Leerstand in Stuttgart polarisiert: Sind Stuttgarts Vermieter Spekulanten? „Das entbehrt jeder Grundlage“ In Stuttgart stehen viele Wohnungen leer. Sie wieder zu nutzen, könne der Wohnungsnot entgegenwirken, sagt Rolf Gaßmann (links) vom Mieterverein. Joachim Rudolf vom Eigentümerverein Haus & Grund kontert. Foto: Lichtgut/Piechwoski, Schmidt

„Das Geschäftsmodell von Vermietern ist das Vermieten“, kontert Haus & Grund auf ein Interview mit Rolf Gaßmann vom Mieterverein. Und es gab noch mehr Reaktionen.

Das Interview mit Rolf Gaßmann, dem Vorsitzenden des Stuttgarter Mietervereins, zum Thema Leerstand polarisiert. Gaßmann griff in dem Gespräch den Widerspruch auf, dass in Stuttgart Wohnungen fehlen, es gleichzeitig aber auch viel Leerstand gibt – unter anderem, weil sich der Leerstand für Vermieter finanziell lohne. Für Gaßmann ist das längst keine Privatsache mehr, sondern ein gesellschaftliches Problem. Er fordert, die Stadt müsse schärfer eingreifen – und dass es mehr Kontrollen durch die Stadt geben müsse. Darauf folgten viele Reaktionen.

„Vermieter als Spekulanten zu bezeichnen, ist politische Agitation“

Joachim Rudolf, der Vorsitzende von Haus und Grund Stuttgart, und der Geschäftsführer Ulrich Wecker kontern heftig: „Die Aussagen von Herrn Gaßmann entbehren jeder Grundlage. Richtig ist: Das Geschäftsmodell von Vermietern ist das Vermieten!“ Zudem sei ihrer Meinung nach „richtig, dass der Leerstand in Stuttgart auch nach den Zensuszahlen 2022 mit 3,46 Prozent weiter niedrig und unter dem Landesschnitt bleibt.“ Ihrer Rechnung nach – und auch nach der der „Stuttgarter Statistiker“ – liege die „echte“ Leerstandsquote bei 0,5 bis 1,5 Prozent: „Hier noch weiter von ‚skandalträchtigen’ 11 150 leer stehenden Wohnungen zu sprechen, ist daher einfach unseriös.“

Rudolf und Wecker beziehen sich zudem auf die sinkenden Einwohnerzahlen in Stuttgart: „Damit sind die Zahlen von 30 000 fehlenden Wohnungen veraltet und entsprechen nicht der aktuellen Nachfragelage.“ Ihr Fazit: „Fakt ist, dass private Eigentümer das Gros des Wohnraums der Stuttgarter Stadtbevölkerung überhaupt erst zur Verfügung stellen. Das anzuerkennen, statt die Fronten zu verhärten, stünde auch dem Mieterverein einmal gut zu Gesicht. Die Stuttgarter Vermieter als Spekulanten zu bezeichnen oder den Wohlstandsleerstand auszurufen, ist nichts als politische Agitation auf dem Rücken des gesellschaftlichen Zusammenhalts und der insgesamt mehr als guten Beziehungen zwischen privaten Vermietern und ihren Mietern.“

In Stuttgart stehen viele Wohungen leer. Foto: Lichtgut/ Julian Rettig Keine positiven Erfahrungen mit der Stadt beim Thema Leerstand

Ein Leser (Name der Redaktion bekannt) gibt indes Gaßmann recht und berichtet von seiner persönlichen Erfahrung. Er schreibt: „Mit der Verfolgung von Wohnraumzweckentfremdung durch die Stadtverwaltung Stuttgart haben wir nicht sehr positive Erfahrungen gemacht: Vor vier Monaten gemeldet (Eigenbedarfskündigung mit nachfolgender Airbnb-Vermietung), hat sich bis heute nichts getan.“

Auch ein Bürgerbegehren des Bündnis „Bahnhof mit Zukunft“ unterstützt Gaßmann und den Mieterverein in seiner Forderung nach mehr Wohnraum. In einer Presseerklärung des Bündnisses schreibt Hannes Rockenbauch: „Zu Recht kritisiert Gaßmann den hohen Leerstand von 11 000 derzeit unbewohnten Wohnungen in Stuttgart, den die Stadtverwaltung mit nur 4,5 Personalstellen nicht effektiv bekämpfen kann. Deshalb fordert das Bündnis ‚Bahnhof mit Zukunft’, dass die Personalstellen, die derzeit mit der Planung einer Bebauung der Gleisflächen (S 21) für die fernen 30-er-Jahre beschäftigt sind, dringend umgewidmet werden müssen auf die wirksame Bekämpfung dieses Skandals.“

Der Leser Dieter Lippold aus Stuttgart schreibt: „Mit fünf Vollzeitstellen bei der Stadtverwaltung Stuttgart war es innerhalb von neun Jahren möglich, 450 leer stehende Wohnungen wieder dem Wohnungsmarkt zuzuführen. Laut Gaßmann vom Mieterverein ist das nicht viel – da hat er Recht. Geht von zum Beispiel 50 Vollzeitstellen statt nur fünf aus, so landet man bei einer Zahl von rund 4500 wieder vermieteten Wohnungen. Und jetzt – oh Wunder – sind wir bei einer Größenordnung, die dem geplanten Wohnungsneubau im Rosensteinviertel beim Projekt S 21 entspricht. Angeblich war für die Stadt Stuttgart das Projekt S 21 hauptsächlich dafür vorgesehen, die vorhandenen Gleisflächen durch Wohnbauten zu ersetzen. Wie oben beschrieben könnten also mit etwa 50 Vollzeitstellen bei der Stadt Stuttgart ungefähr so viele von über 11 000 leer stehenden Wohnungen wieder vermietet werden wie bei S 21 als Neubauten angestrebt werden. Und das alles ohne irgendeinen Eingriff in die Infrastruktur, ohne Milliarden zu verbraten, ohne die jahrelangen Beeinträchtigungen der Stuttgarter Bevölkerung mitsamt dem gesamten Umland.“

„Leerstand von mehr als 11 000 Wohnungen beseitigen“

Eine Leserin aus Stuttgart (Name der Redaktion bekannt) sieht die Nutzung der leer stehenden Wohnungen ebenfalls als Teil einer Lösung für das Stuttgart Wohnraum- und auch Klimaproblem an. Sie fordert: „Den Leerstand von mehr als 11 000 Wohnungen beseitigen, derzeit leer stehende Bürokomplexe wie die von Allianz und WGV zu Wohnungen umbauen, das EnBW- und Eiermann-Areal endlich bebauen.“