Ein brutaler Raub, drei Schüsse auf einen Zivilfahnder und eine dramatische Flucht durch Hamburgs Süden – jetzt hat das Landgericht ein Urteil in dem Fall gesprochen. Was genau am S-Bahnhof Neugraben geschah. Und mit welchem Trick der Täter zunächst entkommen konnte.
Weil er drei Schüsse auf einen Zivilfahnder abgegeben hat, hat das Landgericht Hamburg einen 22-Jährigen zu sieben Jahren Haft verurteilt. Die Strafkammer sprach den jungen Mann wegen versuchten Totschlags schuldig.
Nach Feststellung des Gerichts hatte der Beamte am Abend des 8. Februar 2025 in der Nähe des S-Bahnhofs Neugraben beobachtet, wie der aus Tschetschenien stammende Angeklagte und zwei Mittäter auf einen Mann einschlugen und -traten, um diesem eine Umhängetasche zu rauben. Der Fahnder entschied sich einzugreifen. Er rief nur fünf Meter von dem Angeklagten entfernt: „Polizei, stehen bleiben!“ Der 22-Jährige lief zunächst auf den Beamten zu, woraufhin der Polizist Pfefferspray einsetzte.
Im. Anschluss versuchte der junge Mann zu flüchten, kam aber an einem Zaun vor den Bahngleisen nicht weiter. Er drehte sich um und schoss mit einer Pistole aus rund sieben Meter Entfernung auf den Polizisten, ohne ihn zu treffen. Dieser schoss mit seiner Dienstwaffe zweimal zurück. Der Angeklagte feuerte daraufhin zwei weitere Schüsse auf den Beamten ab. Keiner der Schüsse traf, doch eine Patrone flog so nah an dem Kopf des Beamten vorbei, dass dieser einen Luftzug am Ohr spürte.
Anschließend flüchtete der 22-Jährige durch die Bahnhofsunterführung. Dahinter traf er auf eine Polizeistreife, der er „Waffe, Waffe!“ zurief, um sie auf einen vermeintlich kriminellen Verfolger aufmerksam zu machen. Dank des Ablenkungsmanövers konnte er zunächst entkommen. Rund drei Stunden später nahm die Polizei den Angeklagten am Busbahnhof Neuwiedenthal fest.
Verteidiger: Schüsse auf Boden gerichtet
Zunächst hatte die Anklage auf versuchten Mord gelautet. Doch ein Mordmerkmal wie Heimtücke bestätigte sich im Prozess nicht. Auch der Staatsanwalt hatte eine Verurteilung wegen versuchten Totschlags gefordert und eine Strafe von sieben Jahren beantragt.
Der Verteidiger argumentierte, sein Mandant habe nur auf den Boden schießen wollen. Er plädierte dafür, den Angeklagten wegen versuchter gefährlicher Körperverletzung zu einer geringeren Strafe zu verurteilen.
Zeugen sprachen sich ab
Die Richterin betonte, dass der Angeklagte den Tötungsvorsatz selbst eingeräumt habe. Am Anfang des Prozesses habe der Angeklagte erklärt, dass es ihm leidtue, dass er auf den Polizisten geschossen habe. Zwei Zeugen, die selbst an dem Taschenraub beteiligt gewesen sein sollen, hatten im Prozess entlastende Aussagen gemacht. Die Richterin bezeichnete diese als Falschaussagen, die mit dem Angeklagten abgesprochen gewesen sein sollen.
Hintergrund des Taschenraubs waren Drogenstreitigkeiten. Der Inhalt der Tasche bestand aus Cannabis und Bargeld. An jenem Samstagabend war die Umgebung des S-Bahnhofs sehr belebt. Unter anderem habe sich dort eine Familie mit einem Kind aufgehalten. „Bei Schüssen auf einen Zivilfahnder im öffentlichen Raum in einer belebten Umgebung handelt es sich um eine schwere Straftat, die entsprechend besonders streng geahndet werden muss“, sagte die Vorsitzende Richterin.
Der Angeklagte sei zur Tatzeit noch nicht anderthalb Jahre in Deutschland gewesen. Er habe sich hier illegal aufgehalten und es geschafft, sich eine Pistole und Munition ebenfalls illegal zu besorgen. Dass er bislang in Deutschland nicht vorbestraft sei, wollte ihm das Gericht nicht strafmildernd anrechnen. Der Großteil der hiesigen Bevölkerung habe seit Jahrzehnten keine Straftat begangen, sagte die Richterin.
lno/juve