Günter Danninger legt noch schnell die letzten leeren Kisten in den kleinen weißen Transporter mit der blauen Aufschrift, dann kann es losgehen. „Man muss gut Tetris können, wenn man alles unterbringen will“, sagt er und schließt schwungvoll die Tür des Autos. Es ist Viertel vor acht, als er gemeinsam mit Bodo Seelmann vom Hof der Frankfurter Tafel in Fechenheim fährt.

Die Fahrt dauert nicht lang, da biegen sie schon ab und halten an der Laderampe eines Supermarktes. „Guten Morgen!“, grüßt Seelmann den rauchenden Supermarkt-Mitarbeiter. Der hebt nur die Hand. Gemeinsam mit Danninger sortiert Seelmann dann die in einem Rollwagen bereitgestellten Lebensmittel: Alles, was man noch essen kann, kommt in eine Tafel-Kiste. Alles, was verdorben ist, werfen sie weg. Sind der Rollwagen leer und die Kisten im Transporter, fahren sie zum nächsten Supermarkt. Elf Stück und eine Metzgerei werden es an diesem Donnerstagvormittag sein.

210 Tonnen Lebensmittel im Monat an Bedürftige

Danninger und Seelmann sind zwei von rund 270 Ehrenamtlichen, die sich bei der Frankfurter Tafel engagieren. Der gemeinnützige Verein gibt Lebensmittel an Frankfurts Bedürftige aus, und das seit mittlerweile 30 Jahren. 1995 gründete Hella Schmieder die Frankfurter Tafel. Was als kleines Projekt begann, ist mittlerweile zur größten Tafel Hessens gewachsen: Jeden Monat verteilen Ehrenamtliche rund 210 Tonnen Lebensmittel an fast 30.000 Bedürftige in zwölf Ausgabestellen und in mehr als 70 sozialen Einrichtungen.

Danninger engagiert sich seit fast zwei Jahren bei der Tafel, weil er der Gesellschaft etwas zurückgeben wolle. Denn der 67 Jahre alte Rentner habe es im Leben immer gut gehabt, sagt er. Auch Seelmann wollte, nachdem er in Rente gegangen war, etwas für die Allgemeinheit tun. Seit sechs Wochen holt er nun einmal in der Woche Lebensmittel von Supermärkten ab.

Vollgepackt: Günter Danninger (links) und Bodo Seelmann beladen den Tafel-Transporter.Vollgepackt: Günter Danninger (links) und Bodo Seelmann beladen den Tafel-Transporter.Lucas Bäuml

Doch die werden immer weniger. Das liege unter anderem daran, dass die Supermärkte die Lebensmittel oft vergünstigt verkaufen, wenn das Mindesthaltbarkeitsdatum fast erreicht ist, erklärt Rainer Häusler aus dem Vorstand der Frankfurter Tafel. Früher gingen solche Lebensmittel direkt an den Verein. Auch intelligente Bestellsysteme, die nur noch die Ware bestellen, die wirklich verkauft wurde, trügen dazu bei. Das sei vor allem bei frischen Lebensmitteln problematisch für die Tafel.

Dazu komme auch noch Konkurrenz von anderen Lebensmittelsammlern, sagt Häusler. Er kritisiert, dass diese oft für sich selbst und nicht für Bedürftige sammelten. Manchmal gehen die Fahrer der Tafel deshalb leer aus: „Die haben nichts“, sagt Seelmann und steigt zurück zu Danninger in den Transporter. Vielleicht haben sie beim nächsten Supermarkt mehr Glück.

Immer mehr Lebensmittel müssen weggeworfen werden

Nicht alles, was die Märkte abschreiben, also aussortieren und der Tafel zur Verfügung stellen, kann auch an die Bedürftigen verteilt werden. Manchmal ist das Haltbarkeitsdatum zu weit überschritten oder das Essen nicht mehr genießbar. „Wir sortieren da schon sehr kritisch“, sagt Seelmann und schaut sich die abgepackten Salate und Sandwiches genau an. „Vor allem im Sommer.“

Bei Fleisch, Fisch oder Milchprodukten werfe der 63 Jahre alte Mann lieber mehr weg, als zu riskieren, dass sich jemand den Magen verderbe, erklärt er. Das fänden nicht immer alle Marktleiter gut. „Ist mir aber egal“, sagt Seelmann und sortiert weiter aus. So landet der Inhalt einer ganzen Kiste im Müll – etwas, das laut Danninger immer häufiger passiert.

Genau im Blick: Bodo Seelmann kontrolliert die Qualität und Haltbarkeit der gespendeten Lebensmittel sorgfältig.Genau im Blick: Bodo Seelmann kontrolliert die Qualität und Haltbarkeit der gespendeten Lebensmittel sorgfältig.Lucas Bäuml

Nicht alle Ehrenamtlichen kämen zunächst freiwillig zur Tafel, erzählt Danninger, während er den Tafel-Transporter zum nächsten Supermarkt lenkt. Manche müssten Sozialstunden leisten. „Aber auch die härtesten Jungs kommen hinterher immer freiwillig wieder“, sagt er. Denn: Viele merkten durch die Arbeit bei der Tafel, dass sie gebraucht würden und etwas wert seien. Die meisten von ihnen habe Danninger kennengelernt, sagt er und parkt den Wagen vor der nächsten Laderampe eines Supermarktes.

Zügig sortieren und befüllen er und Seelmann die Kisten mit Aufstrichen, Käse und Eiern, räumen sie in den Wagen und hinterlegen dem Supermarkt einen Beleg, dass sie die Lebensmittel abgeholt haben. Die Ladefläche des Transporters wird immer voller, einen freien Platz zu finden immer schwieriger. „Ich sagte ja: Tetris“, sagt Danninger. Weiter geht es zum nächsten Supermarkt.

Alles hat seine Ordnung: Günter Danninger (links) überprüft gespendete Eier, und Bodo Seelmann erledigt die Formalitäten.Alles hat seine Ordnung: Günter Danninger (links) überprüft gespendete Eier, und Bodo Seelmann erledigt die Formalitäten.Lucas Bäuml

Danninger und Seelmann fahren oft zusammen, dabei kabbeln sie sich manchmal wie ein altes Ehepaar: „Quatsch nicht so viel, schaff lieber was!“, sagt etwa Danninger zu Seelmann, während der mit einer Mitarbeiterin eines Supermarktes scherzt. „Ich brauche mehr Kisten!“, ruft Seelmann Danninger zu, während dieser Lebensmittel im Transporter sortiert und Kisten hin und her schiebt.

Manchmal ist der Ton auch ein wenig ruppiger, aber nie lang. Kurz darauf lachen die beiden wieder. Und wenn mal etwas schiefgeht, etwa als Seelmann beim Verladen eine Flasche Milch kaputtgeht, sagt Danninger zu ihm: „Mach dir keinen Kopf, das passiert eben.“

Frisches Fleisch: Günter Danninger, Ehrenamtlicher bei der Frankfurter Tafel, verlädt Würste, die er bei einem Metzger für die Tafel abholt.Frisches Fleisch: Günter Danninger, Ehrenamtlicher bei der Frankfurter Tafel, verlädt Würste, die er bei einem Metzger für die Tafel abholt.Lucas Bäuml

Nur noch zwei Abholstationen haben die beiden Rentner auf ihrer Tour vor sich, einen Metzger und einen Supermarkt. Beim Metzger geht es besonders schnell: Er gibt Danninger zwei Tüten mit frischer Wurst, die sie nicht sortieren müssen. Das seien nämlich keine abgelaufenen Lebensmittel, sondern welche mit Schönheitsfehlern und deshalb ungeeignet für den Verkauf, erklärt Tafel-Vorständin Birgit Pangritz.

Auch beim letzten Supermarkt der Tour geht es schnell: Er hat nicht viel Ware für die Tafel, einiges müssen die beiden Ehrenamtlichen wegwerfen. Aber viele Radieschen können sie mitnehmen. „Die gehen immer gut weg“, sagt Seelmann. „Die mag jeder.“

Tafel kann keine neuen Kunden annehmen

Knapp drei Stunden nachdem die beiden Rentner in Fechenheim aufgebrochen sind, fahren sie vor das Gemeindehaus Sankt Lioba im Frankfurter Stadtteil Bonames. Die Gemeinde stellt der Tafel das Gebäude für die Verteilung der Lebensmittel zur Verfügung.

Obwohl die Vergabe erst um 12 Uhr beginnt, warten um 10.45 Uhr schon Dutzende Menschen vor der Tür. Die meisten von ihnen haben Trollys mitgebracht, die sie in einer Reihe neben dem Eingang aufgestellt haben, um ihren Platz in der Warteschlange zu sichern.

In Reih und Glied: Die Kunden haben ihre Einkaufstrolleys als Warteschlange aufgestellt.In Reih und Glied: Die Kunden haben ihre Einkaufstrolleys als Warteschlange aufgestellt.Lucas Bäuml

Auch wenn die Tafel gern für alle Bedürftigen Lebensmittel ausgeben würde, kann sie das nicht. An der Glastür zum Gemeindehaus hängt ein großer Zettel mit der Aufschrift „Aufnahmestopp“. Sie kann keine neuen Kunden, wie der Verein die Bedürftigen auch nennt, annehmen. Das liege daran, dass es nicht genügend Lebensmittel zum Verteilen gebe und die Zahl der Bedürftigen gleichzeitig immer größer werde, sagt Vorstandsvorsitzender Häusler.

Früher war jeder, der einen Frankfurt-Pass hatte, berechtigt, von der Tafel Lebensmittel zu bekommen. Kürzlich hat die Stadt Frankfurt die Einkommensgrenzen für den Pass verändert, wodurch mehr Bürger den Pass beantragen dürfen. Bei Einpersonenhaushalten liegt die Grenze bei rund 1300 Euro.

Frischetheke: Bei der Ausgabestelle der Tafel in Bonames können die Kunden frisches Gemüse mitnehmen.Frischetheke: Bei der Ausgabestelle der Tafel in Bonames können die Kunden frisches Gemüse mitnehmen.Lucas Bäuml

Das sei zu viel Geld, sagt Pangritz. Deshalb habe die Tafel eine neue Regelung aufgestellt: Nun müssten die Kunden neben dem Frankfurt-Pass auch einen Einkommensnachweis erbringen. Liegt das Nettoeinkommen einer Einzelperson bei mehr als 1200 Euro im Monat, hat sie keinen Anspruch mehr auf die Hilfen der Tafel. Für Familien und Mehrpersonenhaushalte gelten andere Grenzen.

Der Tafel fehlen zuverlässige Ehrenamtliche

Außerdem gebe es auch nicht genügend Ehrenamtliche für die zeitintensive und körperlich anstrengende Arbeit bei der Tafel, sagt Vorstandsmitglied Peter Metz. Es brauche vor allem verlässliche Menschen, die regelmäßig helfen – solche wie Seelmann und Danninger. Manchmal, wenn bei der Ausgabe nicht genügend Helfer sind, packt Danninger nach seiner Tour dort auch noch mit an. „Das ist einfach ein schönes Gefühl, den Menschen zu helfen“, sagt er.

So geht es auch Traudel Mariani. Sie ist seit 16 Jahren bei der Frankfurter Tafel und leitet die Vergabestelle in Bonames. „Es macht einfach total viel Spaß“, sagt sie. „Selbst im Urlaub denke ich daran.“ Ähnliches sagen auch die anderen Helfer, die mit ihren blauen Schürzen durch den kleinen Raum wuseln, Kisten schleppen, Gemüse verräumen und vor allem viel miteinander scherzen. Schnell entsteht aus dem Gemeindehaus so etwas wie ein Minisupermarkt mit Milch- und Fleischprodukten am Eingang und Obst und Gemüse am Ausgang. Nur dass es eine Einlasskontrolle gibt und der „Einkauf“ einen symbolischen Euro kostet.

Gemütlicher Abschluss: Die Ehrenamtlichen Danninger und Seelmann sitzen nach ihrer Tour noch zusammen.Gemütlicher Abschluss: Die Ehrenamtlichen Danninger und Seelmann sitzen nach ihrer Tour noch zusammen.Lucas Bäuml

Alle zwei Wochen dürfen die Kunden kommen. Um „ihre“ Wochen direkt erkennen zu können, sind die Ausweise farblich markiert, entweder grün oder lila. Diese Woche ist Lila dran, 95 Menschen sind angemeldet. Ein Mann wartet schon seit einer Stunde vor dem Gemeindehaus. Aber das störe ihn nicht, sagt er. Das Wetter sei gut, und er könne sich ein bisschen unterhalten. Ein anderer Mann ist genervt. Er hätte lieber einen festen Zeitslot, damit er seinen Tag besser planen könne.

Als um 12 Uhr die Ausgabe beginnt, brummt es in dem Gemeindehaus wie in einem Bienenstock. Die Kunden kommen und gehen geordnet. Dieses Mal gibt es besonders viel Obst. Deshalb darf jeder Kunde eine Extraschale mitnehmen. Und wenn danach noch etwas übrig bleibe, dürften sich alle, die nicht registriert seien, etwas mit nach Hause nehmen, sagt Mariani.

Günter Danninger und Bodo Seelmann sitzen noch ein bisschen hinter der Ausgabe zusammen, plaudern und trinken Kaffee. Dann verabschiedet sich Seelmann. Bis nächste Woche, um viertel vor acht für die nächste Tour.