Kann der Bund den Kommunen immer neue Aufgaben auferlegen, ihnen dabei aber den nötigen finanziellen Ausgleich verwehren? Die Landeshauptstadt wollte diese Grundsatzfrage in einem Gutachten klären lassen und eine Einschätzung, wie sie sich juristisch gegen eine Überforderung zur Wehr setzen könnte. Das Gutachten liegt vor. Es macht Stuttgart nur in zwei Punkten Hoffnung.

Die Christdemokraten, die im Stuttgarter Gemeinderat die größte Fraktion stellen, hatten mit Anträgen Ende 2024 die Stadtverwaltung aufgefordert, sich in der Frage der Konnexität (Wer bestellt, bezahlt) juristischen Beistand zu holen. Sie fragten konkret nach Forderungsausfällen und der Klagemöglichkeit, um ausstehende Gelder bei Bund und Land einzutreiben. Außerdem sollte geklärt werden, welche Aufgaben die Stadt einstellen oder aussetzen könnte, wenn Zahlungen fehlen.

Stadt fehlten 2024 rund 260 Millionen Euro

Dabei geht es um horrende Summen: Bei der Flüchtlingsunterbringung fehlten der Stadt bis Ende 2024 rund 115 Millionen Euro für Unterkunft, Verpflegung und Sozialleistungen. Beim Bundesteilhabegesetz stünden der Stadt noch 145,1 Millionen Euro zu. Gleichzeitig kalkuliert Stuttgart für 2025 mit einem Haushaltsminus von 894 Millionen Euro. „Bund und Land müssen die Aufgaben, die sie verpflichtend an Kommunen delegiert haben, auch kostendeckend finanzieren“, so CDU-Fraktionschef Alexander Kotz.

Kein Anspruch gegenüber dem Bund

Das Gutachten habe man vor dem Hintergrund „der bundesweit dramatischen finanziellen Situation der Kommunen“ erstellen lassen, sagt die Stadt. Der Bund habe in den letzten Jahren zahlreiche Rechtsansprüche beschlossen, die die Kommunen erfüllen müssten, finanziellen Ausgleich gebe es nur begrenzt, so die Stadt am Mittwoch in einer Pressemitteilung. Das Fazit des Gutachtens von Professor Kyrill-Alexander Schwarz, der Öffentliches Recht an der Uni Würzburg lehrt, ist für die Auftraggeberin enttäuschend: „Die Kommunen haben keinen Anspruch gegenüber dem Bund auf finanzielle Kompensation. Es gibt keine Abhängigkeit zwischen Aufgabenübertragung und Finanzausstattung (Konnexität), weder zwischen Bund und Ländern noch zwischen Bund und Kommunen. Schon gar nicht gibt es einen Anspruch der Kommunen gegenüber dem Bund, Aufgaben zurückzunehmen oder die Erweiterung bestehender Aufgaben zu unterlassen.“

Gutachter warnt vor irreparablem Schaden

„Die Aussagen sind ernüchternd“, resümiert Winfried Klein, der Leiter des OB-Büros. Selbst wenn Kommunen keine finanziellen oder personellen Kapazitäten haben, „müssen sie Bundesrecht vollziehen und dafür notfalls eigene Aufgaben zurückstellen. Sie müssen Bundesgesetze vollziehen, bis sie zusammenbrechen“, so Klein. Rechtsschutzmöglichkeiten habe man praktisch keine. Nur in zwei Punkten könnte die Stadt klagen: Wenn ein Land Bundesmittel nicht abrufe, können Kommunen laut Gutachter diese direkt beim Bund einklagen. Und die Landesregierung dürfe durch ihre Zustimmung zu einem Bundesgesetz Kommunen nicht überfordern. Sie müsse die Belange der Kommunen bei ihrem Abstimmungsverhalten im Bundesrat berücksichtigen. Kyrill-Alexander Schwarz befasste sich in seiner Habilitation mit „Vertrauensschutz als Verfassungsprinzip“. In der Mitteilung der Stadt warnt er: „Nur leistungsfähige Kommunen können eine tragfähige Grundlage der Demokratie sein. Wenn sie ihre Aufgaben nicht mehr erfüllen können, nimmt die Gesellschaft irreparablen Schaden!“

Städtetage: Kommunen prüfen Klagen

Welche Konsequenzen Stuttgart aus dem Gutachten zieht, Bund und/oder Land also womöglich bald verklagt werden, konnte am Mittwoch auf Anfrage vom Rathaus wegen der Urlaubszeit nicht beantwortet werden. Nicht zu klagen wäre inkonsequent. Es gebe Städte, die sich nach dem Stuttgarter Gutachten ernsthaft Gedanken über den Gerichtsweg machten, sagt Ralf Broß, Geschäftsführendes Vorstandsmitglied des Städtetages Baden-Württemberg, der 205 Kommunen vertritt. Es gehe um Millionenbeträge. Mit dem Gutachten sende Stuttgart ein bedeutendes Signal. Eine Klärung sei „schlicht notwendig“, so Broß. Der Städtetag selbst ist nicht klageberechtigt. Broß, der früher OB in Rottweil war, hofft auf eine politische Lösung. Aber die Geduld der Städte sei bald erschöpft. Ob bei der Krankenhausfinanzierung, Ganztagesbetreuung, Schulsozialarbeit, der frühkindlichen Bildung oder bald der Wiedereinführung von G 9, auf allen Feldern zahlten die Kommunen drauf.

Auch der Deutsche Städte- und Gemeindebund und die Gewerkschaft Verdi fordern, dass der Bund per Gesetz auf die Kommunen übertragene Aufgaben lückenlos finanziert. 2024 hätten Städte und Gemeinden ein Defizit von 24,3 Milliarden Euro erwirtschaftet. Eine Lösung sei, deren Anteil an den Gemeinschaftssteuern zu erhöhen.