Präsident Selenskyj bekommt in Washington Rückendeckung der europäischen Spitzenpolitik – diese will einen Bruch mit den USA verhindern (picture alliance / dpa / POOL AFP / John Macdougall)
Wahrscheinlich nie zuvor ist ein ausländischer Staatsgast mit einer so gut bezahlten Leibwächtertruppe ins Weiße Haus gekommen, wie heute Wolodymyr Selenskyj. Fünf europäische Staats- und Regierungschefs, die Präsidentin der EU-Kommission und der NATO-Generalsekretär begleiten den ukrainischen Präsidenten als politische Bodyguards nach Washington.
Alle haben in finsterer Erinnerung, wie das Oval Office Ende Februar zu einer Falle für Selenskyj geworden war. Vor laufenden Kameras hatten Donald Trump und sein Vizepräsident JD Vance Selenskyi in einer abgekarteten Inszenierung zu demütigen versucht. Die Sorge, dass Trump die Seiten gewechselt hat und sich die Machtsphären zumindest in Europa in einer imperialen Geste mit Wladimir Putin aufteilen möchte, hat seit dem bizarren Treffen der beiden Präsidenten Ende vergangener Woche neue Nahrung erhalten.
Es geht um mehr als das Ende des Kriegs gegen die Ukraine
Die Gruppenreise der Europäer nach Washington ist eine fast verzweifelt anmutende Rettungsmission. Es geht dabei nicht allein um das Ende des Krieges gegen die Ukraine, die territoriale und politische Integrität des Landes, das persönliche Schicksal Wolodymyr Selenskyjs.
Es geht um die Frage, wie die Welt insgesamt in Zukunft geordnet wird, ob irgendwelche Regeln, Werte oder Jahrzehnte gewachsene Partnerschaften überhaupt noch eine Rolle dabei spielen. Oder ob es nur noch um nackte Macht- und Herrschaftsansprüche geht, die von mehr oder weniger autokratisch regierenden Egomanen unter sich ausgehandelt werden.
Trump, Putin und ihre Machtinstrumente
Trump und Putin haben die entscheidenden Instrumente zur skrupellosen Durchsetzung ihrer Begehrlichkeiten in den Händen. Putin in Form der Raketen und Drohnen, die er vor, während und nach den vermeintlichen Friedensgesprächen mit dem US-Präsidenten gegen die Ukraine abfeuerte. Trump in Gestalt der militärischen Kapazitäten, ohne die Europa derzeit weder einen Frieden in der Ukraine noch die Stabilität des ganzen Kontinents absichern kann.
Die Europäer werden an diesem Montag im Weißen Haus alles auf den Tisch legen, was sie haben: Der Hinweis auf gigantische Schuldenpakete, mit denen die eigenen Verteidigungsanstrengungen verstärkt werden sollen. Zumindest in Andeutungen werden sie Trump die Bereitschaft signalisieren, sich auch mit dem Einsatz von Soldaten an Sicherheitsgarantien für die Ukraine zu beteiligen.
Ist der Bruch mit den USA abzuwenden?
Aber zugleich wissen sie, dass sie eine wirksame Abschreckung Putins noch auf Jahre nur mit der Hilfe der USA erreichen können. Noch Ende Juni haben sich die Europäer und NATO Generalsekretär Rutte bis an den Rand der Selbstaufgabe vor Trump in den Staub geworfen, um Kohle in den unersättlichen Ego-Ofen des US-Präsidenten zu schaufeln.
Jetzt wird sich zeigen, ob das genügt hat, um eine unverhohlene Abwendung Trumps von der Ukraine und damit von Europa zu verhindern. Endet das Spitzentreffen in einem historischen Bruch zwischen den einstigen transatlantischen Partnern, wacht Deutschland morgen in einer anderen Welt auf. Die Ukrainerinnen und Ukrainer wären nur die ersten, die einen immensen Preis dafür bezahlen müssten.
Stephan Detjen, Chefkorrespondent von Deutschlandradio. Studierte Geschichtswissenschaft und Jura an den Universitäten München, Aix-en-Provence sowie an der Hochschule für Verwaltungswissenschaften in Speyer. Rechtsreferendariat in Bayern und Redakteur beim Bayerischen Rundfunk. Seit 1997 beim Deutschlandradio, zunächst als rechtspolitischer Korrespondent in Karlsruhe. Ab 1999 zunächst politischer Korrespondent in Berlin, dann Abteilungsleiter bei Deutschlandradio Kultur. 2008 bis 2012 Chefredakteur des Deutschlandfunk in Köln. Seitdem Leiter des Hauptstadtstudios Berlin sowie des Studios Brüssel.