In den vergangenen Jahrzehnten hat es viele legendäre Konzerte im Frankfurter Waldstadion gegeben. Fotos aus den Achtziger- und Neunzigerjahren zeigen Superstars wie Madonna, die Rolling Stones, Michael Jackson oder Prince unter freiem Himmel und formen dabei die kollektive Erinnerung – nicht nur der Personen, die im Stadion dabei waren. Wenn wir in den nächsten Jahrzehnten auf den am vergangenen Wochenende zu Ende gegangenen Frankfurter Open-Air-Konzertsommer des Jahres 2025 blicken, wird die Erinnerung schwerer fallen.
Als Ergänzung zur großen Zahl der Handyschnappschüsse, von denen ein Großteil wohl über die Jahre in der digitalen Versenkung verschwinden wird, fehlen von vielen der Konzerte die technisch und künstlerisch überzeugenden Aufnahmen professioneller Fotojournalisten, die bleiben. Denn während bei jedem der Konzerte Zehntausende Handykameras ganz selbstverständlich die individuelle Fansicht auf die Bühne im Bild festhalten, bleiben Profis mit ihrem neutraleren Blick immer häufiger ausgesperrt.
Die Gründe dafür und die Argumente der jeweiligen Musiker sind ganz unterschiedlich. Während bei einigen Konzerten aus Sicht der Künstler und wohl vor allem aus der Sicht ihrer Manager gar keine tagesaktuellen Fotos entstehen sollen und an allen Tourstopps identische Bilder an Medien verteilt werden, möchten andere die von Fotojournalisten entstandenen Aufnahmen vor einer Veröffentlichung vorgelegt bekommen und freigeben oder ablehnen. Einige Künstler lassen sich auch exklusiv von eigens beauftragten Fotografen auf einer Tour begleiten und geben deren Bilder dann – ebenfalls nach einer „Abnahme“ – an die Presse weiter.
Verträge gefährden Geschäftsmodell der Fotografen
Journalistische Arbeit wird in allen diesen Fällen ausschließlich als weiterer Werbekanal betrachtet. Eine auch nur minimale Abweichung des in aufwendigen Kampagnen vermittelten visuellen Erscheinungsbildes soll um jeden Preis verhindert werden. Dabei gibt es ohnehin kaum einen Ort, an dem eine Inszenierung unter so kontrollierten Bedingungen präsentiert wird, wie bei einem Stadionkonzert, dessen Möglichkeiten auf Gebieten wie dem Bühnenaufbau, Licht und Kostüm fast unbegrenzt sind.
Daneben gibt es eine größer werdende Gruppe Künstler mit weniger Sorgen um ihr optisches Markenimage, aber umso mehr Geschäftssinn. Diese lassen sich in umfangreichen Fotoverträgen von allen anwesenden Fotojournalisten gleich die zukünftigen Nutzungsrechte aller Fotos für alle Zwecke ohne Honorarzahlung übertragen.
Ein Konzert ist eine private Veranstaltung, und so kann ein Veranstalter oder Künstler über das Hausrecht Regeln aufstellen und für die Presse vertraglich festschreiben. Zu den nicht strittigen Punkten in solchen Verträgen zählen Ausschlüsse von Fotonutzungen für nicht lizenzierte kommerzielle Produkte, etwa T-Shirts oder Tassen.
Auch eine zeitliche Beschränkung der fotografischen Arbeit vor Ort, häufig auf drei Lieder zu Konzertbeginn, ist nachvollziehbar – genau wie vorgegebene Standorte. Schließlich sollen Fotografen das Erlebnis zahlender Gäste nicht behindern – immerhin sind die Preise für Stadionkonzertbesuche auf einem hohen Niveau und dreistellige Kartenpreise keine Seltenheit.
Menschen beim Konzert von Madonna im Waldstadion in Frankfurt am Main im Sommer 1987.Mirko Krizanovic
Wenn aber Rechteübertragungen oder Einschränkungen in der aktuellen oder künftigen redaktionellen Nutzung eingefordert werden, ist das für Bilder, die professionelle Fotografen im Auftrag eines Mediums erstellen, mehr als nur ein Ärgernis. Das Geschäftsmodell freiberuflicher Fotografen beinhaltet häufig Zweitverwertungen durch Bildverkäufe aus dem eigenen Archiv.
Fallen solche Einnahmen weg, müssen Kosten und Nutzen von Aufträgen neu bewertet werden, und so kommt es vor, dass die besten Konzertfotografen Aufträge für Veranstaltungen mit solchen Verträgen ablehnen müssen. Auch für Publikationen wie die F.A.Z. haben Konzertfotos weniger Wert, wenn sie beispielsweise nicht in einem Jahresrückblick verwendet werden dürfen, weil in einem Vertrag eine einmalige Nutzung vorgeschrieben wird.
Das Resultat ist eine für alle Seiten unglückliche Situation. Zunächst entgehen Fotografen Einnahmen. Dann müssen Redaktionen, wenn sie Vertragsbedingungen nicht akzeptieren können und sogenannte Handoutfotos vom Künstlermanagement vermeiden möchten, entweder auf eine Berichterstattung vollständig verzichten oder ältere Fotos zeigen, schlimmstenfalls aus ganz anderen Zusammenhängen. Der Verzicht auf ein Foto zum Text ist hier keine Option, weil moderne Nachrichtenseiten wie FAZ.NET anders als die gedruckte Zeitung auch aus technischen Gründen üblicherweise keine prominenten Texte ohne Foto veröffentlichen können.
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Als Nächstes wundern sich Leser möglicherweise über andere Kleidung oder Wetterverhältnisse, als sie sie selbst beim Konzert erlebt haben. Denn es ist eben auch eine inhaltlich relevante visuelle Information, dass ein Musiker auf der Bühne in Frankfurt ein T-Shirt der Frankfurter Eintracht trägt (ein Ereignis aus diesem Sommer, das unsere Fotografen nicht dokumentieren konnten). Die F.A.Z. bemüht sich in solchen Fällen mit einem entsprechenden Hinweis zu Aufnahmedatum und -ort in der Bildunterschrift um möglichst große Klarheit.
Zum Schluss haben Künstler auf ihren Kanälen in den sozialen Netzwerken und eigenen Publikationen zwar die volle Kontrolle über das Bild, das sie von sich selbst mit den Menschen, die ihnen folgen, teilen. Sie nehmen sich und ihren Fans aber die Gelegenheit, von einem unerwartet mitreißenden Foto überrascht zu werden und vielleicht durch das Auge eines professionellen Bildjournalisten etwas Neues an ihrem eigenen Konzert zu entdecken.
Beruhigend bleibt, dass der generationsübergreifend wohl berühmteste Musiker dieser Frankfurter Konzertsaison im Umgang mit Pressefotografen einer der unkompliziertesten war: Bruce Springsteen respektiert offensichtlich nicht nur die Arbeit seiner Band, sondern auch die von unabhängigen Fotografen. Gleiches galt im vergangenen Jahr im Übrigen auch für Taylor Swift, der man höchstens vorwerfen könnte, dass sie Frankfurt als Veranstaltungsort diesmal ausgelassen hatte.
Es gibt also Gründe für Hoffnung. Und für alle, die noch an eine Berichterstattung mit Konzertfotos (und im weiteren Sinne den Fotojournalismus) glauben, bot Springsteen im ersten Lied seines Frankfurter Konzertes direkt die passende Zeile, die sich auch im nächsten Konzertsommer noch singen lässt: „No retreat, baby, no surrender“.
Henner Flohr ist Leiter der Bildredaktion der Frankfurter Allgemeinen Zeitung.