Wer die Dinge positiv wenden wollte, könnte sich auf den Standpunkt stellen, dass es zuletzt so etwas wie europäische Außenpolitik aus einem Guss gegeben hat. Fast zumindest. Der inhaltlich gut vorbereitete Washington-Trip von Bundeskanzler Friedrich Merz und den anderen sechs „Selenskyj-Bodyguards“ hat die Europäer zurück an den Verhandlungstisch gebracht. Sie reden wieder mit. Das ist wirklich eine gute Nachricht. Count your blessings, würden die Amerikaner sagen: Zählt zusammen, was euch (also der EU) Gutes widerfahren ist. Sehr viel mehr als das – ein kleines diplomatisches Zwischenhoch – ist es leider nicht.
Denn erstens: Putin lässt die Ukraine weiter bombardieren, als hätte es das Treffen mit Trump in Alaska nie gegeben. Das Sterben geht in unverminderter Brutalität weiter. Im Gegenteil: Der ukrainische Präsident, gezwungen zu reagieren, deutete am Freitag mehr Gegenangriffe an. Putin versteht nur Gewalt und wirtschaftlichen Druck. Ein kurzer Waffenstillstand? Gar ein Treffen Selenskyj Putin, auf Augenhöhe – der Kreml wird sich, solange es irgend geht, nicht darauf einlassen. Der seit dreieinhalb Jahren von Russland eskalierte Angriffskrieg bleibt weit von einem Frieden entfernt. Die EU hat nach wie vor nicht die Macht, diesen zu erzwingen. Und die Mittel, die sie hätte, nutzt sie nicht: Mehr und stärkere Waffen liefern, weniger statt mehr Flüssiggas aus Russland kaufen, die Schattenflotte konsequenter stoppen. Und: die russischen Zentralbank-Milliarden direkt der Ukraine zur Verfügung stellen.
Europäischer Willen und Befähigung zur Abschreckung ist nicht erkennbar
Zweitens: Vor allem diese eine unmissverständliche Ansage zu den Sicherheitsgarantien von US-Vizepräsident JD Vance klingt aus dieser Woche nach. Den Löwenanteil der Last müssten die Europäer übernehmen, denn: „Es ist ihr Kontinent, ihre Sicherheit.“ Wahre Worte. Wer dann allein die hiesige Debatte über die daraus resultierenden Konsequenzen beobachtet, wird in einer skeptischen Haltung schnell bestärkt. Was war nicht alles darüber zu hören und zu lesen, ob und falls ja, wie deutsche Truppen auf ukrainischem Boden zum Einsatz kommen könnten – oder eben besser doch nicht. Den vorläufigen Schlusspunkt setzte der Vorsitzende des Bundeswehrverbandes, Oberst André Wüstner, der betonte, dass Abschreckung nur funktioniere, wenn es „den Willen und die Befähigung zur Vergeltung“ gibt, wenn Putin nicht an einem Waffenstillstand festhält. In Deutschland, dem größten EU-Land, das die größte Verantwortung (auch im Selbstverständnis des Kanzlers) wahrnehmen müsste, wird Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius in den nächsten Tagen sein neues Wehrdienst-Konzept vorstellen. Es beruht in wesentlichen Teilen auf Freiwilligkeit. Eine abgestimmte europäische Strategie, die Willen und vor allem Befähigung zeigt, ist nicht erkennbar. Klar sind alle nur hier: Ohne die Amerikaner geht nichts.
Drittens: In welchem Schraubstock die EU feststeckt, machten nicht zuletzt die diese Woche erstmals öffentlich ausbuchstabierten Details zum sogenannten Zoll-Deal mit Trump deutlich. Brüssel verkauft diesen noch immer als Erfolg. Immerhin: Das Diktat hat keine schweizerischen Dimensionen angenommen. Aber am Ende hat das alte Europa einfach klein beigegeben, weil es militärisch auf die USA angewiesen ist und lange bleiben wird. Die EU, so stark sie längst sein könnte, hinkt dem Weltgeschehen weiter hinterher. Und zahlt weiter für die vier verschenkten Jahre, in denen man sich irgendwie zurechthoffte, Trump kehre nie zurück.
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Stefan Küpper
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