Stand: 18.08.2025 05:21 Uhr

Die Antibabypille feiert ihren 65. Geburtstag. Seit der Einführung auf den Markt gab es neben Lob auch Kritik. In den vergangenen Jahren nahmen immer weniger Frauen die Pille. Woran liegt das?

Von Wiebke Drescher, tagesschau

Einst war sie ein Symbol für die Selbstbestimmung der Frau, heute wird sie zunehmend hinterfragt: die Antibabypille. Bis 2018 war sie das meistgenutzte Verhütungsmittel bei jungen Erwachsenen (18 bis 49 Jahre), doch heute hat das Kondom die Pille abgelöst. Das zeigen die Ergebnisse einer Befragung der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) von 2023. Ein Hauptgrund für diesen Trend sind demnach ihre Nebenwirkungen.

Die Geburt der Antibabypille

Die Idee, dem Körper eine Schwangerschaft vorzutäuschen, entstand bereits in den 1920er-Jahren. In den 1950er-Jahren gelang es einem Forscherteam um den US-Endokrinologen Gregory Pincus, die Sexualhormone Progesteron und Östrogen künstlich herzustellen. Progesteron unterdrückt den Eisprung, während Östrogen die Verträglichkeit verbessert.

Nach ethisch umstrittenen Tests an Frauen in Puerto Rico wurde das Produkt „Enovid“ 1957 in den USA zugelassen. Zunächst wurde es jedoch nur als Mittel gegen Menstruationsbeschwerden für verheiratete Frauen mit mehreren Kindern verschrieben. Die empfängnisverhütende Wirkung wurde lediglich als Nebenwirkung im Beipackzettel erwähnt.

Am 18. August 1960 wurde die Pille in den USA als offizielles Verhütungsmittel zugelassen. Ein Jahr später kam „Anvolar“ in der Bundesrepublik auf den Markt, 1965 folgte das Präparat „Ovosiston“ in der DDR, wo es 1972 für sozialversicherte Frauen sogar kostenlos war.

Der Mythos des „Pillenknicks“

Ende der 1960er-Jahre sank die Geburtenrate in der BRD von durchschnittlich 2,5 auf 1,5 Kinder pro Frau – der sogenannte Pillenknick. Doch heute wird dieser Rückgang nicht nur der Pille zugeschrieben. Vielmehr beeinflussten Wohlstand, neue Lebensmodelle wie Selbstverwirklichung und Erwerbstätigkeit sowie die fehlende Kinderbetreuung die Familienplanung vieler Frauen.

In der DDR war der Rückgang weniger drastisch, da Kinderbetreuung und Familienleistungen besser ausgebaut waren. Die Geburtenrate sank zwar auch hier, jedoch langsamer als im Westen.

Moralische Bedenken

Anfangs wurde die Pille in Westdeutschland eher zurückhaltend aufgenommen. Besonders die katholische Kirche fürchteten eine Förderung außerehelichen Geschlechtsverkehrs – ein Wertemodell, was nicht in die westdeutsche Gesellschaft passte. Die Medizinhistorikerin Sophia Wagemann von der Charité Berlin erklärt: „Der Einfluss des Katholizismus und konservative Werte waren in der BRD sehr stark, viele Ärztinnen und Ärzte verschrieben die Pille zunächst zögerlich.“

Zudem sorgte der Contergan-Skandal für Skepsis gegenüber neuen Medikamenten, sodass die breite Anwendung erst in den 1970er-Jahren in der BRD begann. In der DDR wurde die Pille positiv propagiert, was zu einer höheren Akzeptanz führte.

Forderung nach Transparenz

Bereits in den 1970ern und 1980ern wurde medizinisches Expertenwissen zunehmend hinterfragt. Dies führte zu verstärkter Kritik an der Pille und der Forderung nach transparenter Aufklärung. Denn: „Eine großangelegte Studie zu den Nebenwirkungen der Pille zu vollziehen, die fand in der Form in der Bundesrepublik und der DDR in dem Zeitraum bis in die 80er-Jahre nicht statt“, so Wagemann.

Kritisiert wurden Krebs- und Thromboserisiko sowie psychosomatische Beschwerden. Ähnlich wie heute gab es zudem „die Kritik, dass es vorschnell verabreicht wird, Nebenwirkungen nicht ernst genommen werden. Da hat sich heute gar nicht so viel verändert“, so die Expertin.

Auch heute lässt sich diese Skepsis feststellen. Subjektive Erfahrungen mit der Pille werden in sozialen Medien verbreitet, das Absetzen der Pille wird dort als „Befreiungsschlag“ gefeiert, wie eine Studie der TU Ilmenau zeigt. Diese Plattformen seien zu einer Hauptquelle für kritische Informationen und persönliche Erfahrungsberichte geworden, heißt es in der Studie. Aber auch Wissen und Erfahrungsaustausch über alternative Verhütungsmethoden wie die Kupferspirale verbreiten sich über soziale Netzwerke. 

Die Nebenwirkungen der Hormone

Das erhöhte Thromboserisiko ist die am besten untersuchte Nebenwirkung. Mit der Einnahme der Pille verdoppelt sich das Risiko mindestens. „Das hört sich dramatisch an, deshalb ist es wichtig die absoluten Zahlen zu kennen: Das Thromboserisiko bei Frauen ist gering, es liegt bei zwei bis vier pro 10.000. Eine Verdopplung erhöht es ’nur‘ auf sechs bis acht pro 10.000“, sagt Gynäkologin Claudia Schumann-Doermer.

Das Risiko variiert je nach Pillenpräparat. Die sogenannte Pille der zweiten Generation mit dem Gestagen LNG hat das geringste Thromboserisiko (fünf bis sieben von 10.000 Frauen), während es bei der neueren vierten Generation bei neun bis 12 von 10.000 liegt. Die Zusammensetzung von Östrogen und Gestagen ist hier entscheidend: Östrogene verbessern zwar die Verträglichkeit, erhöhen aber das Thromboserisiko. Pillen mit höheren Gestagenanteilen sind wiederum nicht so verträglich.

Ein möglicher Zusammenhang zwischen der Pille und Depressivität wird ebenfalls diskutiert. Eine dänische Kohortenstudie von 2023 fand einen deutlichen Zusammenhang bei jüngeren Frauen, die Ergebnisse seien jedoch kein eindeutiger Beweis, da man die sozialen Umstände der Frauen nicht kenne, sagt Schumann-Doermer. Frauen sollten dennoch vor Einnahme nach depressiven Vorerkrankungen gefragt und eng betreut werden.

Doch eine Pille ohne Nebenwirkungen wird es wohl nie geben. „Wenn man in den hormonellen Zyklus eingreift, dann muss es Nebenwirkungen geben – sowohl psychisch als auch körperlich. Die können positiv und negativ sein“, sagt Schumann-Doermer.

Alternativen zur hormonellen Verhütung

Die Pille gilt als sehr sichere Verhütung. Dennoch suchen viele Frauen zunehmend hormonfreie Alternativen. Deshalb haben Fachärztegesellschaften zwei Leitfäden erstellt, um über die hormonelle Verhütung sowie Alternativen zu informieren.

Gynäkologin Schumann-Doermer ist selbst Mitglied im Beirat der Deutsche Gesellschaft für Psychosomatische Frauenheilkunde und Geburtshilfe und hat an der Leitlinie mitgearbeitet. Sie hofft, dass die Empfehlungen auch angenommen werden: „Ich wünsche mir, dass meine Fachgesellschaft akzeptiert, dass Mädchen und Frauen nach Alternativen zur Pille suchen und sie dann so berät, dass sie mit den Alternativen gut zurechtkommen.“