine faszinierende Reise durch die Katakomben der Zentralbibliothek.

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Hinter den Kulissen der SUB sorgen rund 400 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter für einen möglichst komfortablen Lern- und Plauderaufenthalt der Studentinnen und Studenten. Die Organisation der Medienbestände und deren Bereitstellung für die Bibliotheksnutzerinnen und -nutzer ist ein zentraler Bestandteil ihrer Arbeit. Und diese Arbeit findet vor allem in Bereichen der SUB statt, die einem im Lernalltag verborgen bleiben: Die Zentralbibliothek mit ihren charakteristischen Fingern reicht über vier Stockwerke tief in den Boden hinein.

Immer weniger Print-Leihen

Der Weg des Buches beginnt nach gewissenhaftem Gebrauch zu Studienzwecken am Selbstverbucher-Automaten, gleich neben der Empfangstheke im Eingangsbereich. Dass Nutzerinnen und Nutzer die entliehenen Werke selbstständig zurückgeben können, erleichtere die Abläufe für die SUB-Mitarbeiterinnen und -mitarbeiter, sagt Bibliothekarin Anna Rokosz. Es sorge aber ebenso für Schwierigkeiten – und zwar in dem (nicht so selten eintretenden) Fall, dass bei der Zurückbuchung irgendetwas falsch gemacht wird. „Im schlimmsten Fall fallen Gebühren an“, warnt die studierte Bibliotheks- und Informationswissenschaftlerin und rät: „Es ist immer sinnvoll, die Rückgabequittung mitzunehmen.“

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Franziska Peukert (links) und Anna Rokosz (rechts) an der Informationstheke der Zentralbibliothek.

Franziska Peukert (links) und Anna Rokosz (rechts) an der Informationstheke der Zentralbibliothek.

Jeden Morgen leeren Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Bibliothek das Regal für die zurückgegebenen Bücher und fahren es dafür ins Magazin. Dabei kommen sie an der Informationstheke vorbei, an der unter anderem Fernleihen aus anderen Bibliotheken zur Verfügung gestellt werden oder alte Bücher, die aus konservatorischen Gründen nicht aus dem Haus gegeben werden.

Auf dem Weg zum hinter einer unscheinbaren Holzwand verborgenen „Backoffice“ im Erdgeschoss der SUB liegt auch der Selbstabholbereich. Das ist der Ort, an dem das gewünschte Buch am Ende des Kreislaufs aus Rückgabe, Sortierung, Bestellung und Bereitstellung von den Bibliotheksnutzerinnen und -nutzern abgeholt und ausgeliehen werden kann. Diese Print-Ausleihen seien „immer weniger geworden, weil es immer mehr Werke digital gibt” und das für Studierende bequemer sei, sagt Rokosz.

Bücher am Fließband

Franziska Peukert, Stabsstellenleiterin der SUB-Öffentlichkeitsarbeit, merkt an, dass es sich dabei um einen „deutschlandweiten Trend“ handle. Insbesondere die Corona-Pandemie habe einen Digitalisierungsprozess in Universitätsbibliotheken in Gang gesetzt, der für eine wesentlich geringere Nachfrage an gedruckten Büchern gesorgt hat. Nachdem die Bibliothek wieder physisch benutzbar wurde, seien die Bestellungszahlen „nicht wieder auf das alte Maß zurückgegangen“, stellt Peukert fest.

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Im Backoffice werden die Bereitstellung der Bücher im Selbstabholbereich und die Eingliederung der zurückgegebenen Bücher ins unterirdische Magazin der SUB vorbereitet. Ein mechanisches Rumpeln, monoton, aber irgendwie beruhigend, dröhnt dem Besucher entgegen. Auf langen Bändern fahren Plastikwannen umher. Darin: jede Menge Bücher. Die Apparatur erinnert an eine Sicherheitskontrolle am Flughafen. Die elektronische Buchförderanlage „erleichtert sehr viel“, sagt Magazin-Leiter Andreas Kolle.

Die Bänder verbinden das Backoffice mit dem Allerheiligsten der SUB: dem Magazin. Unter dem für Bibliotheksbenutzerinnen und -benutzer zugänglichen Bereich der SUB befindet sich auf den Stockwerken -1, -2 und -3 Kolles Arbeitswelt. Aus diesen Beton-Katakomben können bestellte Bücher von 40 unterschiedlichen Stationen über die Buchförderanlage ins Backoffice geschickt werden. Der Lageplan der Anlage liest sich wie der Schaltplan einer komplizierten technischen Gerätschaft.

Alles im Blick: Andreas Kolle am Lageplan der Buchförderanlage.

Alles im Blick: Andreas Kolle am Lageplan der Buchförderanlage.

Im Magazin tief unter der Erde

Die SUB besteht aus der Zentralbibliothek und sieben anderen Standorten, die über den Campus verteilt sind – den sogenannten Bereichsbibliotheken. Im Hauptverteilerraum des Magazins werden die Werke im Aschenputtel-Prinzip sortiert: Jene für die Bereichsbibliotheken werden von denen getrennt, die im Haus bleiben. Inzwischen kommt etwa die Hälfte aller Bestellungen im Magazin der Zentralbibliothek aus den Bereichsbibliotheken.

Ein Großteil der rund 10 Millionen Medieneinheiten der SUB wird hier fernab des Tageslichts und gut belüftet aufbewahrt. Die menschenleere Ruhe, die künstliche Beleuchtung und zahllose Gänge voller Gelehrsamkeit: beklemmend und faszinierend zugleich.

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Je besser man sich auskennt, desto interessanter ist es.

Andreas Kolle,

Leiter des SUB-Magazins

Der Mensch im Angesicht von Millionen von Büchern. Diese befinden sich neuerdings auf Rollregalen. „Um Platz zu schaffen“, sagt Kolle. Denn der Bestand der SUB wächst. „Millionen Bücher passen hier nicht mehr rein”, sagt Kolle. Der Platz in der SUB sei endlich, sagt Peukert – das sei ein großes Thema.

Auf drei Stockwerken unter der Erde lagern Bücher im SUB-Magazin.

Auf drei Stockwerken unter der Erde lagern Bücher im SUB-Magazin.

Allen Rollbändern zum Trotz: Ohne Menschen geht es nicht. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Magazin suchen die jeweiligen Bücher aus den unüberblickbar scheinenden Gängen des Magazins heraus, nachdem sie die auch Studierenden bekannten Bestellscheine erhalten haben – das sind die bedruckten Zettel, auf denen zum Beispiel Teile der Matrikelnummer stehen, damit Studierende ihre Bestellung im Abholbereich finden können. Von hier schicken die SUB-Angestellten die Bücher in den Plastikwannen per Buchförderanlage in Richtung Backoffice, und von dort werden die Bücher in den Selbstabholbereich gebracht.

Die Bestellscheine gelangen ins Magazin.

Die Bestellscheine gelangen ins Magazin.

Wohin führt der Weg der SUB?

Die Faszination dieser Arbeit liege für ihn darin, ein Spezialist zu sein und den Durchblick über die kilometerlangen Regalreihen zu haben, sagt Kolle. „Je besser man sich auskennt, desto interessanter ist es“, findet der studierte Germanist. Im Magazin arbeite „eine bunte Mischung“ aus Quereinsteigern, Studierenden und gelernten Bibliotheksmitarbeiterinnen und -mitarbeitern.

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Im Zuge der Digitalisierung des Buchbestandes werden sich auch die Jobbeschreibungen der SUB-Bibliothekarinnen und -bibliothekare nachhaltig verändern. Rokosz resümiert, dass sich der Schwerpunkt verlagere. Neben den Kursangeboten der SUB (Kurse & Führungen) rückt für ihre Arbeit die Bibliothek als Lernort ins Zentrum. Die Besuchszahlen der SUB sind laut Rokosz „nach wie vor hoch“.

Für viele Studentinnen und Studenten sei die Bibliothek „ein öffentlicher Raum, an dem man sich ohne Rechtfertigung aufhalten kann“, sagt Peukert – anders als in Cafés mit teuren Cappuccinos und Chai Lattes. Umgeben von Büchern – was könnte inspirierender sein.

GT/ET