Russlands Präsident Putin hat kein Interesse an einem Ende seines Angriffskriegs gegen die Ukraine. Warum auch? Moskaus Einnahmen aus dem Gas- und Ölverkauf sprudeln – und die Ukrainer sind militärisch unterlegen. Dafür kann sich Putin auch bei den Europäern bedanken.
In Europa keimt die Hoffnung auf Frieden in der Ukraine auf. Um ihn abzusichern, debattieren die Verbündeten Kiews bereits über die mögliche Entsendung von Bodentruppen. Und US-Präsident Donald Trump bietet Sicherheitsgarantien an, die der Beistandspflicht der Nato nach Artikel 5 ähneln sollen. Es gibt nur ein Problem: Wladimir Putin hat kein Interesse an einem Frieden, solange Russland an der ukrainischen Front militärisch die Oberhand behält.
Dass der russische Präsident den Krieger erfolgreich weiterführen kann, ist auch die Schuld der Europäer. Stets betonen sie, fest an der Seite der Ukraine zu stehen. Sie schicken ihr aber nicht genug Rüstungsgüter – und Deutschland verweigert die Lieferung erfolgversprechender Waffen wie dem Taurus. So verkommt die viel beschworene Solidarität mit der Ukraine zur Heuchelei. Das muss aufhören. Bevor Putin sich bewegt, müssen die Europäer sich bewegen – und die militärische Hilfe für Kiew endlich hochfahren.
Die Europäer helfen Putins Invasion noch auf eine andere Weise: mit Geld. Niemals könnte Russland mit leeren Staatskassen Krieg führen. Das ist nicht der Fall, weil in Moskau weiter viele Milliarden an Einnahmen sprudeln durch den Verkauf von Öl, Gas, Uran und Brennstoffen. Zu Russlands Handelspartnern zählen viele Mitgliedstaaten der Europäischen Union. Trotz aller Sanktionen und Bemühungen, unabhängiger von russischem Öl und Gas zu werden, hat die EU laut dem britischen Forschungsinstituts Centre for Research on Energy and Clean Air (CREA) im vergangenen Jahr nur ein Prozent weniger fossile Brennstoffe aus Russland importiert als im Vorjahr.
Ein Fünftel des Gases in der EU kommt aus Russland
Insbesondere der Handel mit russischem Flüssiggas floriert weiter in der EU. Nach Angaben der EU-Kommission machten russische Gaslieferungen 2024 noch immer rund 19 Prozent der gesamten EU-Gasimporte aus. 2023 wurden Erdgas und Flüssiggas im Wert von 15,6 Milliarden Euro aus Russland in die EU importiert. Zu den größten Abnehmern russischen Flüssiggases in der EU zählen Frankreich, Spanien, die Niederlande, Belgien und Italien. Länder wie Österreich, die Slowakei und Ungarn importieren derweil russisches Gas über Pipelines. Auf Umwegen kommen die gewaltigen Mengen russischen Gases, die in Europas Netz eingespeist werden, auch nach Deutschland.
Zwar will die EU-Kommission russische Gasimporte schrittweise bis 2027 stoppen. Bis dahin fließen aber weiter riesige Summen an den russischen Aggressor, der die Nachkriegsordnung in Europa bedroht. Dass europäische Politiker den Krieg verdammen und zugleich nicht imstande sind, den Finanzfluss nach Moskau mit schlagkräftigen Embargos auszutrocknen, dürfte Putin amüsieren. Erst wenn die Europäer keinen Cent mehr für russische Energie zahlen, werden die Verantwortlichen im Kreml sie ernst nehmen. Erst dann wird aus der Heuchelei entschlossenes Handeln. Der effektivste Weg zur Beendigung eines Krieges ist es, den Geldhahn zuzudrehen.
Zugegeben: Wer einen Blick auf die andere Seite des Atlantiks wirft, wird auch bei Trump keine große Mühe erkennen, den Druck auf Putin zu erhöhen. Die US-Militärhilfe wird zurückgefahren – und geschenkt bekommt die Ukraine von den Amerikanern nur noch wenig. Auch die von Trump angedrohten Strafzölle für Russland und seine Handelspartner verpufften größtenteils – übrig blieben lediglich zusätzliche Zölle in Höhe von 25 Prozent für Waren aus Indien. Zudem holte Trump Putin auf dem Gipfeltreffen in Alaska zurück auf die internationale Bühne.
EU muss russische Zentralbank-Milliarden anfassen
Warum aber erwarten die Europäer so viel von Trump, wenn sie es über Jahre komplett versäumt haben, ihren eigenen Kontinent gegen Putin zu rüsten? Wenn sie zwar mehr Waffen an die Ukrainer liefern, ihnen mehr Hilfsgelder überweisen – aber beides nicht im nötigen Umfang? Wenn sie nicht nur fleißig weiter russisches Gas kaufen, sondern trotz ihres Embargos über Indien auch noch Produkte aus russischem Rohöl?
Es wirke vor diesem Hintergrund „abstrus“, wenn die Europäer dann Trump auffordern, er solle mit Sanktionen oder Sekundärzöllen mehr Druck auf Moskau machen, sagt der Sicherheitsexperte Nico Lange vom Center for European Policy Analysis. Trump wird die Heuchelei der Europäer schon als solche erkannt haben. Auch die großen Gas-Kunden Russlands wie Frankreich oder Spanien müssen Trump beweisen, dass sie Putin wirklich die Daumenschrauben anziehen wollen. Denn auch sie könnten von Trumps Strafzöllen getroffen werden, falls er sie doch noch verhängt.
Um Putin in Bedrängnis zu erhöhen, hätten die Europäer eine weitere Möglichkeit, die sie seit Jahren nicht nutzen: In Belgien liegen 210 Milliarden Euro der russischen Zentralbank, die nach Beginn des Angriffskriegs eingefroren wurden. Das Geld könnte dafür verwendet werden, die Ukraine wiederaufzubauen. Bislang werden aber nur die Zinsen dieses Vermögens für Hilfszahlungen an Kiew genutzt. Allen juristischen und wirtschaftlichen Bedenken zum Trotz sollten die Europäer sich ein Herz nehmen und die russischen Milliarden anfassen. Es wäre ein klares Signal an Putin: Die Heuchelei hat ein Ende. Mag Putin den Krieg dann auch nicht sofort stoppen, er würde den Druck spüren. Würden die Europäer endlich ernst machen, würde Putin sie auch ernster nehmen.