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Über drei Milliarden Euro jährlich streckt der deutsche Staat vor – und bekommt nur einen Bruchteil der Summe zurück. Ein Anwalt erklärt die Gründe.

Jedes Jahr zahlt der Staat Milliarden an Unterhaltsvorschuss – doch nur ein Bruchteil davon kommt zurück. 2022 gab der Staat rund 2,5 Milliarden Euro aus, 2023 knapp 2,7 Milliarden und im Jahr 2024 waren es sogar mehr als 3,2 Milliarden Euro. Unterhalt wird fällig, wenn die Eltern getrennt leben; dann zahlt der Elternteil Kindesunterhalt, bei dem das Kind nicht wohnt. Unterhaltsvorschuss wird gezahlt, wenn der unterhaltspflichtige Elternteil, in den meisten Fällen ist es der Vater, keinen oder nicht genügend Unterhalt zahlen kann oder will. Aktuellen Zahlen zufolge kommt Deutschland für rund 830.000 Kinder und Jugendliche auf. In der Regel soll dieses Geld zurückgeholt werden, das geschah 2024 jedoch nur in 17 Prozent der Fälle. Wieso ist die sogenannte Rückgriffsquote so gering?

Ein Sprecher des Bundesministeriums für Bildung, Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMBFSFJ) sagt BuzzFeed News Deutschland von Ippen.Media: „Unterhaltspflichtig ist nur, wer über eine ausreichende Leistungsfähigkeit verfügt.“ Der Hauptgrund für unvollständige Unterhaltszahlungen sei schlicht das fehlende Einkommen des Elternteils.

Der Rechtsanwalt Thorsten Frühmark bestätigt: „Die wirtschaftliche Situation spielt dabei eine große Rolle. Es gibt immer mehr, die es einfach nicht schaffen“. Frühmark, der seit 26 Jahren im Familienrecht tätig ist, beobachtet jedoch auch, dass die Zahlungsbereitschaft mit der Zeit weniger geworden ist: „Mittlerweile habe ich den Eindruck, dass viele – meistens die Väter – sagen: ‚Ich sehe es überhaupt nicht ein, Kindesunterhalt zu zahlen‘“, berichtet er BuzzFeed News Deutschland.

Unterhaltszahlungen: Viele Eltern wollen sich entziehen – und wenden Tricks anVater bringt Tochter zur SchuleEinige Männer lassen sich kündigen, um keinen Unterhalt zahlen zu müssen. (Symbolbild) © IMAGO / Dreamstime

Die Höhe des Unterhalts orientiert sich an der Düsseldorfer Tabelle. Ein Beispiel: Die Eltern sind getrennt, die zwei Kinder im Alter zwischen sechs und elf leben bei der Mutter. Aktuell müsste ein Vater, der zwischen 2.100 und 2.500 Euro netto verdient, für seine zwei Kinder rund 1.160 Euro monatlich zahlen. In der Tabelle gibt es verschiedene Abstufungen, „abhängig davon, wie viel Vater oder Mutter verdienen und wie alt das Kind ist“, sagt der Anwalt. Der Mindestunterhalt sei zumindest bei ein bis zwei Kindern ein „scharfes Schwert“, sagt der Experte. Im Ernstfall müssten laufende Kredite gekündigt oder teure Autos verkauft werden. Eltern können von Richtern auch aufgefordert werden, sich einen besser bezahlten Job zu suchen, Nebentätigkeiten aufzunehmen oder die Selbstständigkeit aufzugeben und sich anstellen zu lassen.

„Man muss schon halb tot sein, um bei ein, zwei Kindern diesen Unterhalt nicht heranzuholen“, sagt Frühmark. „Viele kommen zu mir und versuchen, aus der Pflicht des Kindesunterhalts herauszukommen oder weniger zahlen zu müssen.“ Allerdings sei es schwer, darum herumzukommen. Trotzdem gebe es Eltern, die Tricks anwenden. „Es gibt Männer, die sich entziehen, die sagen: ‚Ich zahle nicht, ich lasse mich kündigen, ich gehe in die Arbeitslosigkeit‘“. Eine andere Strategie: Sie würden keine Überstunden oder Nachtschichten mehr übernehmen. Doch Frühmark betont: „Richter sind nicht doof“.

Anwalt: Polizei, Justiz und Jugendämter sind überlastet

Umso mehr wundere es den Anwalt, wieso die Rückgriffsquote so gering sei. Das BMBFSFJ sagt dazu, dass Forderungsdurchsetzungen eine „aufwendige, langwierige Aufgabe“ seien: „Die in den Ländern für den Rückgriff zuständigen Stellen haben dabei in den letzten Jahren gute Fortschritte gemacht“. 2024 seien 544,5 Millionen Euro zurückgeholt worden. Frühmark schätzt: „Mit mehr Personal und Hartnäckigkeit könnte man mehr Geld reinholen.“

Zahle jemand absichtlich keinen Unterhalt, mache er sich damit strafbar. „Wenn einer jung und gesund ist, aber einfach keine Lust hat zu arbeiten, kann man Strafanzeige stellen“, sagt Frühmark. Aus seiner Beobachtung würden Jugendämter diesen Schritt jedoch häufig nicht gehen. „Polizei und Justiz sind völlig überlastet.“ Laut BMBFSFJ werden derzeit gemeinsam mit dem Justizministerium „Möglichkeiten zur Verbesserung der Unterhaltsdurchsetzung“ geprüft, um künftig mehr Geld zurückholen.