Der italienische Medienkonzern Media for Europe (MFE) kommt dem Ziel näher, den deutschen Privatsender Pro Sieben Sat.1 unter seine Kontrolle zu bekommen. Das aus Aktien und Bargeld bestehende Übernahmeangebot der Italiener haben bis zur Nacht auf den 14. August knapp 10,3 Prozent der Pro-Sieben-Sat.1-Aktionäre angenommen, wie das italienische Unternehmen mitteilte. Damit steigt der Anteil des MFE-Konzerns, der von der Familie Berlusconi beherrscht wird, auf gut 43,5 Prozent und etwa ebenso viele Stimmrechte. Die Schwelle von 50 Prozent, von der an Pro Sieben Sat.1 bei MFE konsolidiert werden müsste, ist damit im ersten Anlauf zwar unterschritten, doch sie rückt immer näher. Es bleibt auch noch Zeit: Die Angebotsfrist wurde um zwei Wochen verlängert. Am 4. September will das Unternehmen den endgültigen Stand bekannt geben. MFE hat zudem danach noch die Möglichkeit, Aktien am Markt hinzuzukaufen.

In dem Übernahmekampf um den größten deutschen Privatsender konkurriert MFE mit dem tschechischen Investor PPF, dem zweitgrößten Aktionär hinter der Berlusconi-Gesellschaft. Seine Ge­gen­offerte stößt jedoch auf weniger Zuspruch: Nach Ablauf der Annahmefrist hält die Holding der Erben des Milliardärs Petr Kellner rund 18,4 Prozent an Pro Sieben Sat.1. Das sind nur rund zwei Prozentpunkte mehr als bei Abgabe der Offerte. Eigentlich wollten die Tschechen ihre Beteiligung auf knapp 30 Prozent fast verdoppeln. PPF hatte mit sieben Euro je Pro-Sieben-Sat.1-Aktie ein reines Aktienangebot abgegeben. Es überzeugte den Finanz­investor General Atlantic, der seine Pro-Sieben-Anteile tauschte, doch kaum wei­tere Anteilseigner.

Berlusconi-Sohn will paneuropäischen Fernsehkonzern schaffen

In MFE-Kreisen gab man sich am Montag gelassen hinsichtlich des Zwischenergebnisses. Das Unternehmen hatte schon in der Vergangenheit signalisiert, dass es nicht unbedingt eine Mehrheit brauche, um die Kontrolle zu übernehmen. Eine negative Folge einer daraus resultierenden Bilanzkonsolidierung wäre die Übernahme der vergleichsweise hohen Schulden von Pro Sieben. Doch gleichzeitig eröffnet das Überschreiten der 50-Prozent-Schwelle mehr Möglichkeiten für das Realisieren von Synergien.

So hatte MFE – auch wegen des Kon­kurrenzdrucks von PPF – seine Offerte Ende Juli kräftig erhöht. Sie umfasst nun je Pro-Sieben-Aktie neben einem Barelement von 4,48 Euro 1,3 A-Aktien von MFE. A-Aktien sind mit weniger Mitspracherechten verbunden, sie sehen nur eine Stimme je Aktie vor, während die B-Aktien zehn Stimmrechte mit sich bringen. Die Familie Berlusconi sichert sich mithilfe der B-Aktien über ihre Holding Fin­invest die Mehrheit der Stimmrechte. Doch für etliche institutionelle und auch private Aktionäre haben die Mitspracherechte nur eine untergeordnete Bedeutung, denn die Teilhabe an der Dividende ist die gleiche. Die Investoren scheint es auch nicht zu stören, dass der Handel mit A-Aktien in der Vergangenheit nicht immer sehr liquide war. Darauf wies PPF hin.

Strategisch gesehen, strebt MFE die Schaffung eines paneuropäischen Fernsehkonzerns an, der Technologien, Einkauf und Werbestrategien vereinheitlichen will, die Inhalte aber weitgehend lokal lässt. Ermutigt fühlt sich der MFE-Vorstandsvorsitzende Pier Silvio Berlusconi, der älteste Sohn des verstorbenen Ex-Ministerpräsidenten und Konzerngründers Silvio Berlusconi, von seinen Erfahrungen in Spanien. Das dortige TV-Geschäft sorgte im vergangenen Jahr für 28 Prozent der MFE-Konzernerlöse von knapp 3 Milliarden Euro sowie für mehr als 40 Prozent des Betriebsergebnisses von 356 Millionen Eu­ro. Zwischen 2020 und 2023 brachte Spanien sogar mehr Gewinne ein als der italienische Markt, wo MFE der dominierende Anbieter vor dem öffentlich-rechtlichen Fernsehen ist.

US-Streaminganbieter bedrohen Geschäft der TV-Konzerne

Der Einstieg der Berlusconis in den spanischen Fernsehmarkt begann bei Telecinco – schon der Name erinnerte an ihren italienischen Kanal Canale 5. Von den Neunzigerjahren an erhöhte er seine Anteile, bis er 2002 52 Prozent besaß. Mit Telecinco revolutionierte Silvio Berlus­coni das spanische Privatfernsehen mit der Einführung von Formaten, die zuvor in Italien erfolgreich waren. Vorbild für „Mamachico“ war „Tutti Frutti“. Später folgten Realityshows wie „Gran Hermano“ (die spanische Version von „Big Brother“) und Klatschsendungen wie „Sálvame“, das bis 2023 lief. Telecinco prägte die spanische Fernsehlandschaft – und den Begriff „Telebasura“ (Trash-TV).

Zur spanischen Tochtergesellschaft Mediaset España gehören heute die Sender Cuatro, Factoría de Ficción (FDF), Boing, Divinity, Energy und Be Mad sowie die Werbetochtergesellschaft Publiespaña und die Nachrichtenagentur Atlas. Seit 2025 bietet die Plattform Mediaset Infi­nity zudem Inhalte aller Mediaset-Sender an. Das Streaminggeschäft wird in Spanien immer wichtiger, das zum „Hollywood Europas“ werden will. In Tres Cantos bei Madrid hat Netflix seinen einzigen Produktionsstandort in Europa, dort will das amerikanische Unternehmen in den nächsten Jahren eine Milliarde Euro investieren. Die großen Streaminganbieter aus den Vereinigten Staaten sind für die europäischen TV-Konzerne eine immer größere Konkurrenz, auf die Europa mit der Ballung seiner Kräfte reagieren müsse, findet Pier Silvio Berlusconi.

MFE kündigte 2022 an, bei Mediaset España alle Anteile und damit die vollständige Kontrolle zu übernehmen. In Spanien wurde Mediaset wegen Berlusconi immer wieder eine gewisse Nähe zur konservativen Volkspartei PP nachgesagt, zum Beispiel in politischen Talkshows. Doch primär geht es dem Unternehmen ums Geschäft. Man ist pragmatisch. So rekrutierte der sozialistische Ministerpräsident Pedro Sánchez 2018 vom Mediaset-Sender Cuatro seinen ersten Staatssekretär für Kommunikation. Präsidentin der spanischen Mediaset-Tochtergesellschaft ist seit 2024 die ehemalige sozialistische Wissenschaftsministerin Cristina Garmendi. Im Juli lag Mediaset bei den Zuschauerquoten mit 24,5 Prozent knapp hinter Atresmedia (Eigentümer sind RTL Group und die Verlags- und Mediengruppe Planeta) mit 25,9 Prozent und vor den Sendern der öffentlich-rechtlichen RTVE (14,3). Bei den einzelnen Sendern kam Telecinco hinter Antena 3 und La 1 auf Platz drei.