Copyright-Inhaber können in den USA sehr leicht herausfinden, wer Kunden von Internet Service Providern sind. Das gilt zwar für Hosting-Provider und Suchmaschinen, aber nicht für Zugangsprovider. Das stellt das US-Bundesberufungsgericht für den neunten Bundesgerichtskreis in einer aktuellen Entscheidung klar. Untergeordnete Gerichte müssen ihre Praxis ändern.

Grundsätzlich sieht das US-Bundesgesetz Digital Millennium Copyright Act (DMCA) folgendes Prozedere vor, um die Identität von Internetusern aufzudecken: Ein Einschreiter behauptet, Rechte zu besitzen, die durch eine bestimmte, online gestellte Datei verletzt würden, und befiehlt dem Provider, die Datei oder den Hyperlink darauf zu sperren („notice & takdeown“). Anschließend beantragt der Einschreiter bei Gericht die Offenlegung der Identität jenes Kunden, der die Datei online gestellt. Als Nachweis reicht eine Kopie des ursprünglichen Sperrbefehls an den Provider, woraufhin das Gericht automatisch die Preisgabe der Kundenidentität anordnet. Die Betroffenen werden in der Regel informiert und können bei Gericht Einspruch erheben. Tun sie dies binnen offener Frist nicht, erfolgt keine Prüfung des Vorwurfs, und der Provider händigt Namen und Kontaktdaten aus.

In der Regel nutzen (behauptete) Rechteinhaber diesen einfachen Weg nicht etwa, um den Uploader anschließend vor Gericht zu stellen, sondern um Druck auf ihn auszuüben, damit er freiwillige Zahlungen leistet. Selbst für zu Unrecht Beschuldigte ist es in der Regel viel billiger und schneller, ein paar tausend Dollar an einen Copyrighttroll zu zahlen, als ein teures Gerichtsverfahren zu riskieren. Copyrighttrolls verdienen damit in Summe über viele Fälle deutlich mehr.

Zugangsprovider sind keine Hoster

Gerne nutzen (behauptete) Rechteinhaber diesen schnellen Weg zur Abfrage von Nutzeridentitäten nicht nur bei Hosting-Providern, Hyperlinksammlungen und Suchmaschinen, sondern auch bei Zugangsprovidern. US-Bundesbezirksgerichte haben die Freigabe der Anschlussinhaberidentitäten seit Jahrzehnten durchgewunken, obwohl die geforderte Beilage der Sperranordnung fehlt. Der Zugangsprovider ist ja kein Hosting-Provider, der eine Datei sperren könnte.

So geschah es auch 2023 beim Antrag eines Filmstudios, das 29 hawaiianische Kunden des Zugangsproviders Coxcom der rechtswidrigen Verbreitung einer Filmkopie mittels P2P-Filesharings per Bittorrent beschuldigt. Doch diesmal hat sich einer der 29 Betroffenen juristisch gegen die Anordnung gewährt: Er gab an, den Film nicht heruntergeladen oder bereitgestellt zu haben; vielmehr sei sein WLAN irrtümlich für Dritte offen gewesen. Der zuständige Gerichtsbeamte lehnte tatsächlich den Antrag des Filmstudios ab – aber nicht aufgrund der WLAN-Erzählung, sondern weil die gesetzliche Grundlage fehlte.

Entgegen der bisherigen Gerichtspraxis ist die Anordnung zur Freigabe von Kundendaten nämlich nur gegenüber solchen Provider vorgesehen, die die Datei auch sperren können. Bei Zugangsprovidern, deren Kunden den Internetzugang (angeblich) für P2P-Filesharing nutzen, ist das nicht möglich; der ISP kann in so einem Fall die Datei nicht sperren, weil er sie weder anbietet noch speichert, noch entsprechende Hyperlinks veröffentlicht. Entsprechend kann der Einschreiter dem Zugangsprovider nicht anschaffen, Datei oder Hyperlink zu sperren, und damit ist es auch nicht möglich, solch einen Sperrbefehl dem Antrag auf Offenlegung der Identität des Anschlussinhabers beizulegen.

Offenlegung weiterhin möglich, aber erst nach Klageerhebung

Das Filmstudio ging in Berufung, hat aber sowohl beim Bundesbezirksgericht für Hawaii als auch beim zuständigen Bundesberufungsgericht für den neunten Bundesgerichtskreis (Ninth Circuit) verloren. Diese Entscheidung hat Hebelwirkung, denn der Ninth Circuit ist der mit Abstand bevölkerungsreichste Bundesgerichtskreis. Er umfasst die Staaten Alaska, Arizona, Hawaii, Idaho, Kalifornien, Montana, Nevada, Oregon und Washington sowie die Gebiete Guam und Nördliche Marianen. Alle dortigen Bundesbezirksgerichte sind ab sofort an die Auslegung des Berufungsgerichts gebunden.

Zu der gleichen Rechtsansicht sind bereits 2003 das Bundesberufungsgericht für den Hauptstadtbezirk District of Columbia sowie ungefähr ein Jahr später das Bundesberufungsgericht für den achten Bundesbezirkskreis (Arkansas, Iowa, Minnesota, Missouri, Nebraska und beide Dakotas) gelangt. Sie haben allerdings nur einen Bruchteil der Einwohner. Während DC und Eigth Circuit zusammen auf nicht einmal sieben Prozent der Bevölkerung kommen, sind es im Ninth Circuit mehr als 20 Prozent.

Die Entscheidung macht illegales Filesharing in diesen US-Gebieten keineswegs risikolos: Rechteinhaber können die Identität der Anschlussinhaber eines US-Zugangsproviders durchaus mit Gerichtshilfe eruieren lassen. Dazu müssen sie eine Klage gegen Unbekannt wegen Copyrightverletzung erheben und dabei beantragen, dass der Zugangsprovider die Identität des beklagten Anschlussinhabers offenlegt. Eine solche Klage ist mehr Aufwand, als dem Anschlussinhaber eine simple Zahlungsaufforderung zuzumitteln, aber bei hinreichender Beweislage kein grundsätzliches Hindernis.

(ds)

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