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Selenskyj will, Putin hält sich bedeckt. International wächst der Druck, die Präsidenten an einem Verhandlungstisch zu sehen. Beobachter dämpfen die Erwartungen. Wie stehen die Zeichen für ein Treffen?
Ein greifbares Ergebnis des Ukraine-Gipfels im Weißen Haus am Montag: Innerhalb von zwei Wochen soll es ein Treffen geben zwischen dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj und Kreml-Chef Wladimir Putin. So kündigte es jedenfalls unter anderem US-Präsident Donald Trump an.
Selenskyj fordert schon länger ein solches Treffen. Aber dass Putin dazu bereit ist, hat bisher nur Trump verkündet. Aus Moskau hieß es bisher lediglich, man sei prinzipiell für jedes Gesprächsformat offen. Wie realistisch ist also eine baldige Zusammenkunft der beiden Präsidenten? Ein Überblick.
Welche möglichen Schauplätze gibt es?
Zunächst hatte Frankreichs Präsident Emmanuel Macron Genf als Ort des Treffens vorgeschlagen. Das Schweizer Außenministerium signalisierte dazu prompt seine Bereitschaft; trotz des internationalen Haftbefehls gegen Putin wolle man dem Präsidenten die Teilnahme an einer solchen Konferenz ermöglichen und ihm Immunität gewähren. Ähnliche Töne kamen zuletzt aus Österreich.
Denkbare Orte wären auch Saudi-Arabien oder die Türkei. In Istanbul haben die Ukraine und Russland seit Mai drei Mal miteinander verhandelt. In einem Telefonat dankte Putin dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan für die Unterstützung bei den Gesprächen. Am Dienstag hatte Putin mit dem saudischen Kronprinzen Mohammed bin Salman gesprochen; auch in Saudi-Arabien fanden in den vergangenen Monaten russisch-ukrainische Treffen statt.
Trump ist nach einem ersten Gespräch zwischen Putin und Selenskyj auch zu einem schnellen Treffen zu dritt bereit. Dafür soll sein Secret Service bereits Vorbereitungen in der ungarischen Hauptstadt Budapest treffen, wie die Website Politico berichtete. Bestätigt ist das nicht. Weil Ungarns Ministerpräsident Viktor Orbán die Annäherung der Ukraine an die EU blockiert, dürfte Budapest für Selenskyj eher kein neutraler Ort sein.
Bundesaußenminister Johann Wadephul (CDU) zeigte sich zurückhaltend, was Budapest als möglichen Austragungsort anbelangt. Er ist derweil in Indonesien und sagte auf eine entsprechende Frage, „die Gespräche, auch was das Verfahren angeht, das gestalten Russland und die Ukraine und nicht der deutsche Außenminister aus Jakarta.“ Zudem rief er Putin erneut auf, einem Treffen mit Selenskyj zuzustimmen.
Was genau sagt Moskau zu einem Treffen?
Eine Begegnung mit Selenskyj wird nicht direkt abgelehnt, aber auf eine möglichst lange Bank geschoben. Moskau sei für jedes Gesprächsformat offen, sagte Außenminister Sergej Lawrow. „Aber alle Kontakte unter Beteiligung der Staatschefs müssen äußerst sorgfältig vorbereitet werden.“
Bei den seit Mai laufenden bilateralen Verhandlungsrunden zwischen Kiew und Moskau gab es bisher wenig Fortschritte. Vereinbart wurden mehrere Gefangenenaustausche.
Zwischen Trump und Putin sei besprochen worden, dass die bisherigen direkten Verhandlungen zwischen Moskau und Kiew auf höherer Ebene geführt werden sollen als bisher, sagte Putins außenpolitischer Berater Juri Uschakow. Aber auch er sprach nicht von einem Treffen der Präsidenten.
Gab es schon mal eine Begegnung von Putin und Selenskyj?
Ja, und die lief nicht gut. Es war 2019 in Paris, und Selenskyj war kurz zuvor gewählt worden wegen seines Versprechens, mit Moskau eine Verständigung zu finden. Frankreichs Präsident Emmanuel Macron und die damalige Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) saßen mit am Tisch.
Dieses sogenannte Normandie-Quartett sollte den seit 2014 von Russland geschürten Konflikt in der Ostukraine beilegen. Doch Putin ließ den Ukrainer auflaufen und machte keine Zugeständnisse.
Wie lässt sich die persönliche Chemie zwischen den beiden einschätzen?
Mit Selenskyj und Putin würden zwei äußerst unterschiedliche Charaktere und Lebensläufe aufeinanderprallen. Der 72-jährige Geheimdienstoffizier Wladimir Putin herrscht seit einem Vierteljahrhundert zunehmend autoritär über sein Riesenreich. Er versteht den Zerfall der Sowjetunion als Kränkung und hat eine Rechnung mit dem Westen offen. Er will Russland zur Ordnungsmacht auf dem europäischen Kontinent machen, da stört eine unabhängige Ukraine.
Der 47-jährige Selenskyj war erfolgreicher Komiker und Fernsehmacher, bevor er 2019 in die Politik ging. Seine Regierungsbilanz war gemischt. Doch als Russland im Februar 2022 in die Ukraine einmarschierte, ließ er sich nicht in die Flucht schlagen und wurde weltweit zum Gesicht des ukrainischen Widerstands.
Wie stellt die russische Propaganda Selenskyj dar?
Seit der russischen Invasion, haben Putin und die Moskauer Führung Selenskyj in den schwärzesten Farben gemalt. Putin nannte ihn eine „toxische Figur“. In der Ukraine herrschten Nazis, hieß es aus dem Kreml – Selenskyj ist jüdischer Herkunft. Der ukrainische Präsident wurde als drogensüchtig, als willenlose Marionette des Westens verunglimpft.
Obwohl Putin selbst nur mit Hilfe unfreier Wahlen an der Macht ist, zieht Moskau Selenskyjs Legitimität in Zweifel: Dessen Amtszeit sei 2024 abgelaufen. Die ukrainischen Gesetze verbieten Wahlen während eines Krieges. Selenskyj hat seinerseits Putin immer wieder Terrorismus vorgeworfen und ihn auch mal als „Vollidioten“ bezeichnet.
Russlands Propaganda mit dem mächtigen Fernsehen hätte es also schwer, dem Publikum eine Kehrtwende nahezubringen. Putin müsste erklären, warum er „zusammensitzt mit einem Präsidenten, den er für einen Witz hält, aus einem Land, das nicht existiert.“ Das sagte die ukrainische Politologin Oryisa Lutsevich von der britischen Denkfabrik Chatham House dem US-Sender CNN.
Wie sieht die militärische Lage für Russland aus?
Der Kremlchef sieht sich auf der Siegerstraße. Seine Truppen rücken in der Ostukraine vor. Er vertraut darauf, dass sein Land genug Menschen und Material mobilisieren kann – anders als die kleinere Ukraine. Deshalb erwartet Moskau bislang, dass Putin sich nur mit Selenskyj oder einem anderen Vertreter aus Kiew treffen muss, wenn die Ukraine kapituliert.
Andererseits wird der russische Vormarsch mit hohen Verlusten erkauft. Auch die russischen Mobilisierungszahlen sinken. Im Schwarzen Meer hält die Ukraine die russische Flotte in Schach. Die zunehmenden Drohnentreffer der Ukraine auf Raffinerien, Energieanlagen oder Bahnstrecken im russischen Hinterland sind für Putin ein Ärgernis.
Wie stehen also die Chancen für ein Treffen?
Die Aufforderung zu einem Treffen kam immerhin von Trump, mit dem Putin es sich nicht verderben möchte. Der Kremlchef will mit den USA weiter über strategische Fragen sprechen, das könnte sein Kalkül beeinflussen.
Aber überall sind die Erwartungen gering. „Ich kann mir kaum vorstellen, dass Selenskyj, Putin und andere an einem Tisch sitzen und überhaupt über etwas sprechen, geschweige denn sich einigen“, sagte der ehemalige ukrainische Botschafter in Moskau, Wolodymyr Jeltschenko, der Ukrajinska Prawda.
„Um es klar zu sagen: Putin wird Selenskyj unter den jetzigen Umständen nicht treffen“, schrieb auch die im Exil lebende russische Politologin Tatjana Stanowaja im Netzwerk X. „Er hat mehrfach gesagt, dass ein solches Treffen erst möglich ist, wenn die richtige Grundlage gelegt ist, was in der Praxis bedeutet, dass Selenskyj Russlands Bedingungen für ein Kriegsende akzeptiert.“