Während die russische Armee die Einwohner der ukrainischen Stadt Mariupol im Frühling 2022 aushungerte und mit Bombenterror überzog, gab sich der frühere russische Präsident Medwedjew sicher: Die Gaspipeline Nord ­Stream 2 habe noch eine „erfreuliche Zukunft“. Auf die Dauer, so seine Argumentation sinngemäß, werde den Deutschen ihr Geld wichtiger sein als die Ukraine.

Zu dieser Zeit war das Projekt von Berlin schon für tot erklärt worden. Die Leitung durch die Ostsee, an der Politik und Wirtschaft in Deutschland wider alle Vernunft jahrelang festgehalten hatten, sollte nicht mehr in Betrieb gehen. Doch gleichzeitig hing Deutschlands Gasversorgung noch immer an deren älterer Schwester Nord Stream 1. Um Deutschland unter Druck zu setzen, drosselte Russland im Sommer 2022 die Lieferungen. Im August hat der Kreml sie ganz eingestellt.

Politische Dummheit und schwere Straftat

Nur wenige Wochen später wurden Nord Stream 2 und ein Strang von Nord Stream 1 durch Explosionen zerstört. Damals war unklar, wer die Tat begangen hatte, die in Europa erhebliche Verunsicherung hervorrief. Sie hätte auch zum Stil des Kremls gepasst.

Doch die Motivlage der Ukrainer, die – wie man nun annehmen muss – dahintersteckten, ist deutlich schlüssiger: Ihnen stellte sich die Frage, ob Deutschland gegenüber dem russischen Druck standhaft bleiben würden. Das Misstrauen war nach der Vorgeschichte nicht unbegründet.

Das ist keine Rechtfertigung für den Anschlag. Politisch war er eine große Dummheit. Er hätte die Beziehungen zu einem der wichtigsten Verbündeten der Ukraine beschädigen und dem Kreml einen Propagandaerfolg bescheren können.

Vor allem aber ist ein Sprengstoffanschlag außerhalb eines Kriegsgebiets eine schwere Straftat. Die Justiz muss sie ohne politische Rücksichtnahme aufklären und ahnden. Daher ist die Festnahme eines der mutmaßlichen Organisatoren in Italien zu begrüßen. Aufgabe der deutschen Politik bleibt es unabhängig von diesem Verfahren, die angegriffene Ukraine zu unterstützen.