Diese Zukunft hätte sich vermutlich niemand träumen lassen. Nicht einmal Reinhard Berg, als er die Idee zu diesem Fotofestival entwickelte. Glich doch die erste Ausgabe 2002 eher einem fröhlich-bunten Stadtteilfest mit einem durchaus überschaubaren und in ein, zwei Stunden locker zu bewältigenden Ausstellungsparcours.
Tatsächlich hat sich der Charakter der Wiesbadener Fototage in den vergangenen gut zwanzig Jahren mehrfach gewandelt. Zunächst luden die Veranstalter jährlich ein, dann im Biennale-Rhythmus, mal stand die experimentelle Fotografie im Mittelpunkt, mal die inszenierte, zur Premiere fand das Festival in zwei benachbarten Galerien seinen Ort, in späteren Jahren waren es gut und gerne 30 Räume in der ganzen Stadt.
Eines aber prägt das Festival bis heute. Schon Berg, der die Leitung nach der elften Ausgabe 2019 abgab, hatte die Wiesbadener Fototage stets als ein Festival von Fotografen für Fotografen verstanden. Und dabei ist es im Wesentlichen geblieben, auch wenn ein weiter ausgebautes Begleitprogramm mit Führungen, Artist Talks, Workshops und Filmen längst ein breites Publikum anspricht.
Menschen: Laura Pannacks Fotografie stammt aus der Werkreihe „Baruch“.Laura Pannack
Wenn die mittlerweile 13. Wiesbadener Fototage am 23. August im Künstlerverein Walkmühle eröffnet werden, hat sich das Festival längst etabliert. Und gibt der Fotokunst in der Region als Triennale im Wechsel mit den Darmstädter Tagen der Fotografie und dem Ray Festival in Frankfurt unverwechselbares Profil.
„Deutschlandbilder“, „Fotografische Positionen zum Ich“ und zuletzt „Unruhige Zeiten“ waren die stets offenen Ausschreibungen in den vergangenen Jahren überschrieben. Diesmal, sagt Festivalleiter Jürgen Strasser, blicke man nach vorn. „Wir wollen, so schwer es manchmal fällt, so hoch die Hürden in diesen Tagen erscheinen, der Zukunft eine Zukunft geben.“
Allein, blickt man ein wenig näher auf die 38 Positionen, die aus rund 500 Einsendungen ausgewählt wurden und im Aktiven Museum Spiegelgasse, im Bellevue-Saal und im Frauen Museum, im Kunsthaus, bei Rubrecht Contemporary, im Stadtmuseum sowie in den beiden Sonderausstellungen in der Mauritius Mediathek und im EDU Forum des Museums Wiesbaden zu sehen sind, dann scheint es, als fiele es manchem Künstler schwer, an diese Zukunft zu glauben.
Eva Bystrianská konzipierte die Reihe „Zero Waste Jihlava“.Eva Bystrianská
Das gilt selbst angesichts von Berit Jägers Utopien von der Stadt der Zukunft, die sie mithilfe Künstlicher Intelligenz entwickelt hat. Verhalten optimistisch mag man immerhin Laura Pannacks Porträtserie „Baruch“ nennen, die ein Jahr lang einen jungen Mann auf dem Weg aus einer jüdisch orthodoxen Gemeinschaft in ein neues Leben begleitet.
„Zukunft? Welche Zukunft?!“ aber, so der Titel der 13. Fototage, wirft dann doch erst mal einen Blick zurück. So wie Maartje Martisan im Kunstverein Bellevue-Saal, die mit „Neverending End“ das traumatische Verhältnis zu ihrer Mutter in den Blick nimmt. Oder konzentriert sich auf die unmittelbare Gegenwart wie Sofia Samoylova, die ihren Großeltern in der Ukraine mit „Serafima & Jevhen“ ein liebevolles Porträt widmet.
Unterdessen scheint die Zeit in Toby Binders „Youth of Belfast“ schlicht und einfach stehen geblieben. Mag sein, die blutigen Auseinandersetzungen zwischen katholischer und protestantischer Bevölkerung sind seit dem Karfreitagsabkommen weitgehend Geschichte. Von Hoffnung aber findet sich in Binders aktuellen Bildern aus Nordirland kaum eine Spur.
Andernorts, im Osten Deutschlands etwa, so zeigt die zwischen 2019 und 2022 entstandene Serie Tobias Kruses, scheint die in hier trostloses, dort melancholisch stimmendes Schwarz-Weiß getauchte Zukunft vor allem ziemlich düster.
Oder, aber, wie bei Jürgen Altmann, schon eine ganze Weile her. „The future was then“ ist ganz in diesem Sinne seine Serie im Frauen Museum überschrieben. Tatsächlich wirkt die Zukunft in den meist aus den Sechziger- und Siebzigerjahren stammenden Schulen und Parkhäusern, Bibliotheken, Museen und Hotels, die im Zentrum von Altmanns Arbeit stehen, noch wie ein einziges, meist in Beton gegossenes Versprechen. Ein Versprechen allerdings, das angesichts der teils brutalistischen, teils organisch anmutenden Architekturen aus aller Welt sichtlich in die Jahre gekommen scheint. Spektakulär, das wohl. Sonst aber vor allem ziemlich grau.
„Zukunft? Welche Zukunft?!“ Wiesbadener Fototage, 23. August bis 7. September. Alle Ausstellungsorte sind freitags bis sonntags von jeweils 11 bis 17 Uhr geöffnet, die darüber hinausgehenden Öffnungszeiten einzelner Museen und Kunstvereine variieren. Weitere Informationen gibt es unter wiesbadener-fototage.de.