Wie ist dieser Überfall einzuordnen?
Der Angriff im Volkspark war erschütternd – und ja, wir sehen darin eine neue Eskalationsstufe. Die Tatsache, dass die Polizei von einem »organisierten Angriff« spricht, zeigt: Es geht nicht mehr nur um spontane Gewalt aus dem Affekt, sondern um gezielte, gruppenbasierte Gewalt gegen queere Menschen. Solche Taten verunsichern nicht nur die Betroffenen, sondern die gesamte Community. Wir fordern eine konsequente Aufklärung – auch um zu prüfen, ob es Verbindungen zu extrem rechten Netzwerken gibt.
Die Akzeptanz sexueller Vielfalt ist gestiegen, aber gleichzeitig ist die Zahl homofeindlicher Hassverbrechen so hoch wie nie zuvor. Wie ist das zu erklären?
Diese Entwicklung wirkt widersprüchlich – ist sie aber nicht. Mit wachsender Sichtbarkeit und rechtlicher Gleichstellung gehen auch Abwehrreaktionen einher. Rechte und religiös-fundamentalistische Gruppen versuchen, queere Menschen wieder zurückzudrängen. Was wir erleben, ist ein Backlash – politisch motivierter Hass, der sich in Gewalt übersetzt. Wichtig ist aber auch: Die gestiegene Zahl angezeigter Taten ist auch Ausdruck dessen, dass queere Menschen heute häufiger Anzeige erstatten, weil sie sich besser unterstützt fühlen. Das heißt: Die Gewalt ist real – aber auch der Mut, sich dagegen zu wehren.
»Die Gewalt ist real – aber auch der Mut, sich dagegen zu wehren.«
In diesem Jahr konnten viele Pride-Veranstaltungen nur noch unter Polizeischutz stattfinden, weil Rechtsextreme zu Angriffen aufriefen. War der Schutz ausreichend?
Es ist besorgniserregend, dass friedliche Demonstrationen für Menschenrechte polizeilich geschützt werden müssen. Der Schutz durch die Polizei war vielerorts angemessen – in manchen Städten gab es Lücken. Entscheidend ist aber: Der Staat darf sich nicht nur auf reaktive Maßnahmen beschränken. Wir brauchen ein umfassendes Sicherheitskonzept, inklusive Prävention, politischer Bildung und dem konsequenten Vorgehen gegen Hetze im Netz. CSDs sind kein »Sicherheitsproblem«, sondern Ausdruck demokratischer Teilhabe. Sie müssen geschützt, dürfen aber nicht stigmatisiert werden.
Was wünschen sich die Betroffenen solcher Überfälle wie im Volkspark?
Schutz bedeutet nicht: mehr Polizei an Orten, an denen queere Menschen sich zurückziehen – etwa in Cruising-Zonen. Dort lösen dauerhafte Patrouillen eher Angst aus. Was Betroffene wirklich wollen, ist: ernst genommen werden, Ansprechpersonen bei der Polizei und Schutz ohne Bevormundung. Wir fordern spezialisierte Ansprechpartner:innen in allen Polizeibehörden, eine konsequente Schulung im Umgang mit queerfeindlicher Gewalt – und einen Fokus auf Täter, nicht auf das Verhalten der Opfer.
Der LSVD gibt wie viele andere Organisationen auch Tipps zur Gewaltprävention. Was ist die Empfehlung? Sollten Homosexuelle sich vielleicht besser bemühen, nicht aufzufallen, um nicht zum Ziel zu werden?
Niemals. Der Gedanke, dass sich queere Menschen verstecken sollten, ist für uns nicht akzeptabel. Das wäre ein Signal der Kapitulation vor dem Hass. Sichtbarkeit ist kein Risiko – sie ist unser Schutz. Gleichzeitig rufen wir dazu auf, sich achtsam zu verhalten: in Gruppen unterwegs zu sein, Orte zu meiden, an denen es wiederholt zu Übergriffen kam, und Vorfälle konsequent zu melden. Sichtbarkeit ist ein Recht und der Staat muss alles tun, queere Menschen zu schützen.