Nach dem Treffen von Präsident Donald Trump mit dem ukrainischen Staatspräsidenten Wolodymyr Selenskyj und europäischen Regierungschefs am Montag in Washington zeigt sich, es herrscht nach wie vor tiefes Misstrauen und offenkundig sehr unterschiedliche Vorstellungen über eine Friedenslösung für die Ukraine. Es ist auch nach dem mehrstündigen Gipfel nicht klar, ob es einen raschen „Deal“ geben wird, wie Trump dies möchte. Denn selbst wenn es zu einer rechtlich bindenden Vereinbarung kommen sollte: Die Europäer zweifeln an der Verlässlichkeit Russlands, Moskau traut den Europäern nicht über den Weg.
So gab Frankreichs Präsident Emmanuel Macron nach dem Gipfel dem US-Sender NBC ein Interview, in dem er sagte: „Wenn ich die Situation und die Fakten betrachte, sehe ich nicht, dass Präsident Putin jetzt den Frieden möchte.“ Er könne nicht erkennen, warum man Russland mit Gebietsforderungen entgegenkommen solle, wo doch Russland die Gebiete illegal erobert habe.
Am Dienstag ging Macron noch weiter und attackierte den von Trump so ostentativ freundlich behandelten russischen Präsidenten: Putin sei „ein Raubtier, ein Ungeheuer vor unseren Toren“, sagte Macron in einem Interview mit dem französischen TV-Sender LCI: „Auch für sein eigenes Überleben muss er immer weiter fressen“, so Macron. Russland sei „dauerhaft zu einer destabilisierenden Macht und einer potenziellen Bedrohung für viele von uns“ geworden.
Nach dem russischen Einmarsch in Georgien im Jahr 2008 habe Putin „sich selten an seine Zusagen gehalten“, sagte Macron. Weiter sagte er laut AFP, dass „ein Land, das 40 Prozent seines Budgets in solche Ausrüstung investiert, das eine Armee von mehr als 1,3 Millionen Mann mobilisiert hat, nicht von heute auf morgen zu Frieden und einem offenen demokratischen System zurückkehren“ werde. Frankreich werde zwar nicht morgen überfallen werden, aber Russland stelle eine Bedrohung für Europa dar.
Bundeskanzler Friedrich Merz zeigte sich etwas konzilianter: Er sagte, der Gipfel sei in einer sehr konstruktiven Atmosphäre verlaufen und habe seine Erwartungen übertroffen. Der Ukraine „dürfen keine Gebietsabtretungen aufgezwungen werden“. Zur russischen Forderung, die Ukraine müsse die noch nicht von Russland eroberten Gebiete des Donbass an Russland abtreten, sagte Merz: Es handle sich um ein Gebiet von der Größe Floridas, weshalb eine solche Entscheidung von der Ukraine nicht ohne Weiteres getroffen werden könne. Immerhin ist es bemerkenswert, dass aktuell über Gebietsabtretungen gesprochen wird. Noch bis vor kurzem war von den Europäern die Frage der Herstellung der territorialen Integrität der Ukraine als unabdingbar dargestellt worden.
In der Frage möglicher Sicherheitsgarantien herrschten nach wie vor grundsätzliche Differenzen innerhalb des transatlantischen Bündnisses: Trump sprach mehrfach davon, dass für die Sicherheitsgarantien die europäischen Staaten zuständig seien. Die Amerikaner würden eine „Koordinierung“ übernehmen können. Selenskyj erklärte, die westlichen Verbündeten würden innerhalb von zehn Tagen ihre Sicherheitsgarantien für Kiew ausarbeiten. Es sei wichtig, dass sich die USA an diesen Sicherheitsgarantien beteiligten. Ob deutsche Soldaten in die Ukraine zur Sicherung eines möglichen Friedens geschickt werden, konnte Merz nicht sagen. Es sollten sich jedoch alle europäischen Nationen an einer solchen Mission beteiligen. Merz sagte, dass Selenskyj der Auffassung sei, dass es vor einem möglichen Treffen mit Putin einen Waffenstillstand geben solle.
Polen geht von einer Fortsetzung des Kriegs aus: Die sogenannte Koalition der Willigen stellt sich auf einen Fortgang der Kämpfe ein. Der polnische Premierminister Donald Tusk schrieb auf X: „Die Staats- und Regierungschefs Kanadas, Japans, der Türkei, Neuseelands und europäischer Länder gaben eine realistische Einschätzung der Ergebnisse des Treffens in Alaska ab. Wir alle bekräftigten die Notwendigkeit einer anhaltenden Unterstützung der Ukraine im Krieg mit Russland.“
Ungarn dagegen liegt im Clinch mit der Ukraine: Die Außenminister der beiden Länder, Péter Szijjártó und Andrii Sybiha, lieferten sich einen heftigen Schlagabtausch wegen wiederholter ukrainischer Angriffe auf die für Ungarns Energieversorgung wichtige Druschba-Ölpipeline. Der ungarische Ministerpräsident Viktor Orbán hatte vergangene Woche in einem Podcast gedroht, Ungarn könne die Ukraine an einem einzigen Tag zum Zusammenbruch bringen, indem es die Stromversorgung abschaltet: „Wenn ein Unfall passiert – wenn ein paar Strommasten umfallen oder Leitungen durchtrennt werden –, käme die Ukraine zum Stillstand“, so Orbán.
Moskau lässt unterdessen die Waffen sprechen: Russische Truppen griffen in der Nacht mit Präzisionswaffen und Drohnen eine Ölraffinerie an, die die ukrainische Armee in der Donbass-Region mit Treibstoff versorgt, berichtete das russische Verteidigungsministerium am Dienstag. Emmanuel Macron beklagte auf NBC, dass während des Telefonats zwischen Trump und Putin die russische Armee Zivilisten unter Beschuss genommen habe.