International gefeierter Berner Künstler –

Verwandelt Thomas Hirschhorn das Berner Münster in eine «Ruine»?

Publiziert: 17.08.2025, 20:04Innenansicht des Berner Münsters mit der beeindruckenden gotischen Decke und Kirchenbänken.

Der Installationskünstler Thomas Hirschhorn wird hier aller Voraussicht nach 2028 eine Ruinenlandschaft hineinstellen: Innenansicht des Berner Münsters.

Foto: Adrian Moser

Jetzt abonnieren und von der Vorlesefunktion profitieren.BotTalkIn Kürze:

  • Der renommierte Berner Künstler Thomas Hirschhorn plant eine Ruineninstallation im Berner Münster.
  • Das Kunstprojekt wird im Rahmen des Jubiläums «500 Jahre Reformation in Bern» thematisch aufgreifen.
  • Die Münstergemeinde hat Hirschhorn für die provokative Umsetzung des Bildersturm-Themas angefragt.
  • Hirschhorn hat zuletzt 2019 auf dem Bahnhofplatz in Biel die Robert-Walser-Skulptur aufgebaut.

Ein Bauwerk wie das 600 Jahre alte Berner Münster wird ständig gepflegt und saniert. Mehr als drei Jahre war etwa der Blick aus dem Mittelschiff hoch in das Gewölbe wegen Restaurierung und Reinigung versperrt. Nun aber sollen demnächst Teile des Münster-Innenraums zur «Ruine» werden, zum zerfallenen, eingestürzten Gebäude?

Was geht da vor? Zunächst geht es um ein Jubiläum. Am 7. Februar 2028 wird es genau 500 Jahre her sein, dass Bern die Reformation angenommen hat. Am 7. Februar 1528 wurde im damals mächtigsten Stadtstaat der Schweiz die Einführung der Reformation verfügt.

Dieses Jubiläum will die reformierte Kirche Bern-Jura-Solothurn nicht als internes Kirchenjubiläum, sondern als gesamtgesellschaftlichen Anlass gebührend feiern.

Das Kirchenparlament genehmigte im vergangenen Mai einen Kredit von 1,5 Millionen Franken für die Feierlichkeiten, die sie gemeinsam mit dem auch von der Burgergemeinde unterstützten Verein Berner Reformationsjubiläum 2028 plant. Noch bis Mitte November werden Ideen und Skizzen für Teilprojekte gesammelt.

Thomas Hirschhorn am Bahnhofplatz Biel beim Aufbau der Robert-Walser-Skulptur, trägt einen Helm mit der Aufschrift ’Robert Walser Skulptur’.

Der gebürtige Berner Thomas Hirschhorn auf dem Bahnhofplatz Biel 2019 während des Aufbaus der Robert-Walser-Skulptur.

Foto: Adrian Moser

Neben diversen Podiumsgesprächen und einem Kirchenfest stehen zwei Kunstprojekte im Zentrum. Markus Dütschler, Co-Leiter des Kommunikationsdienstes der reformierten Kirche Bern-Jura-Solothurn, bestätigt, dass derzeit Gespräche mit zwei Künstlern geführt werden: mit dem Installationskünstler Thomas Hirschhorn und dem Schriftsteller Lukas Bärfuss.

Thomas Hirschhorn bläst zum «Bildersturm»

Während Lukas Bärfuss («Hundert Tage») das Projekt einer sozialen Installation unter dem Titel «Disputatio 2028» entwickelt, lehnt sich Hirschhorns Idee einer Installation im Berner Münster an die Thematik «Bildersturm» an. Angefragt wurde Hirschhorn von der Münstergemeinde.

Diesen reformatorischen Bildersturm, also die religiös motivierte Zerstörung von Kunstwerken, insbesondere von figürlichen Darstellungen, wird Hirschhorn zweifellos in einen aktuellen Kontext stellen.

Der 68-jährige Berner, der seit vielen Jahren in Paris lebt, ist einer der renommiertesten und international bekanntesten Schweizer Künstler.

Szene aus einer umstrittenen Ausstellung von Thomas Hirschhorn im Centre Culturel Suisse, mit einer Kunstinstallation und Umstehenden.

Pipi und der Bundesrat: Die Thomas-Hirschhorn-Ausstellung im Centre Culturel Suisse löste 2004 einen Skandal aus – und führte dazu, dass der Pro Helvetia das Budget gekürzt wurde.

Foto: VQH

Unvergessen ist die Hirschhorn-Affäre 2004. Nachdem in einer Hirschhorn-Ausstellung im Centre Culturel Suisse (CCS) ein Blocher-Foto aus Protest gegen die «Absurdität der direkten Demokratie» bepinkelt wurde, kürzte das Parlament das Budget der Kulturstiftung Pro Helvetia als Hauptträgerin der Ausstellung vorübergehend um eine Million Franken.

Kein «Skandalkünstler»

Thomas Hirschhorn lässt sich indes nicht auf einen «Skandalkünstler» reduzieren, der die kalkulierte Provokation pflegt. Kunst ist für ihn immer auch eine Möglichkeit der Teilhabe und der Kommunikation.

Das Münster-Projekt von Hirschhorn könnte laut Mediensprecher Markus Dütschler eine gewisse Ähnlichkeit mit dem Werk «Abschlag» aufweisen, das Thomas Hirschhorn im Rahmen des Festivals Manifesta 2014 in der Gemäldegalerie Hermitage in St. Petersburg ausgestellt hat.

Zerstörtes Gebäude mit freiliegenden Innenräumen, hängenden Pflanzenresten und umgestürzten Möbeln.

Im Rahmen der Manifesta liess Hirschhorn für sein Projekt «Abschlag» in der Gemäldegalerie Hermitage in St. Petersburg eine ganze Fassade aufreissen.

Foto: PD

Der Künstler liess damals eine ganze Fassade aufreissen. In den entblössten Räumen entdeckte der Besuchende erst auf den zweiten Blick einen echten Malewitsch, ein Gemälde des berühmten russischen Konstruktivisten – eingebettet zwischen Bauschutt und Möbeln.

Thomas Hirschhorn hat die Idee der Ruine in der Vergangenheit mehrfach erforscht und als einen Zustand greifbar gemacht, in dem Verborgenes sichtbar wird. Die Installation im Berner Münster wird, so ist zu vermuten, Hirschhorns Auseinandersetzung mit dem Thema des Verbergens und Offenlegens fortführen.

Für Hirschhorn ist die Ruine ein hierarchiefreier Ort und universeller Raum. «Könnte es sein», fragte er einmal in einem Beitrag zu einer Ausstellung, «dass das Universum durch Zerstörung, mit einer Ruine, im Chaos begann?»

2018 schuf er in der Villa Stuck in München eine riesige Ruinenlandschaft, die sich über drei Stöcke erstreckte. Dort konnte das Publikum auch selbst schöpferisch tätig werden: Die gleichen Materialien, aus denen die Ruine geformt wurde, standen zur kreativen Nutzung bereit.

Notwendige Neuorientierung

Der Verein Berner Reformationsjubiläum 2028 und die reformierte Kirche Bern-Jura-Solothurn betonen in einer Stellungnahme zum Jubiläum denn auch, dass wir in einer Zeit lebten, in der Neuorientierung und die Dringlichkeit von Reformen unverzichtbar seien: «Dies gilt auch, aber nicht nur für die Kirche.»

Kunst politisch machen heisst bei Thomas Hirschhorn auch, sich dezidiert im öffentlichen Raum zu bewegen und an ein Publikum zu gelangen, das eigentlich nichts mit Kunst zu tun hat. Genau das gelang ihm vor sechs Jahren im Herzen der Stadt Biel.

Öffentlicher Ausstellungsraum in Biel, gestaltet von Thomas Hirschhorn, mit Fokus auf Robert Walser. Menschen bewegen sich im kunstreich mit Texten und Porträts dekorierten Bereich.

In Biel war sie im Sommer 2019 während dreier Monate unübersehbar: Die Robert-Walser-Skulptur für ein «nicht exklusives» Publikum.

Foto: Jean-Paul Guinnard («24 Heures»)

Auf dem Bieler Bahnhofplatz baute Hirschhorn 2019 mit zahlreichen Freiwilligen eine grosse Installation aus Podesten, Zelten, Zuschauertribünen und Arenen, die als Robert-Walser-Skulptur dem gebürtigen Bieler Schriftsteller gewidmet war. Der Platz wurde zu einem lebendigen Begegnungsort mit Bar, TV-Studio und Off-Space-Galerie, zu einer «Skulptur» für ein «nicht exklusives» Publikum.

Verbindliche Zusagen Anfang 2026

Ein Projekt wie das von Thomas Hirschhorn hat seinen Preis. Vergleichbare Installationen des Künstlers kosteten in der Vergangenheit rund eine halbe Million Franken. Gilt das auch für Bern?

Es sei noch zu früh, um über konkrete Zahlen zu sprechen, sagt Markus Dütschler. Weder würden zum jetzigen Zeitpunkt unterzeichnete Verträge vorliegen, noch sei die Finanzierung geklärt. Verbindliche Zusagen dürften Anfang 2026 vorliegen. «Erst dann lässt sich sagen, ob und wie dieses Projekt realisiert werden kann und mit welchem Beteiligungsschlüssel», so Dütschler.

Immerhin: Die Münstergemeinde hat Hirschhorn überhaupt erst ins Spiel gebracht, und die Synode das Grobprogramm gebilligt. Die Chancen auf eine Realisation stehen also nicht schlecht. Mögliche Proteste gegen eine «Entweihung» eines sakralen Raums sind allerdings nicht auszuschliessen.

Verblüffend und durchaus verstörend dürfte diese Installation «Bildersturm» allemal wirken. Falls Thomas Hirschhorns erstes «Ruinen»-Projekt in einem kirchlichen Raum wie vorgesehen realisiert wird, sind einführende Veranstaltungen geplant, um die Aussage des Werks einem breiten Publikum zu vermitteln.

Werke des Künstlers Thomas Hirschhorn

Alexander Sury hat Germanistik und Geschichte studiert. Er ist Literaturredaktor und mag deshalb Bücher aller Art. Er pflegt jedoch einen breiten Kulturbegriff und ist auch YB-Fan.

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