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Millionen Haushalte surfen noch im langsamen Kupfernetz. Die Telekom blockiere den Wandel, kritisieren Breitband-Experten. Hoffnung ruht auf dem neuen Merz-Minister.
Berlin – Frankreich, Spanien oder auch Rumänien: die europäischen Länder haben Deutschland alle zumindest eines voraus. Fast flächendeckend sind die dortigen Haushalte mit Gigabit-Anschlüssen ausgerüstet. Philipp Müller und Franziska Löw vom Breitbandverband ANGA schätzen, dass der Wechsel in Deutschland erst in einem Jahrzehnt abgeschlossen sein wird. Im Interview mit dem Münchner Merkur von IPPEN.MEDIA sprechen sie darüber, wieso die Telekom eine entscheidende Rolle spielt und was sie vom neuen Digitalministerium erwarten.
Internet-Probleme in Deutschland: Altes Kupfernetz liegt noch überall – Telekom müsste entscheiden
Herr Müller, Frau Löw: Wieso hängt Deutschland so hinterher, wenn es um schnelles Internet geht?
Löw: Das hat verschiedene Gründe. Einer davon ist sicherlich das Kupfernetz der Telekom. Dieses Netz stammt noch aus Monopolzeiten und in jedem Haushalt liegt de facto dieser Kupferdraht. Nun ist es so, dass dieses alte Netz an seine Leistungsfähigkeit stößt, beziehungsweise stoßen wird. Viele Kunden kommen aktuell mit einem 250 MBit/s-Anschluss über die Runden. Aber der Datenhunger nimmt erwiesenermaßen zu. Wir werden diese Steigerungen mit dem Kupfernetz nicht mehr stemmen können. Seit der Liberalisierung des Marktes vor fast 30 Jahren hat sich durch eine größere Anbietervielfalt viel getan. In vielen Gebieten wäre das Kupfernetz mittlerweile überflüssig, wenn die Kunden zum vorhandenen Gigabit wechseln würden. Die Entscheidungshoheit, das DSL-Netz in den Ruhestand zu schicken, liegt bei der Telekom. Und die schaltet die Kundinnen und Kunden erst dann um, wenn sie selbst überall an den jeweiligen Straßen und Häuserzügen Glasfaser ausgebaut hat.
Droht eine schnelle Abschaltung des Kupfernetzes?
Das ist die Entscheidung der Telekom. Nach §34 des Telekommunikationsgesetzes muss aber „ein Unternehmen mit beträchtlicher Marktmacht“ mindestens ein Jahr im Voraus der Bundesnetzagentur Bescheid geben, wenn es Teile seines Telekommunikationsnetzes außer Betrieb nehmen oder durch neue Infrastrukturen zu ersetzen möchte.
Die Telekom argumentiert, der Wechsel müsse freiwillig bleiben. Bis alle Haushalte den vollzogen haben, braucht es vorerst weiter das Kupfernetz. Wie viele Haushalte in Deutschland müssten denn noch den Anschluss wechseln?
Müller: Von „müssen” kann keine Rede sein, auch wenn das manche gezielt behaupten. Vielmehr haben etwa 24 Millionen Haushalte, die noch auf dem langsamen DSL-Kupfernetz surfen, vielerorts eben die Chance auf deutlich besseres Internet zu gleichbleibenden Preisen. Realistisch ist: Der deutschlandweite Wechsel vom Kupfernetz auf Gigabit ist kein Projekt, das heute oder morgen abgeschlossen sein wird, sondern über einen Zeitraum von mehr als zehn Jahren gehen dürfte. Umso wichtiger ist es, dass die Bundesregierung schon heute die richtigen Weichenstellungen veranlasst. Mit der Entscheidung, das Thema im Koalitionsvertrag von CDU, CSU und SPD im Sinne des Anbieterwettbewerbs und damit der Verbraucherinnen und Verbraucher aufzugreifen, ist ein wichtiger erster Schritt getan.
Glasfaseranschlüsse für Mehrfamilienhäuser, etwa in deutschen Städten, gestalten sich schwieriger
Aber braucht wirklich jeder Haushalt Highspeed-Internet?
Müller: Wenn Sie die Großelterngeneration fragen, dann sind viele mit 50 bis 100 MBit/s zufrieden. Bei Haushalten mit Teenagern, die streamen, Computerspiele spielen und deren Eltern regelmäßig im Home-Office arbeiten, braucht es schon deutlich mehr Bandbreite. Langsames Internet ist zudem eine der größten Herausforderungen beispielsweise für die Telemedizin, und da kommen die älteren Bürgerinnen und Bürger wieder ins Spiel. Mal ganz zu schweigen davon, dass schnelles Internet mittlerweile gleichermaßen ein entscheidender Standortfaktor für Konzerne und Mittelständler ist.
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Finden sich diese Millionen Haushalte denn vor allem auf dem Land?
Löw: Tatsächlich muss man sagen, dass im ländlichen Bereich der Glasfaserausbau teilweise schneller vorangeht. Das liegt daran, dass Einfamilienhäuser einfacher anzuschließen sind als die Mehrfamilienhäuser in der Stadt. Die Frage ist nun, wie einfach und verbraucherfreundlich Politik, Regulierung und die Telekom den Wechsel für die übrigen 24 Millionen DSL-Haushalte gestalten.
Digitalministerium soll Eckdatenpapier zur Kupfer-Glasfaser-Migration vorlegen
Wie betrifft dieser zähe Wandel die Breitband-Unternehmen?
Müller: Zwei Drittel der Investitionen in den Ausbau schneller Netze kamen bislang von den sogenannten Wettbewerbern. Nachvollziehbar ist, dass die getätigten Investitionen refinanziert werden wollen und müssen. Nur so lässt sich die positive Entwicklung fortsetzen. Den flächendeckenden Gigabit- und Glasfaserausbau in Deutschland schafft kein Unternehmen allein, er gelingt nur gemeinsam mit allen Marktteilnehmern.
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Was muss aus Ihrer Sicht passieren?
Müller: Die Bundesnetzagentur als zuständige Behörde hat zum Thema Internet-Upgrade dieses Jahr ein Impulspapier vorgelegt. Aus unserer Sicht bleiben damit für Verbraucherinnen und Verbraucher in Deutschland noch zu viele Fragen offen. Hoffnung macht, dass das zuständige Bundesdigitalministerium angekündigt hat, zeitnah Eckpunkte für ein Gesamtkonzept zum Thema Kupfer-Glasfaser-Migration vorlegen zu wollen. Es braucht für Deutschland einen verlässlichen, transparenten und nachvollziehbaren Fahrplan in eine digitale Zukunft.
Schnelles Netz, aber nicht auf Teufel komm raus: Mieter und Hauseigentümer müssen mitgenommen werden
Was kann beziehungsweise muss das neue Ministerium da aus Ihrer Sicht leisten?
Müller: Deutschlands erstes Bundesdigitalministerium mit Karsten Wildberger an der Spitze hat einen beachtlichen Start hingelegt. Es hat den Glasfaserausbau in Deutschland rechtlich so eingestuft, dass der Ausbau zukünftig schneller, einfacher und damit auch kostengünstiger erfolgen kann. Allerdings ist bei den aktuell geplanten gesetzlichen Regelungen zur Beschleunigung des Glasfaserausbaus in Mehrfamilienhäusern wichtig zu beachten, dass beides – Deutschlands Internet-Upgrade und Mehrfamilienhaus-Glasfaserausbau – Hand in Hand geht.
Staatlich verordnete Eingriffe für sowohl Hauseigentümer als auch Mieter bewirken das Gegenteil dessen, was Politik und Verwaltung wollen und unser Land so dringend braucht. Die Glaubwürdigkeit von Digitalisierung und Digitalpolitik in Deutschland braucht Anreize statt Auflagen und Abschreckung. Ob und wie sehr jemand von der Digitalisierung profitiert, wird schließlich immer mehr zur sozialen Frage. Es sind Politik, Verwaltung und Wirtschaft gleichermaßen, die eine große Verantwortung dafür tragen, dass sich die soziale Schere nicht auch noch im digitalen Raum fortsetzt.