Mit dem neuen Schuljahr beginnt für viele Kinder in Bayern der Alltag im offenen oder gebundenen Ganztag. Was politisch als großer Fortschritt in Sachen Bildungsgerechtigkeit gilt, stößt bei Fachverbänden zunehmend auf Skepsis. Der Evangelische Kita-Verband Bayern (evKITA) warnt davor, Ganztagsangebote auf eine bloße Verlängerung des Unterrichts zu reduzieren – und fordert mehr Freiräume für Spiel, Kreativität und selbstbestimmtes Lernen.

Kritik an „verlängerter Schulbank“

„Kinder haben ein Recht darauf, nicht den ganzen Tag durchgetaktet zu sein“, betont Christiane Münderlein, Vorständin Bildung und Soziales im evKITA. Sie verweist auf die Gefahr, dass Ganztag lediglich als zeitliche Ausdehnung schulischen Lernens organisiert wird. Dauerhafte Leistungsanforderungen könnten die natürliche Neugier von Kindern einschränken – statt Förderung drohe Überforderung.

Der Verband stellt damit ein Grundproblem in der aktuellen Ganztagsdebatte heraus: Während Politik und Bildungsadministration vor allem den Rechtsanspruch auf Betreuung ab 2026 im Blick haben, rücken pädagogische Qualitätsfragen in den Hintergrund.

Unverfügbarkeit als Bildungswert

Ein zentrales Stichwort in der Stellungnahme ist der Begriff der „Unverfügbarkeit“, geprägt vom Soziologen Hartmut Rosa. Gemeint sind Erfahrungen und Momente, die sich nicht planen lassen: das freie Spiel, das Ausprobieren, das Nichtstun. Für den evKITA sind gerade diese Momente entscheidend für die emotionale und soziale Entwicklung von Kindern.

Besonders Horte böten gute Bedingungen für diese Form von Bildung: offene Strukturen, Räume für Kreativität und Rückzug, sowie pädagogische Fachkräfte, die beziehungsorientiert arbeiten. Bildungsgerechtigkeit bedeute in diesem Sinne nicht nur gleiche Zugänge zu schulischem Lernen, sondern auch gleiche Chancen auf Muße und Selbstbestimmung.

Offene Fragen vor dem Rechtsanspruch

Der Verband verbindet seine Kritik mit klaren Forderungen: mehr Gestaltungsfreiheit für Pädagog*innen jenseits schulischer Lernlogiken, eine verlässliche Finanzierung von Horten unabhängig von der Finanzkraft einzelner Kommunen sowie multiprofessionelle Teams, die sowohl Lern- als auch Freizeitpädagogik abdecken können.

Hinter der Kritik steht ein grundsätzliches Dilemma: Der geplante Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung ab 2026 erhöht den Druck auf Kommunen und Träger, Plätze bereitzustellen. Ob dabei auch qualitativ hochwertige Angebote entstehen, ist offen. Fachleute warnen seit Jahren, dass die Politik vor allem auf Quantität setzt und damit Gefahr läuft, die eigentlichen Bedürfnisse von Kindern zu übergehen.