AUDIO: Einmalig und aufwendig: Kirchner-Gemälde verlässt Kanzleramt (3 Min)
Stand: 18.08.2025 14:44 Uhr
Das große Ölgemälde „Sonntag der Bergbauern“ von Ernst Ludwig Kirchner hat zum ersten Mal seit 50 Jahren das Kanzleramt verlassen – für eine Reise zu einer Kirchner-Ausstellung nach Bern. Der Transport ist ein kniffliges Unterfangen.
Als alles vorbei war, als das überdimensionale Holzpaket sicher auf dem Boden vor dem Bundeskanzleramt gelandet war, atmete Nina Zimmer sichtlich auf. Es blieben: „Schweißnasse Handflächen und großes Vertrauen in die Profis“, sagte sie erleichtert.
„Sonntag der Bergbauern“: Ölgemälde mit Geschichte
Zimmer ist Direktorin des Kunstmuseums Bern, und das leiht sich ein ganz besonderes Bild aus dem Bundeskanzleramt: „Sonntag der Bergbauern“ von Ernst Ludwig Kirchner. Das 1923/1924 entstandene Werk zeigt eine figurenreiche, farbkräftige Idylle in der Bündner Bergwelt. Damals hatte Kirchner, traumatisiert von seinen Erfahrungen im Ersten Weltkrieg, Deutschland schon in Richtung Schweiz verlassen. Noch vor Beginn des Zweiten Weltkriegs beging der Maler Suizid.
Der expressionistische Maler Ernst Ludwig Kirchner wird 1880 in Aschaffenburg geboren. Zusammen mit drei anderen Architekturstudenten – Erich Heckel, Fritz Bleyl und Karl Schmidt-Rottluff – gründet er 1905 in Dresden die Künstlergruppe die „Brücke“. Weitere wichtige Mitglieder sind Max Pechstein und Emil Nolde. Die Gruppe gilt als Wegbereiter des deutschen Expressionismus. Mit ihren holzschnittartigen Werken bildet sie Szenen aus Stadtleben, Tanz und Varieté ab, später kommen Landschaftsporträts dazu. Wegen interner Streitigkeiten löst sich die Gruppe im Mai 1913 auf. Die Nationalsozialisten diffamieren expressionistische Kunst und insbesondere die „Brücke“-Werke später als „entartet“. Wohl auch aus tiefer Enttäuschung über diese staatliche Hetze gegen seine Kunst nimmt Kirchner sich 1938 in der Schweiz das Leben.
Im Nationalsozialismus galt seine Kunst als „entartet“. Seine Bilder wurden aus Museen entfernt und beschlagnahmt. Nach Kriegsende kümmerte sich der berühmte Kunstmakler Roman Norbert Ketterer um Kirchners Nachlass. Ketterer war bekannt mit Bundeskanzler Helmut Schmidt. So landete „Sonntag der Bergbauern“ im Kanzleramt, erzählt Zimmer.
Kirchner-Bild als Symbol für neue Zeit
Ein großes Team trägt das Bild vorsichtig durch das Treppenhaus.
„Für den Bundeskanzler Helmut Schmidt war es auch als Symbol wichtig, dass die neue deutsche Bundesrepublik die verfemte Moderne wieder ins Land holt“, sagt Zimmer. Er habe gewollt, dass die Sammlungen, aber auch die Institutionen zur damals aus Deutschland vertriebenen Moderne stehen. „Kirchner gehört dazu. Deswegen ist er auch in die Schweiz gegangen und der Nachlass dann dort geblieben.“
Viele Bundeskanzler sind seitdem ins Kanzleramt ein und wieder ausgezogen, aber das einen Meter siebzig mal vier Meter große Bild ist geblieben und machte auch den Umzug von Bonn nach Berlin mit. Es hängt prominent im Kabinettssaal, weshalb es auch häufig in den Nachrichtensendungen im Fernsehen zu sehen ist.
Vom fünften Stock in den Ehrenhof des Kanzleramts
Das verpackte Bild wird in ein Geschirr gehängt und von einem Kran nach unten transportiert.
Doch um ein so großes Gemälde auf die Reise in die Schweiz vorzubereiten und zu verpacken, braucht es ein großes Team. Die kräftigen Träger sind ausgerüstet mit Bohrmaschinen, Staubsauger und Handschuhen. Zuerst wird das große Gemälde in einem Transport-Rahmen fixiert. Dann wird es vorsichtig aus dem Kabinettssaal im fünften Stock in den vierten Stock getragen. Dort bekommt es quasi einen Deckel. Der wird mit zahlreichen Schrauben fest aufgesetzt.
Schließlich schieben die Pack-Profis die kostbare Fracht in eine überdimensionale Transportkiste und diese auf die Terrasse. Und dann kommt der besonders heikle Teil: Die Kiste wird in eine Art Geschirr gehängt und abermals fixiert. Dann leistet ein Kran den Rest. Langsam hebt er das Bild aus dem vierten Stock hinab in den Ehrenhof, wo ein Lkw für die Fahrt nach Bern bereitsteht.
Treffen mit „Alpsonntag. Szene am Brunnen“
Nun ist das Kirchner-Gemälde auf dem Weg zu einer ganz besonderen Wiedervereinigung. Im September beginnt im Kunstmuseum Bern die Ausstellung „Kirchner x Kirchner“. „Sonntag der Bergbauern“ wird dann neben seinem Pendant „Alpsonntag. Szene am Brunnen“ ausgestellt – zum allerersten Mal seit mehr als 90 Jahren. So hatte Ernst Ludwig Kirchner es sich einst vorgestellt.
Viele Universitäten kooperieren mit Kultureinrichtungen, um Studierenden praktische Einblicke in die Arbeitswelt zu bieten.
Wie ein Meister des Expressionismus zum umstrittenen Künstler wurde.
Schlagwörter zu diesem Artikel