Ende Juli ist in Großbritannien eines der weltweit strengsten Internetgesetze in Kraft getreten. Das Ziel des sogenannten Online Safety Act (OSA): Minderjährige vor schädlichen Inhalten im Internet schützen. Doch die Realität sieht ganz anders aus: Erwachsene aus London und Manchester müssen nun ihre Pässe hochladen, Selfies an eine biometrische Prüfsoftware senden oder Bankdaten freigeben, um lediglich auf Websites zuzugreifen – ob bei Musikstreamingplattformen oder Pornoseiten.

Ofcom, die britische Medienaufsicht, treibt das Gesetz der sozialdemokratischen Regierung mit hoher Schlagzahl voran. Vier internationale Betreiber, die zusammen auf 34 Pornoseiten mit über neun Millionen monatlichen Nutzern kommen, werden derzeit untersucht. „Diese Gesetze haben nichts mit Zensur zu tun oder damit, Erwachsene beim Zugang zu legalen Inhalten zu überwachen“, so der Wissenschafts- und Technologieminister Peter Kyle. „Wer etwas anderes behauptet, spielt mit der Sicherheit von Kindern.“

Seit Einführung des Gesetzes: VPN-Dienste werden massenweise runtergeladen

Auch wenn die Regierung von Premier Keir Starmer erzählt, es gehe bei dem Gesetz „nicht um Zensur“, sondern um Kinderschutz, zeigten die vergangenen Tage, dass es bis zum vollumfänglichen digitalen Überwachungsstaat nicht mehr weit ist. Die verlangten „hochwirksamen“ Altersprüfungen bedeuten nämlich, dass sensible biometrische Daten bei Drittanbietern wie Yoti hinterlegt werden, wobei oft unklar ist, was genau mit diesen Informationen langfristig geschieht. Für die Briten ohne gültige Ausweise oder eigene Handys und Computer bedeutet der OSA eine faktische Internetsperre.

Die Opposition sowie Bürgerrechts- und Datenschutzorganisationen kritisieren das Internetgesetz scharf. „Das ist eine Bedrohung für die Privatsphäre der Nutzer, schränkt die freie Meinungsäußerung ein und schließt Menschen ohne Ausweis oder eigene Geräte vom Netz aus“, warnt Organisation Electronic Frontier Foundation. Dass die technische Infrastruktur für diese Kontrollen erst jetzt geschaffen werde, sorgt ebenso für Unruhe. Was einmal installiert sei, lasse sich leicht für andere Zwecke einsetzen – von politischer Inhaltsfilterung bis hin zu flächendeckender Verhaltensüberwachung.

In einer Parlamentspetition fordern mittlerweile mehr als 500.000 Unterzeichner die Aufhebung des Gesetzes. Nigel Farage, der in aktuellen Umfragen mit seiner rechten Reform-UK-Partei mit 31 Prozent deutlich vor der Labour-Partei (21 Prozent) und den Konservativen (17 Prozent) liegt, spricht von „einem an der Grenze zur Dystopie liegenden Staat“, sollte der Online Safety Act im Vereinigten Königreich nicht zurückgenommen werden.

Allen voran der Reichweiteneinbruch bei bekannten Pornoseiten ist derzeit eines der Topthemen bei den Briten. Kaum war der OSA in Kraft, stürzten die Zugriffszahlen auf Seiten wie Pornhub und XVideos fast um die Hälfte ab; die Plattform OnlyFans verzeichnete binnen einer Woche ein Minus von über zehn Prozent. Zugleich laden sich immer mehr Briten – auch Politiker – VPN-Dienste auf ihre Handys. Im App-Store-Chat zählen derzeit VPN-Apps, mit denen IP-Adressen und Standorte verschleiert werden können, zu den am meisten heruntergeladenen Apps in Großbritannien.

Aylo, die Muttergesellschaft von Pornhub, meint jedoch, solche Altersprüfungen seien „ineffektiv, unkoordiniert und gefährlich“. In einem Statement schreibt das Unternehmen: „Die Menschen haben nicht aufgehört, Pornos zu schauen. Sie sind nur in dunklere Ecken des Internets ausgewichen, die keinen Altersnachweis verlangen. In der Praxis machen die Gesetze das Internet für Erwachsene und Kinder gefährlicher.“

Britisches Online-Gesetz: Ziehen die Europäer nach?

Das Gesetz trifft jedoch nicht nur die Erotikbranche, sondern auch die großen Player der sozialen Medien. Dem Online Safety Act zufolge haben Social-Media-Betreiber wie TikTok, Instagram und Facebook von kommendem Jahr an die Pflicht, ihre Nutzer, insbesondere Kinder und Jugendliche, vor potenziell schädlichen Inhalten zu schützen: etwa Inhalte zu Suizid oder Essstörungen. Betreiber müssen demnach Alterskontrollen einsetzen oder sie riskieren Bußgelder von bis zu zehn Prozent ihres globalen Umsatzes.

Plattformen wie X und Reddit haben bereits Alterskontrollen eingeführt – mit teils unbeabsichtigten Nebenwirkungen. Politische Inhalte verschwanden hinter Altersbarrieren, weil Algorithmen sie fälschlich als „nur für Erwachsene“ einstuften. Die Grundstimmung im Netz ist derweil eindeutig. „Ich denke, dass es sich um eine schädliche Gesetzgebung handelt, die vielen Unternehmen schaden und niemanden schützen wird“, schreibt ein User auf Reddit. Das Gesetz könne auch als Waffe eingesetzt werden, da sehr vage kommuniziert werde, was „schädlicher Inhalt“ eigentlich bedeute, kommentiert ein anderer.

Das britische Internetgesetz hat zudem Signalwirkung über das Vereinigte Königreich hinaus. Französische Gerichte haben kürzlich bestätigt, dass Pornoseiten Altersprüfungen verlangen dürfen, die EU testet im Rahmen des Digital Service Act (DAS) eine eigene Altersüberprüfungs-App. In Australien verabschiedete die Regierung sogar schon ein Social-Media-Verbotsgesetz für unter 16-Jährige. Der britische OSA verdeutlicht jedoch, wie schnell sich eine vermeintliche Schutzmaßnahme in ein umfassendes, von der Regierung beherrschtes Kontrollinstrument verwandeln kann.