Der Oxford- und Cambridge-Absolvent Harry Camp ist am 21. Juli zu einer knapp 500 Kilometer langen Radtour durch Großbritannien aufgebrochen. Begleitet wird die Tour von einer GoFundMe-Kampagne, mit welcher der angehende Anwalt 12.858 Pfund sammeln will. Das Geld benötigt er nach eigenen Angaben, um seine Lebenshaltungskosten während des einjährigen Bar-Kurses in London zu finanzieren.
In England und Wales ist der Berufsstand der Rechtsanwälte in zwei Hauptgruppen unterteilt: Barristers und Solicitors. Ein Solicitor befasst sich in erster Linie mit außergerichtlichen Rechtsangelegenheiten, wie der Beratung und dem Formulieren von Dokumenten. Ein Barrister ist unterdessen auf die Vertretung von Mandantinnen und Mandanten vor Gericht und die Erstellung von Rechtsgutachten spezialisiert, häufig in komplexeren Angelegenheiten. Hierfür ist ein Bar-Transfer-Test nötig, um zugelassen zu werden. Dazu müssen angehende Barrister zunächst einen entsprechenden Kurs belegen.
„Bar2Bar“ – von Barsham nach Barmouth
Die Route der „Bar2Bar“-Kampagne von Camp verläuft von Barsham in Suffolk, dem östlichsten Ort in England, bis nach Barmouth in Gwynedd, dem westlichsten Ort in Wales mit gleichem Namensbeginn. Damit ist die Route nicht nur geografisch ambitioniert, sondern auch symbolisch aufgeladen: Sie steht stellvertretend für Camps englisch-walisisches Erbe sowie für die beiden Rechtssysteme, in denen er später als Barrister praktizieren möchte.
Die Wahl eines solchen Formats ist kein Zufall: „Diese Reise ist eine Hommage an die beiden Nationen, die unsere Gerichtsbarkeit bilden – und an mein eigenes englisch-walisisches Erbe“, schreibt Camp auf der Spendenplattform GoFundMe. Die Route soll dabei auch die gesellschaftlichen Hürden symbolisieren, die ihm auf dem Weg zu seinem Traumjob begegnet sind.
Soziale Herkunft: Arbeiterklasse statt Privilegien
Camp ist der Erste seiner Familie mit Universitätsabschluss. Seine Kindheit verbrachte er in drei unterschiedlichen Arbeitergemeinden. Seine Eltern stehen stellvertretend für eine Lebensrealität, die in der juristischen Welt noch immer unterrepräsentiert ist: Sein Vater ist selbstständiger Zimmermann, seine Mutter arbeitete bis vor Kurzem als Gemeindeschwester und Physiotherapie-Assistentin. „Mein Vater hat mir den Wert harter Arbeit und Durchhaltevermögen vermittelt. Meine Mutter hat mir ihr tiefes Verständnis für Hilfsbereitschaft und Fürsorge für andere vorgelebt“, schreibt Camp.
Trotz finanzieller Herausforderungen erarbeitete sich Camp einen erstklassigen Bachelor-Abschluss an der Universität Cambridge sowie einen herausragenden Masterabschluss an der Universität Oxford – allerdings in englischer Literatur. Zur Finanzierung seines Studiums jobbte Camp stets nebenher. Auch während seiner einjährigen Vorbereitung auf das Anwaltsexamen will Camp weiterhin nebenher arbeiten.
Mit seiner Radtour will er auch Mut machen: „Ich hoffe, anderen jungen Menschen mit ähnlichem Hintergrund zu zeigen, dass ihre Umstände, seien sie finanzieller oder anderer Art, sie nicht dabei einschränken, was sie im Leben erreichen können.“
Finanzierungslücke trotz Stipendium
Den Platz für den Bar-Kurs an der St George’s University of London hat sich Camp bereits gesichert. Auch erhält er ein leistungsbezogenes Stipendium des Lincoln’s Inn, einer der vier renommierten Rechtsanwaltskammern für Barrister in London, das seine Studiengebühren und einen Teil der Mietkosten abdeckt. Das Problem: Der Finanzbedarf für ein ganzes Jahr Vollzeitstudium in London übersteige das Stipendium, erklärt Camp.
Zunächst hatte er deswegen traditionellere Finanzierungsmöglichkeiten in Erwägung gezogen. Doch für ein Bankdarlehen konnte er sich nicht qualifizieren. Und auch auf staatliche Hilfe kann der angehende Anwalt nicht setzen. Zwar gebe es grundsätzlich die Möglichkeit, auch für einen Bar-Kurs einen staatlichen Postgraduierten-Kredit in Anspruch zu nehmen. Diesen habe er allerdings schon für sein Masterstudium in Oxford verbraucht. Ein erneuter Kredit sei nicht möglich.
Daher entschied sich Camp zu einer Crowdfunding-Initiative und koppelte diese mit der öffentlichkeitswirksamen Fahrradtour. Die angepeilte Summe von exakt 12.858 Pfund entspricht dabei der Summe des staatlichen Postgraduierten-Kredits.
Camp will zurückgeben: 15.000 Pfund für „Bridging the Bar“
Mit seiner Kampagne will Camp auch auf die strukturellen Hürden im juristischen Berufsweg aufmerksam machen. Besonders Menschen aus nicht-akademischen und einkommensschwachen Haushalten bleiben in der juristischen Ausbildung weiterhin stark unterrepräsentiert. Camp setzt sich deshalb nicht nur für sich selbst ein, sondern auch für andere: Camp ist Mitgründer des 93% Clubs. Das Netzwerk fördert Studierende aus staatlichen Schulen und ist im Vereinigten Königreich inzwischen landesweit aktiv.
Über das persönliche Spendenziel hinaus will Camp alle weiteren Einnahmen seiner Kampagne an den 93% Club spenden. Zusätzlich hat er öffentlich zugesagt, im Verlauf seiner Karriere mindestens 15.000 Pfund an „Bridging the Bar“ zu spenden. Dabei handelt es sich um eine Organisation, die durch Mentoring, Praktika und Kompetenzaufbau den Zugang zum Anwaltsberuf für unterrepräsentierte Gruppen fördert.
Auch auf die Frage, wieso er sich nach zwei Abschlüssen doch für eine Karriere als Anwalt entschieden hat, hat Camp auf GoFundMe eine Antwort parat: „Einer der Hauptgründe, warum ich mich entschlossen habe, Anwalt zu werden, war, dass ich meine juristische Ausbildung nutzen will, um mich für andere einzusetzen und damit etwas Positives zu bewirken.“
Die Resonanz auf die Spendenaktion ist beachtlich. Auf der GoFundMe-Seite wurden bereits über 13.000 Pfund gesammelt – der Zielbetrag ist damit sogar schon überschritten.
Redaktion beck-aktuell, Dr. Jannina Schäffer, 21. August 2025.