1. Startseite
  2. Wissen

DruckenTeilen

Ein prophylaktischer Eingriff bei Patientinnen und Patienten von Osteoporose kann helfen, die Knochensubstanz am Oberschenkel wieder aufzubauen.

Frankfurt – Mit Osteoporose verhält es sich wie mit vielen Erkrankungen, die schleichend fortschreiten: Meist spürt man anfangs nichts davon. So wie auch Krebs oder Alzheimer zuweilen über Jahre hinweg keine Beschwerden bereiten, macht sich Osteoporose oft erst dann bemerkbar, wenn die Knochen bereits sehr fragil geworden sind und es schlimmstenfalls zum Bruch gekommen ist. „Leider ist es immer noch so, dass die meisten Patienten – oft ältere Menschen über 75 – erst dann kommen, wenn sie sich etwas gebrochen haben“, sagt Andreas Seekamp, Direktor der Klinik für Orthopädie und Unfallchirurgie am Universitätsklinikum Schleswig-Holstein (UKSH) in Kiel.

3-D-Modell eines menschlichen OberschenkelknochensDer Oberschenkel beherbergt den längsten und stärksten Knochen im menschlichen Körper. © Imago/Depositphoto

Und nicht selten bedeutet so ein Bruch im höheren Alter dann eine dramatische Zäsur: Viele Patientinnen und Patienten kommen nicht mehr richtig auf die Beine und sind auf Hilfe angewiesen; durch Osteoporose bedingte Frakturen zählen zu den häufigsten Gründen für Pflegebedürftigkeit.

Frauen sind früher und häufiger von Osteoporose betroffen als Männer

Obwohl ein beträchtlicher Anteil der älteren Menschen durch die chronisch verlaufende, sich stetig verschlechternde Erkrankung des Skelettsystems gefährdet ist, kennen nur die wenigsten ihr persönliches Risiko. Allgemein gilt: Frauen sind früher – teilweise bereits mit Beginn der Menopause um das 50. Lebensjahr herum – und häufiger betroffen als Männer. Ab einem Alter von 65 hat etwa ein Viertel der Frauen Osteoporose entwickelt, bei gleichaltrigen Männern sind es nur sechs von 100.

Mit Mitte 70 leidet etwa die Hälfte der weiblichen und etwa ein Drittel der männlichen Bevölkerung unter der Erkrankung, die mit einem Verlust an Dichte und Veränderungen in der inneren Struktur der Knochen einhergeht. Erst im höheren Alter gleichen sich die Zahlen an, über 80 sind bei beiden Geschlechtern rund drei Viertel betroffen.

Risiko per Urin- oder Bluttest ermitteln

Lange war eine Messung der Knochendichte per Dual-Energie-Röntgenabsorption die einzige Möglichkeit, den Zustand der Knochen zu ermitteln. Seit einiger Zeit lässt sich ein mögliches Risiko nun auch per Urin- oder Bluttest frühzeitig erkennen – und dann gegensteuern. Das noch relativ junge Verfahren basiert auf Forschungen zur Zusammensetzung von Korallen – und der Erkenntnis, dass ebenso wie in den Meeresbewohnern auch im menschlichen Körper drei verschiedene Kalzium-Isotope (unterschiedlich schwere Kalzium-Teilchen) vorkommen. „Aus dem Verhältnis von zwei dieser drei Kalzium-Isotope lässt sich ablesen, ob eine krankhafte Entwicklung im Gange ist und ein erhöhtes Risiko für eine Osteoporose besteht“, erklärt Seekamp.

Warum Kalzium als Marker? Charakteristisch für Osteoporose ist ein Missverhältnis von Kalzium-Aufbau und Kalzium-Abbau im Knochen. Der Gesamtwert von Kalzium könne aber auch bei Osteoporose normal sein, sagt der Mediziner, weshalb herkömmliche Blut- oder Urintests nicht geeignet seien: „Sie zeigen eine mögliche negative Bilanz des Kalzium-Stoffwechsels nicht auf.“ Der neuartige Test hingegen sei „sehr sensibel und genau“. Bislang werden die Kosten allerdings noch nicht von den Krankenkassen erstattet.

Osteoporose: Bewegung beeinflusst Knochendichte

Sollte das Ergebnis auf ein erhöhtes Risiko hinweisen, bedeute das aber noch nicht, „dass jemand tatsächlich auch Osteoporose hat“, betont Seekamp. „Man sollte in diesem Fall zeitnah eine Knochendichte-Messung vornehmen und zudem alle am Knochenstoffwechsel beteiligten Hormone untersuchen lassen, etwa die der Schilddrüse und der Neben-Schilddrüse.“ Erst nach vollständiger Diagnostik könne dann individuell über eine Therapie entschieden werden.

Auf eigene Faust Vitamin D und Kalzium einzunehmen, dazu rät der Mediziner nicht – auch wenn beide keinen Schaden anrichten, weil der Körper ein Zuviel ausscheidet. „Aber eine Osteoporose kann auch eine andere Ursache haben als einen Mangel an Vitamin D oder Kalzium.“ Ein universeller Rat des Mediziners bei erhöhtem Risiko – und nicht nur dann – lautet körperliche Aktivität: „Wir erleben es immer wieder, dass Patienten, die sich bewegen, auch im höheren Alter eine höhere Knochendichte haben als jemand, der vor allem zu Hause sitzt.“ Spazieren gehen, Fahrradfahren, zu Fuß einkaufen gehen – all das seien „Maßnahmen, die die Entwicklung von Osteoporose hinauszögern können“.

Zur Therapie einer bestehenden Osteoporose stehen verschiedene Medikamente zur Verfügung. „Klassiker“ sind Biphosphonaten, eine Gruppe von Substanzen, die bereits seit Jahrzehnten häufig verordnet werden. Seit der Jahrtausendwende hat sich die Palette der Medikamente deutlich erweitert. Dazu gehören Biologika wie Denosumab oder Romosozumab, die den Knochenaufbau fördern beziehungsweise den Abbau bremsen sollen, oder hormonähnliche Substanzen wie Raloxifen, das die Wirkung von Östrogen auf die Knochen nachahmt. Es ist eine Gratwanderung, nicht zu früh mit einer medikamentösen Therapie zu beginnen, bevor sich das klinische Bild entwickelt hat, aber auch nicht so lange zu warten, bis die Erkrankung fortgeschritten ist und ein Sturz fatale Folgen haben kann.

Erkrankung lässt sich zumindest verlangsamen

Generell gilt: Rückgängig machen lässt sich Osteoporose nicht, wohl aber ihr Fortschreiten stoppen oder zumindest verlangsamen. „Aus einem Knochen eines 60 Jahre alten Menschen lässt sich nicht mehr der eines 20-Jährigen machen“, erklärt Seekamp. Vielmehr solle als Vergleich das Kollektiv der eigenen Altersklasse herangezogen werden. Befinde sich beispielsweise eine 65 Jahre alte Patientin im gelben oder gar roten Bereich, so sei das Ziel einer Therapie der grüne Bereich in ihrer Altersklasse. Unbehandelt jedoch schreite eine Osteoporose zwingend fort, auch wenn das Tempo individuell verschieden sei.

Neben der medikamentösen Therapie gibt es seit wenigen Jahren auch die Möglichkeit einer prophylaktischen Operation. Damit sei man, so Andreas Seekamp, erstmals in der Lage, verloren gegangene Knochensubstanz wieder aufzubauen; bislang allerdings nur am Oberschenkelknochen in Hüftnähe, der häufigsten Bruchstelle bei Osteoporose. Der Mediziner erklärt das Verfahren: Bei einem minimal-invasiven Eingriff unter Röntgenkontrolle wird seitlich auf Höhe des Schenkelhalses ein Schnitt gesetzt und in den Knochen ein Loch von etwa sechs Millimetern Durchmesser gebohrt.

Über diesen Zugang bekommen die Patientinnen und Patienten dann zur Stabilisierung synthetisches bio-regeneratives Material mit einer Konsistenz ähnlich der von Zahnpasta in die durch Knochenabbau entstandenen Hohlräume gespritzt. Dort härtet das Material aus, wird resorbiert und im Laufe von vier bis sechs Monaten durch neuen Knochen ersetzt.

Bei Risiko oder nach erstem Bruch

Diese hohe Verdichtung des Knochens sei mit Medikamenten nicht zu erreichen, sagt Seekamp. Er weist allerdings auch darauf hin, dass Patientinnen und Patienten diese auch nach einer Operation weiterhin einnehmen müssen, da Osteoporose eine systemische Erkrankung ist und alle Knochen betrifft.

Operiert werden kann entweder bei hohem Risiko durch Osteoporose, bevor es zu einem Knochenbruch kommt, oder – was häufiger der Fall ist – um einer weiteren Fraktur vorzubeugen, wenn sich jemand bereits etwas gebrochen hat. In der Regel erfolgt der vorbeugende Eingriff unmittelbar im Anschluss an die operative Versorgung des ersten Bruchs, die gesamte Operation dauert dann etwa eine bis eineinhalb Stunden. Die Anfälligkeit für einen erneuten Bruch könne mit dem Eingriff aktuellen Erkenntnissen zufolge um 80 Prozent gesenkt werden, sagt Seekamp.

Das ist deshalb von großer Relevanz, weil 70 bis 80 Prozent der Menschen mit Osteoporose binnen fünf Jahren nach einer Fraktur einen weiteren Bruch erleiden, oft auf der gegenüberliegenden Körperseite. Allerdings kommt die prophylaktische Operation nicht für alle Patientinnen und Patienten infrage. Am besten geeignet ist sie für Menschen mit „höhergradiger Osteoporose, die aber sonst noch sehr mobil und aktiv sind“, erläutert Seekamp: „Menschen mit Pflegegrad profitieren nicht.“ 

Mehr als 500 Menschen bereits operiert

Bei einer prophylaktischen Operation spielt das Nutzen-Risiko-Profil natürlich eine besondere Rolle. Neben den üblichen OP-Risiken wie Wundheilungsstörungen können das in diesem Fall eine Deformation des Knochens an der Eingriffsstelle oder eine unvollständige oder ausbleibende Einheilung sein. Andreas Seekamp spricht jedoch von „sehr geringen Risiken“. Er und sein Team am Universitätsklinikum Schleswig-Holstein sind an der internationalen Studie „Restore“ beteiligt, für die 300 Patientinnen und Patienten mit Osteoporose die stabilisierende Operation erhalten und fünf Jahre lang nach beobachtet werden. Insgesamt sind nach Angaben von Seekamp weltweit mittlerweile mehr als 500 Menschen mit dieser Methode behandelt worden. Bislang habe keiner/keine davon eine weitere Fraktur erlitten.

Möglich ist der Eingriff an Universitätskliniken und größeren städtischen Kliniken. Patientinnen und Patienten, die für eine prophylaktische Operation infrage kommen und sie in Erwägung ziehen, rät der Mediziner, sich am besten an ein Haus zu wenden, das als Klinik für Alterstraumatologie zertifiziert ist. Das trifft auf bundesweit knapp 600 Kliniken zu. (pam)