Ob EU-Kommissionspräsidentin, NATO-Generalsekretär oder unser deutscher Bundeskanzler: Die gesamte europäische Führung hat sich auf den Weg nach Washington gemacht, um dem ukrainischen Präsidenten bei dessen Gesprächen beizustehen.
Dabei ist die Rolle einer Person, die ich sonst oft und gerne kritisiere, nicht unter den Tisch zu kehren. Friedrich Merz gilt unter den EU-Chefs als jener, der aktuell den besten Draht zu Trump hat. Es ist ziemlich offensichtlich, dass Trump die Gruppe heute vor allem auch dank Merz begrüßen wird. Nach den Zeiten einer hadernden Bundesregierung ist das tatsächlich ein Lichtblick, der hoffentlich auch den Ukrainern Mut macht. Die folgende Kritik trifft Merz daher nicht selbst, sondern vielmehr die Vorgängerregierung und andere Verantwortliche.
Worte verlieren an Gewicht
Denn zur Wahrheit gehört: Hätte Europa strategisch stärker in die Rüstungsindustrie investiert und der Ukraine zeitgleich alle benötigten Waffen zur Verfügung gestellt, müssten die EU-Staatschefs heute nicht als Bittsteller vor Trump auftreten.
In den letzten Jahren, und insbesondere in den vergangenen Wochen, gab es zahlreiche wichtig klingende Briefe und Papiere europäischer Führungspersönlichkeiten. „Wir stehen unverrückbar an der Seite der Ukraine“ oder „Es wird keinen Deal ohne die Zustimmung der Ukraine geben.“ Das klingt zunächst gut, verliert aber zunehmend an Gewicht. In einer Welt der Trumps und Putins zählen immer weniger diplomatisches Geschick oder vertrauensvolle Gespräche. Entscheidend ist allein militärische Stärke – sie beeindruckt und garantiert einen Platz am Verhandlungstisch.
Über den Autor
Dario Schramm war von 2020 bis 2021 Bundesschülersprecher, danach Studium Politik & Recht (im Winter 2024 beendet) – Buch „Die Vernachlässigten“ erschienen bei DroemerKnaur 2022. Seit 2022 Public Affairs Manager bei simpleclub, Mitglied der SPD und im Vorstand des Deutschen EdTech-Verbandes. Abseits davon überall zu finden, wo Wasser ist!
Allen voran steht da einer, der wie kein anderer für Selbstinszenierung steht: Emmanuel Macron. Diese Kunst der Darstellung hat nicht nur ihn selbst bekannt gemacht. Schon länger folge ich – wie rund 250.000 weitere Personen – Soazig de la Moissonnière auf Instagram, Macrons persönlicher Fotografin. Die Bilder, die sie dort veröffentlicht, zeigen wunderbar, wie Macron tickt: Egal in welcher Situation er sich befindet – der allerwichtigste Fokus ist und bleibt die perfekte Pose für das nächste Bild.
Doch warum dieser kleine Ausflug in die französische Fotokammer? Macron war und ist einer jener Politiker, die gerne für eindrucksvolle Bilder in die Ukraine reisten oder andere Staatschefs in Europa zu mehr Hilfen aufriefen. Zeitgleich investierte sein Land weniger als 0,2 % des BIP in die Unterstützung der Ukraine. Deutschland gab gemessen an seinem BIP mit 0,4 % mehr als das Doppelte.
Ernst der Lage wird zu spät erkannt
Rückblickend wird man viele Solidaritätsbekundungen in Form von Besuchen, Reden und Papieren finden. Vergeblich wird man jedoch nach dem strategischen Aufbau einer starken Rüstungsindustrie oder gemeinsamer europäischer Armeen suchen, die der Lage wirklich angemessen gewesen wären. Das zeigt sich exemplarisch am Munitionsmangel in der Ukraine: Viel zu zögerlich baute man hier gemeinsam mit Unternehmen wie Rheinmetall neue Produktionskapazitäten auf. Es fehlte – so wirkt es bis heute – die klare Erkenntnis, wie ernst die Lage ist und war.
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Man stelle sich vor, die Ukraine hätte seit Monaten ausreichend militärisches Gerät, Munition und strukturelle Unterstützung durch Ausbildungsprogramme aus ganz Europa erhalten. Zum einen gäbe es vermutlich deutlich weniger von Russland besetzte Gebiete. Zum anderen hätte die Stimme Europas auf internationalem Parkett erheblich mehr Gewicht.
Insofern geht es heute in den USA nicht nur um die Rettung der Ukraine. Die europäischen Chefs wollen – und müssen – auch Schadensbegrenzung für ihr eigenes Zögern bei den Ukrainehilfen der vergangenen Jahre betreiben.
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