Wolfgang Mück – lange Bürgermeister von Neustadt an der Aisch, promovierter Historiker und ehemaliger Lehrer – wurde 1939 im Sudetenland geboren und 1946 aus seiner Heimat vertrieben. Im literarischen Erinnerungsbuch „Schauerheim“ erzählt er sein Flüchtlingsschicksal, seine Kindheit im Franken der Nachkriegszeit und seine gelungene Integration in die neue Heimat.
Im Krieg vertrieben, ohne Vater gestrandet in Franken
Es ist 1946. In dem kleinen fränkischen Dorf Schauerheim in der Nähe von Neustadt/Aisch strandet der siebenjährige Wolfgang Mück mit seiner Mutter und seinen beiden Brüdern. Der Vater ist im Krieg gefallen. Die kleine Familie ist aus ihrer Heimat, dem Sudetenland, vertrieben worden. Nun soll sie in einem Pfarrhaus einquartiert werden.
„Kaum sind unsere beiden Kisten, die Nähmaschine und die beiden Koffer auf dem breiten mit ausgetretenen Sandsteinplatten belegten Treppenabsatz abgeladen, fährt unser Transporteur schon weiter. Auf der Ladefläche hat er noch weitere Flüchtlinge mit Gepäck, die er zu den für sie bestimmten Unterkünften in die Nachbardörfer bringen muss. (…) Wir warten. Nichts rührt sich. Mutti klopft an die Türe. Niemand öffnet. Bange Stunden vergehen.“
Zitat aus dem Buch ‚Schauerheim‘
Ein herzliches Willkommen dürfen die vier Flüchtlinge im Pfarrhaus von Schauerheim nicht erwarten. Die Einheimischen sehen auf die Fremden hinab und sind voller Vorurteile. Wolfgang Mück spürt diese Ablehnung und ist durch so manches herablassende Wort gekränkt. Aber er erfährt auch Mitleid und Hilfsbereitschaft.
„Wir waren nicht die einzigen, die Hunger litten. Seit dem Kriegsende in der alten Heimat war Mangel für uns eigentlich Normalität geworden. Da wir zum Tauschen nichts hatten, waren wir auf die Freigiebigkeit der Menschen angewiesen. Wir zogen von Mühle zu Mühle, bettelten um ein Pfund Mehl oder Grieß und freuten uns, wenn wir etwas erhielten. Freigiebige Müllersleute fanden wir auf der Stöckacher Mühle, der Dietersheimer und der Unternesselbacher Mühle. Die hatten immer ein offenes Ohr und Herz für unsere Notlage und füllten uns das Leinensäcklein, das Mutter eigens dafür genäht hatte, mit Mehl.“
Zitat aus dem Buch ‚Schauerheim‘
Ermuntert von Helmut Haberkamm – Erinnerungen aufgeschrieben
Erst im hohen Alter von über achtzig Jahren machte sich der ehemalige Lehrer und Bürgermeister von Neustadt an der Aisch daran, seine Erinnerungen an diese harte Zeit aufzuschreiben. Der fränkische Schriftsteller Helmut Haberkamm, der sein Schüler auf dem Gymnasium war, hat ihn dazu ermuntert. Und seine Familie.
„Überwiegend sind es eigene Erfahrungen, Erinnerungen, die ich und meine Brüder gemacht haben. Die Mutter habe ich leider nie befragt. Und erst als ich mir die verdrängte Vergangenheit eingestanden habe, erst da kam der Wunsch auf: ‚Meine Güte, hättest du doch nachgefragt!‘ Und so bleibt dann manches doch im Vagen, ohne dass ich es genauer hätte beschreiben können.“
Autor Wolfgang Mück im Interview
Regionalgeschichtliche Hintergründe und die Truhenkiste
Als promovierter Historiker, der schon etliche historische Schriften veröffentlicht hat, recherchiert Wolfgang Mück akribisch die regionalgeschichtlichen Hintergründe. Mit Fotos und Dokumenten versetzt er sich in die Zeit zurück. Und dann hat er über die Jahrzehnte hinweg auch noch Erinnerungsstücke aufbewahrt, wie die große schwarze Truhenkiste mit der Aufschrift „Emilie Mück – Mohelnice – Müglitz“.
„Das hier ist die Originalkiste, mit der wir hier in Franken angekommen sind. Da waren alle unsere Habseligkeiten drin enthalten: Kleidung, Haushaltsgegenstände, zum Beispiel die Dalken-Pfanne, die Mohnmühle war mit dabei, ein Mörser, der dort drüben steht. Und natürlich der Neue Brockhaus aus dem Jahr 1937, fünfbändig, vom Vater angeschafft zur Unterrichtung seiner Söhne.“
Autor Wolfgang Mück im Interview
Mosaik aus Geschichte, Erinnerung und Leben
Wolfgang Mück erzählt seine Geschichte nicht chronologisch, sondern setzt die vielen kleinen Splitter aus Erinnerung und Recherche wie ein Mosaik zusammen, nach Themen geordnet. Er erzählt von den Hungerjahren, den traumatischen Erlebnissen der Vertreibung, dem Willen sich in die neue Heimat Franken zu integrieren, von Dorfschule und Flüchtlingsseelsorge und dem steten Blick nach vorn.
„Ich wollte nicht, dass dieses Bürschchen da, dieser Flüchtlingsjunge, nur bedauert wird. Ich wollte, dass der Leser teil hat an den kleinen Freuden, die für mich ganz groß waren. Also in der Aisch zu baden, Weiherle zu bauen, Fischli zu fangen und solche Dinge. Es war für mich ein Stück Glückseligkeit, die damit verbunden war. Selbst im Schilf zu sitzen und heimlich zu rauchen.“
Autor Wolfgang Mück im Interview
Ein exemplarisches Buch
Weil der Erzähler Mück und der Historiker Mück sich gegenseitig in Schach halten, ist das literarische Memoire „Schauerheim“ weder rührselig noch idealisierend. So kann es stellvertretend für die Erfahrungen einer ganzen Generation von Heimatvertriebenen stehen.
Info & Bewertung
Wolfgang Mück: Schauerheim. Eine Kindheit im Franken der Nachkriegszeit, Cadolzburg 2025, Ars Vivendi Verlag, 240 Seiten, 24,00 Euro, ISBN 978-3-7472-0673-7
Und das Erinnerungsbuch weist weit über seine Zeit hinaus. Denn es weckt auch Mitempfinden für heutige Flüchtlingsschicksale in Deutschland. Ein wichtiges, exemplarisches Buch.