Keine Vereinbarung zwischen dem Aggressor Russland und der Ukraine wird ohne Sicherheitsgarantien für das überfallene Land auskommen. Die sollen so verlässlich und robust sein, dass Russland nicht mehr auf die Idee kommt, den Krieg wieder aufflammen zu lassen. Frühere Vereinbarungen waren für Wladimir Putin jedenfalls kein Hinderungsgrund für neue Angriffe.
Erstmals seit längerer Zeit und möglicherweise nur vorläufig hat der amerikanische Präsident Donald Trump in Alaska erkennen lassen, dass Amerika sich militärisch beteiligen könnte. Bislang sollten die Europäer das allein übernehmen. In Berlin löste das abermals eine Debatte um eine Entsendung deutscher Soldaten aus. Bei einem Besuch in Tokio machte Außenminister Johann Wadephul (CDU) am Montag deutlich, dass Deutschland dazu nur sehr eingeschränkt in der Lage wäre. Die Bundeswehr habe bereits eine Brigade in Litauen stationiert, sagte der Minister. „Das tun und zusätzlich noch Truppen in der Ukraine zu stationieren, würde uns voraussichtlich überfordern.“ Die Frage sei derzeit „fernliegend“.
Der SPD-Vorsitzende und Bundesfinanzminister Lars Klingbeil hatte sich am Wochenende ebenfalls dazu geäußert. „Natürlich müssen wir auch eine Verantwortung übernehmen als Europäer, wenn es um Sicherheitsgarantien geht“, sagte er. Ob es dabei um Truppen, die weitere Ausbildung der ukrainischen Armee, finanzielle Hilfen oder andere Fragen gehe, müsse „alles jetzt in den nächsten Tagen geklärt werden“.
Die gröste Sicherheit bietet die NATO
Die wertvollste Sicherheitsgarantie der Welt bestand über viele Jahrzehnte aus einer Vereinbarung, welche die Gründungsstaaten des Nordatlantikvertrages 1949 geschlossen haben. Seither war Artikel 5 des NATO-Vertrages die solideste Rückendeckung, die je ein Staat haben konnte. Denn die Parteien vereinbarten, „dass ein bewaffneter Angriff gegen eine oder mehrere von ihnen in Europa oder Nordamerika als ein Angriff gegen sie alle angesehen werden wird“ und sie in diesem Fall Beistand leisten würden.
Jede treffe „unverzüglich für sich und im Zusammenwirken mit den anderen Parteien die Maßnahmen, einschließlich der Anwendung von Waffengewalt, die sie für erforderlich erachtet, um die Sicherheit des nordatlantischen Gebiets wiederherzustellen und zu erhalten“. Diese Sicherheitsgarantie, vor allem gegeben durch die Vereinigten Staaten und ihr gewaltiges Militär, wirkt seit mehr als 75 Jahren. Kein anderes Land oder Bündnis hat seitdem versucht, ein NATO-Land zu überfallen, sieht man vom Sonderfall der Terroranschläge vom 11. September 2001 ab.
Seit dem Ende des Warschauer Pakts, des Gegenbündnisses unter Moskauer Herrschaft, haben viele Staaten aus dem ehemaligen Machtbereich der Sowjetunion unter dem Schirm der NATO Schutz gefunden, darunter Polen und die baltischen Staaten. Seit dem abermaligen russischen Überfall auf die Ukraine 2022 kamen noch Finnland und Schweden hinzu.
Auch die Ukraine versucht, der NATO beizutreten. Die Furcht vor Russlands Aggression trieb die Ukraine seit Langem um. Dabei gab es vor 30 Jahren schon westliche Sicherheitsgarantien, die Kiew im Tausch gegen den Verzicht auf seine Atomwaffen aus der Sowjetzeit erhalten hatte. Im Juli 1994 überredeten Russland und die Vereinigten Staaten Kiew, seine Massenvernichtungswaffen abzugeben. Im Gegenzug bekam die Ukraine im Budapester Memorandum eine Sicherheitsgarantie, in der Amerika, Großbritannien und vor allem Russland versicherten, die territoriale Integrität und Souveränität der Ukraine zu garantieren. Auch die Atommächte Frankreich und China pflichteten bei. Ein leeres Versprechen, wie Kiew schon bald befürchtete, als Russland immer bedrohlicher wurde.
Auch Russland will „Garantien“
Im Sommer 2008 erreichte das Land beim NATO-Gipfel von Bukarest nur eine „Assoziierung“ mit unkonkreter Beitrittsperspektive; unter anderem Deutschland hatte sich einer NATO-Aufnahme in den Weg gestellt. Kanzlerin Angela Merkel vertrat die Ansicht, man solle Russland nicht provozieren, Putin vielmehr beruhigen. Der Verzicht auf Sicherheitsgarantien für die Ukraine wirkte entgegen Merkels Kalkül allerdings geradezu als Ermunterung für den Kreml-Herrscher: Im Sommer 2014 nahm er gewaltsam die ukrainische Krim und annektierte das Gebiet, ein Vorgeschmack auf das, was er nun seit Februar 2022 mit aller Gewalt versucht.
Auch nach der Krim-Annexion und den Kämpfen in der östlichen Ukraine versuchten europäische Politiker – allen voran Merkel und der französische Staatspräsident François Hollande –, den Frieden wiederherzustellen, zumindest einen Waffenstillstand zu erreichen. Ausgehandelt wurde 2015 das „Minsker Abkommen“.
Damals waren die Verteidiger den Aggressoren stark unterlegen, es mussten Zugeständnisse gemacht werden. Abermals ging es um Sicherheitsgarantien, auch damals war eine „Friedenstruppe“ erwogen worden, Russland hatte eine Beteiligung des Westens strikt abgelehnt. Stattdessen wurden Beobachter der OSZE entsandt, die alsbald von russischen und separatistischen Kämpfer bedrängt und attackiert wurden. Täglich wurden Hunderte Verstöße gegen den Waffenstillstand gemeldet und beiden Seiten zur Last gelegt. Zum geforderten Abzug russischer Truppen und Söldner kam es nie.
Auch Russland fordert heute Sicherheitsgarantien: eine Fesselung der ukrainischen Armee etwa, die die stärkste in Europa ist, Gebietsverzichte und auch den kategorischen Ausschluss eines NATO-Beitritts. Für westliche Beobachter ist das Ziel dahinter dasselbe wie beim Minsker Abkommen: die Ukraine so zu schwächen, dass ein nächster Angriff möglich wird.
Außenminister Wadephul sagte in Tokio, die Ukraine müsse „auch nach einem Waffenstillstand und Friedensschluss in der Lage sein, sich wirkungsvoll zu verteidigen“. Aus Kiews Sicht ist die Lage klar, wie Präsident Wolodymyr Selenskyj am Wochenende sagte: „Wir brauchen Sicherheitsgarantien, die in der Realität funktionieren – ähnlich wie Artikel 5 der NATO.“