Es ist Ende Juli kurz vor der Sommerpause, wobei weder von Sommer noch von Pause etwas zu spüren ist. Elsa-Sophie Jach kommt gerade von der Probe, trägt Pulli und Regenjacke und lächelt einem warm entgegen. Sommer ist vermutlich auch eine Einstellungssache. Wer die 33-jährige Regisseurin kennt, weiß, wie intensiv sie sich mit Literatur auseinandersetzt, was Sprache ihr bedeutet. Umso überraschender ist es, dass ihr auf die Frage, welches Kunstwerk ihr Hoffnung gibt, „vor allen Dingen ein Künstler eingefallen ist – und zwar Paul Klee“, sagt sie, „ganz konkret ein Bild von ihm, nämlich der Goldfisch“.
Paul Klee, der 1879 geborene Maler und Grafiker, der eng mit der Künstlergruppe „Der Blaue Reiter“ verbunden war, als Kunstprofessor lehrte und dessen Werke von den Nationalsozialisten als „entartet“ diffamiert wurden, schuf „Der Goldfisch“ 1925. Für Elsa-Sophie Jach liegt viel Hoffnung und Fantasie, Leuchtkraft, etwas Verspieltes und Verrätseltes in diesem Bild. Und für sie gibt es – hier kommt ihre Liebe zur Sprache dazu – ein Gedicht von Klee, das, „auch wenn es sich nicht darauf bezieht, für mich viel damit zu tun hat“, wie sie sagt.
Im Regen, beschützt von einem großen Sonnenschirm, liest Jach die ersten Zeilen vor: „Diesseitig bin ich gar nicht faßbar./Denn ich wohne grad so gut bei den Toten,/wie bei den Ungeborenen./Etwas näher dem Herzen der Schöpfung als üblich./Und noch lange nicht nahe genug.“
Im Bild wie in den Gedichtzeilen sei die Sehnsucht spürbar, über den Moment des Diesseitigen hinauszugehen, sagt Jach. „Ich glaube, das ist, was man in der Kunst versucht: Dass man etwas über die Gegenwart erzählt, und sich gleichzeitig von ihr löst, einen Schritt über sie hinausgeht, Bezüge herstellt zu etwas Utopischem, Zukunftsgerichtetem oder zu vergangenen Zeiten, um etwas über die Gegenwart zu erfahren.“
Woher diese Faszination kommt, ist klar, wenn man Elsa-Sophie Jachs Theaterarbeiten kennt. Ihre Inszenierungen sind nie eindimensional, nie nur in einem Text und in einer Zeitebene verhaftet. Goethes „Werther“ verschneidet sie mit Texten von Karoline von Günderrode, beim „Käthchen von Heilbronn“ nimmt sie Christa Wolf hinzu, in ihrer „Romeo und Julia“-Inszenierung webt sie feministische Perspektiven ein oder Passagen aus „Hamlet“. Die Zeit geht durch ihre Arbeiten durch, Schicht für Schicht.
Regisseurin Elsa-Sophie Jach ist seit der Spielzeit 2022/23 Hausregisseurin am Residenztheater. (Foto: Magnus Lechner)
Wenn die 33-Jährige über ihre Ideen von Theater, über die Bedeutung von Kunst, über Literatur spricht, tut sie dies sehr reflektiert, man merkt, wie sie die Materie mit Kopf und Herz durchdrungen hat. Bei Paul Klees „Goldfisch“ ist es indes ein „intuitiver Zugang“, wie sie selbst sagt. Ihre Mutter hat ihr, als sie ein Kind war, das Werk zuerst als Postkarte gezeigt, mit „nachhaltiger Wirkung“ bis heute. Für sie erzähle das Bild von einer ganz großen „Finsternisbedrohung“ und gleichzeitig von „einer Art inneren Wahrheit“. „Man kann sich etwas bewahren, egal, was um einen herum passiert. Man muss auf das vertrauen, was in einem liegt“, sagt Jach. „Ich glaube, dass sich mir das Bild deshalb als sehr mutmachend eingeprägt hat.“
Während der Regen weiter auf den Sonnenschirm prasselt, erzählt Elsa-Sophie Jach von den Proben. Im Oktober wird sie die Uraufführung von Rainald Goetz‘ „Lapidarium“ auf die große Bühne bringen, der Autor hatte sie sich explizit als Regisseurin gewünscht. Und natürlich redet sie auch über Sprache und Literatur und über ein Buch, an das die Regisseurin ebenfalls im Zusammenhang mit Hoffnung denken musste: Sylvia Plaths „Die Glasglocke“. Müsste sie eines benennen, wäre dies ihr Lieblingsbuch, sagt Jach, obwohl es weder fröhlich noch utopisch sei.
Regisseurin Elsa-Sophie Jach
:Schockverliebt ins Theater
Seit dieser Spielzeit ist Elsa-Sophie Jach Hausregisseurin am Münchner Residenztheater – mit 31 Jahren. Jetzt kommt ihr „Käthchen von Heilbronn“ heraus. Den Klassiker traut man ihr eben zu. Ein Porträt.
„Die Glasglocke“ spielt in den Sechzigerjahren, teils in New York, die junge, talentierte Studentin Esther Greenwood erlebt eine Depression. Sylvia Plath, die selbst daran litt und Suizid beging, lässt ihre Protagonistin die tiefe Phase durchwandern und überstehen. Auch hier also – wie bei Klees „Goldfisch“ – eine Finsternis und ein Leuchten. „Mich beeindruckt, wie sie das schafft, von der Psychiatrie-Erfahrung, der elektrischen Therapie zu berichten und zugleich von diesem Weg, sich daraus zu kämpfen“.
Menschen, denen es gelinge, immer weiterzugehen, sich nicht erdrücken zu lassen von dem, was um einen herum passiere, sondern dies künstlerisch verarbeiten, „das ist etwas, das mir sehr viel Trost gibt“, sagt Jach. Zugegeben: Das könnte düster klingen, bei der 33-Jährigen wird es zu etwas Hoffnungsvollem. Sie faszinieren Künstler, Autorinnen, „die das Gefühl kennen, wenn der Boden brüchig wird. Die sich von dieser Brüchigkeit aber nicht verschlucken lassen, sondern die beginnen, auf dieser Brüchigkeit zu tanzen, auf diesen einzelnen Eisschollen – und das in Kunst verwandeln.“
In der SZ-Serie „Ein Stück Hoffnung“ empfehlen Künstler aus München und Bayern Werke, die sie optimistisch stimmen.