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  1. Seite 1″Trumps Ansatz funktioniert nicht“


  2. Seite 2″Der Krieg muss Russland etwas kosten“

Phil H. Gordon ist ein amerikanischer Diplomat. Unter Barack Obama leitete er die
Europa-Abteilung im US-Außenministerium. Er war Nationaler Sicherheitsberater
der Vizepräsidentin Kamala Harris. Heute forscht er an der Brookings
Institution, einer Denkfabrik in Washington, D. C.

DIE ZEIT: Herr
Gordon, wie ist das Gipfeltreffen zwischen Donald Trump, Wolodymyr Selenskyj
und europäischen Spitzenpolitikern
am Montag in Washington, D. C. aus Ihrer Sicht
gelaufen?

Phil H. Gordon: Die
Europäer haben das Beste daraus gemacht: Es blieb freundlich, und es war in
keiner Weise so schlimm wie das Treffen zwischen Donald Trump und Wolodymyr Selenskyj im Februar dieses Jahres. Aber in der Sache haben die Europäer nicht
das bekommen, was sie wollten. Und weil das das Wichtigere ist, würde ich sagen:
Es war enttäuschend.

ZEIT: Was wollten die Europäer denn Ihrer Meinung nach?

Gordon: Die
Europäer haben ja vorher schriftlich eine gemeinsame Position formuliert: Sie
wollen, dass die USA sich für einen Waffenstillstand in der Ukraine einsetzen und die USA nicht, wie Trump es getan hat, die russische Position übernehmen: kein
Ende der Kämpfe, bevor es nicht ein umfassendes Friedensabkommen gibt. Die
Europäer wollen außerdem, dass die USA Druck auf Russland ausüben, wenn
Russland sich einem Waffenstillstand verweigert. Sie bestehen auf dem Prinzip
der territorialen Integrität der Ukraine, aus ihrer Sicht sollte die Ukraine
nicht die Gebiete hergeben müssen, die Putin verlangt. Und sie wollen
glaubhafte Sicherheitsgarantien der USA für die Ukraine. Soweit ich sehe, haben
sie nichts davon bekommen.

Phil H. Gordon ist US-Demokrat und Experte für Außenpolitik. © [M] Privat

ZEIT: Die
Europäer sind mit falschen Erwartungen angereist?

© Lea Dohle

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Gordon: In
den vergangenen Monaten haben sich die Europäer immer wieder Hoffnungen gemacht,
Trump nähere sich ihrer Position an. Sie schienen daran zu glauben. Und
tatsächlich hat Trump zwischenzeitlich auch gesagt, er wolle einen
Waffenstillstand und hat Russland „ernste Konsequenzen“ angedroht, sollte
dieser nicht zustande kommen. Es gab aber auch viel Wunschdenken aufseiten der
Europäer.

ZEIT: Die
Europäer betonen jetzt, dass Trump immerhin zugesagt hat, sich an
Sicherheitsgarantien für die Ukraine zu beteiligen.

Gordon: Ich
bin sehr skeptisch, dass das glaubhaft ist. Donald Trump hat auf seiner
Plattform Truth Social geschrieben, Europa sei hauptverantwortlich, und die USA
würden eine „koordinierende Rolle spielen“. Eine „koordinierende Rolle“ der USA
bei europäischen Sicherheitsgarantien – das ist gleichbedeutend mit: gar keine
amerikanischen Sicherheitsgarantien. Sollte sich Europa darauf verlassen, wäre
das die schlechteste aller Varianten: Europa würde womöglich Truppen in die
Ukraine entsenden
und damit ein Risiko eingehen. Europa wäre aber ohne eine
glaubhafte amerikanische Absicherung nicht stark genug, um Russland wirklich
abzuschrecken. Denn selbst, wenn die USA versprechen, den Europäern im Fall
eines russischen Angriffs zu helfen, ist das zu wenig und in keiner Weise die „Artikel-5-ähnliche“
Absicherung, von der Donald Trumps Sonderbeauftragter Steve Witkoff nach dem
Alaska-Gipfel gesprochen hat.

ZEIT: Wo
sehen Sie den Unterschied? Artikel 5 des Nato-Vertrages ist ja auch ’nur‘ ein Versprechen:
Wenn ein Nato-Mitglied angegriffen wird, kommen ihm die anderen, auch die USA, zu Hilfe. Wenn Trump jetzt verspricht, europäischen Sicherheitstruppen in
der Ukraine im Fall eines Angriffs zu helfen, wäre das nicht eine ähnliche Garantie?

Gordon: Sicherheitsgarantien
wirken nur, wenn sie glaubhaft sind. Man müsste also glauben, dass die USA
wirklich bereit seien, in einen militärischen Konflikt mit Russland einzutreten,
wenn europäische Truppen in der Ukraine angegriffen werden. Klar, es gibt auch
eine lange Debatte darüber, wie glaubhaft das Nato-Beistandsversprechen
wirklich ist. Aber das ist ja ganz anders abgesichert: Der Nato-Vertrag ist ein
Vertrag, den der Kongress verabschiedet hat. Wir haben in den USA einen über
Jahrzehnte gewachsenen Konsens darüber, dass Europas Sicherheit im nationalen
Interesse der Vereinigten Staaten ist. Wir haben Truppen in Europa. Die Nato
verfügt über eine Kommandostruktur, die genau auf diesen Fall ausgerichtet ist.
All das trifft auf die Ukraine nicht zu. Sowohl Joe Biden als auch Donald Trump
haben sehr deutlich gemacht, dass sie nicht bereit sind, amerikanische Truppen in einem militärischen Konflikt mit Russland zu opfern. Ich glaube
nicht, dass Donald Trump von diesem Standpunkt wirklich abrückt. Und wenn die
USA wirklich bereit wären, im Ernstfall für die Ukraine in den Krieg zu
ziehen, dann könnten wir sie ja auch gleich in die Nato aufnehmen. Das lehnt
aber nicht nur Donald Trump ab, das haben auch Joe Biden und die Deutschen
immer abgelehnt.