Um meine Gefühle beim Besuch des Restaurants Bundesbüdchen zu erklären, muss ich etwas ausholen. Ich hoffe, Sie sind geduldig mit mir, wenn ich mit Herbert Grönemeyer beginne.
Letzten Sommer führten nämlich glückliche Umstände dazu, dass ich sein Konzert besuchte. In meiner Jugend hörte ich „Männer“, „Bochum“ und „Alkohol“ rauf und runter, weil keiner dran vorbei kam. Zum Fan mutierte ich aber nie, jedenfalls nicht so, dass ich mir fast 40 Jahre später ein Ticket für die „Bochum Jubiläumstour“ gekauft hätte. Ich hätte einige der schönsten Stunden versäumt. Danke also, dass mir das Ticket in die Hände fiel.
Denn während an diesem Abend in Europa die EU-Wahlergebnisse ausgezählt wurden und sich Grönemeyer auf der Waldbühne verausgabte, war es auf einmal da, dieses wunderbare Gefühl von früher: Dass die Welt immer besser werden würde. Dass wir Menschen trotz aller Unterschiede doch die gleichen Werte teilen. Dass wir, wenn wir uns nur engagieren und genug kommunizieren, uns schon verstehen werden.
Sicherlich war es auch der Naivität meiner Jugend geschuldet: Nie hätte ich mir die Welt von heute vorstellen können. Dass gerade die Kommunikation uns auseinanderdriften lässt, dass gerade sie genutzt wird, um uns zu spalten.
Das Bundesbüdchen soll eine Hommage an den gleichnamigen westdeutschen Kultkiosk sein.Arash Farahani
Auf dem Grönemeyer-Konzert schienen wir im Publikum uns einig, dies nicht zuzulassen. Zumindest nicht an diesem Abend. Alle waren offen, älter und analog unterwegs – eine vor dem Smartphone aufgewachsene Generation, die die Blicke der anderen suchte und sich gegenseitig anlächelte. Das tat gut. Herbert auf der Bühne wetterte gegen die AfD, sang eine ironische Version von „Männer“, später die Zeile „der Mensch heißt Mensch, weil er irgendwann erkämpft und weil er hofft und liebt, weil er mitfühlt und vergibt“, und wir im Publikum jubelten.
Mir war klar, dass das gute, fast vergessene Gefühl an diesem Abend irgendwann enden würde. Es ging schneller als gedacht: Auf dem Heimweg zückte ich das Handy, googelte das Ergebnis der EU-Wahlen. Die AfD hatte in Deutschland fast 16 Prozent geholt.
Doch zurück blieb in mir die Sehnsucht, mich wieder wie zu Herbert Grönemeyers besten Zeiten zu fühlen. Insofern kann ich auch den Unternehmer und Gastronomen Jochen Thoss gut verstehen. Sein Traum war es, das Bundesbüdchen, einen Kultkiosk aus dem alten Bonner Regierungsviertel, originalgetreu nachzubauen und mitten in einem Restaurant in Berlin zu platzieren. Thoss ist offenbar Fan des legendären Kiosks, wie meine Kollegin Anne Vorbringer bereits beschrieb. Denn dort besorgte sich einst Konrad Adenauer seine Zeitungen, Helmut Kohl schwor auf die belegten Brötchen und Joschka Fischer deckte sich mit Comics ein. Sein neues Berliner Restaurant mit dem Namen Bundesbüdchen will Thoss daher als Hommage an diesen Kiosk verstehen.
Doch das alte, analoge Bonn mitten im heutigen digitalen Berlin-Mitte? Kann das funktionieren, so gern auch ich diese – zugegeben – westdeutsche Zeit manchmal heraufbeschwören würde? Eine Zeit, in der man weitgehend Zeitungen als Informationsquellen las, der News-Takt nicht 24/7 war? Politiker neben Journalisten und Bürgern am Kiosk schwatzten, keiner den anderen auf Social Media für den Algorithmus und mehr Follower hinhängte?
Stephanie Steinkopf
Unsere Kritikerin
Groß geworden ist Tina Hüttl in Bayern und mit den perfekten Dampfnudeln ihrer Oma. Essen ist schon immer ihr Lebensthema gewesen. Die Familie diskutierte beim Frühstück bereits das Mittagessen. Seit 2010 erkundet sie als Gastrokritikerin für ihre Kolumne in der Berliner Zeitung das kulinarische Berlin, seit 2018 ist sie Mitglied in der Jury „Berliner Meisterköche“. Neben ihrer Gastrokritik ist sie auch als Autorin, Radioreporterin, Podcasterin und Trainerin an Journalistenschulen aktiv.
Wie lächerlich das zumindest optisch wirkt, kann man in der Hannoverschen Straße sehen: Inmitten eines stilvoll eingerichteten Gastraums mit großformatiger Kunst an den mintfarbenen Wänden ist dieser grelle Kiosk-Fremdkörper platziert, ein Tresen-Oval mit an der Decke umlaufenden alten Reklame- und Zeitungsbannern. Statt Piccolöchen, Pommes und Süßigkeiten werden hier nun Riesling Sekt Brut vom Pfälzer Weingut von Buhl ausgeschenkt, ein Yuzu Sake mit Tonic zum Aperitif gemixt und Berliner Berg Pils gezapft. Direkt unter der Bildzeitungs-Werbung ist ein Glasfenster, doch dahinter keine Bockwürste und belegte Stullen. Nein, es ist der Dry Ager mit edlen Fleischstücken, die man fürs trockengereifte Roastbeef mit Schupfnudeln und Knochenmark auf der Karte braucht.
Ein Ufo ist gelandet: Das Kiosk-Oval ist in Berlin zum Tresen mutiert.Arash Farahani
Denn auch kulinarisch sind natürlich vollkommen andere Zeiten und Herausforderungen angebrochen. Das weiß auch Jochen Thoss, ein Software-Experte aus Oldenburg, der selbst leidenschaftlich kocht und mehrere Projekte in der Systemgastronomie betreibt.
In der Küche hat er sich für Johann Maier entschieden, einen Bayern, der 2015 Wien gegen Berlin tauschte, zunächst in der Cordobar und zuletzt im Oh Panama kochte. Dazwischen kam Maier viel rum. Im Bundesbüdchen hat er freie Hand und bedient sich munter aus seiner Biografie. Auf der Karte kann man Streifzüge durchs Alpenvorland mit Obazda und Schweinebraten bis hin zu Kaspressknödel vornehmen, sich über Allgäuer Spätzle und böhmisches Gulasch mit Knödeln freuen oder auch bis an Mittelmeer vorrücken – mit Lammrücken und Gnudi-Ricottabällchen sowie einer Rotbarbe in Krustentier-Bisque.
Bei einem Presseessen, später beim Inkognito-Besuch, aß ich mich einmal quer hindurch. Ein eindeutiges Urteil fällt mir nicht leicht. Der oft lieblos zusammengerührte Obazda etwa überzeugte hier als fluffig aufgeschlagene Süßrahm-Butter mit dezenter Camembert- und Rotschmierkäse-Note. Ich schmeckte neue Umami-Akzente in diesem durchgenudelten Gericht, die von einer Fermentation mit Buchweizen-Koji herrührten.
Auch das süß-sauer eingelegte Gemüse dazu war hervorragend. Ungewöhnlich waren die Käsespätzle im edlen Porzellanteller interpretiert – mit Kimchi und Apfelmus als Begleiter. Eine tolle Idee, allerdings erwies sich die Umsetzung als recht grob: Die Spätzlemasse war zu kompakt und mit zu viel vom Schweizer Halbhartkäse Vacherin verklebt. Beim zu dick geschnittenen Rettich und Kohl im Kimchi vermisste ich Säure, Schärfe und sogar Knoblauch wie in der koreanischen Version, um das Apfelmus zu kontrastieren.
Hätte Helmut Kohl vielleicht auch bestellt: Kaspressknödel mit Kräutersalat und Kürbiskernöl.ARASH FARAHANI
Einige andere Gerichte dagegen waren einfach wie gute Hausmannskost aus meiner Kindheit zubereitet, ohne Twist: Das saftige Gulasch etwa, das aus mit vielen Zwiebeln geschmortem Fleisch von der Rinderwade bestand, das sämig zerfiel und mit viel Kümmel und edelsüßem Paprika gewürzt war. Die böhmischen Knödel dazu erwiesen sich als ebenso feinporig und gut wie die meiner Oma, die sie aus feinst geriebenen alten Brötchen mit Hefe machte.
Ich probierte auch den Kaspressknödel, für den die Küche die Reste des sehr guten Sauerteigbrots verwendet, das hier selbst gebacken wird. Er schmeckte mehr nach Semmelknödel, die rassigen Grau- oder Bergkäsenoten vom Tiroler Original fehlten leider komplett. In der Kombination mit einem säuerlichen Linsenragout, Wildkräutern und Pfifferlingen spielte er in der Liga eines guten Mittagstischs. Ganz anders dagegen die klare Oxtail-Suppe mit Langostino-Maultasche oder das Lamm auf einem Beet aus Pinienkernen, Speck, Zeste und Anchovis. Vor allem der jeweils reintönige Jus bewies beste Technik und Fine-Dining-Niveau.
Auch wenn im Bundesbüdchen nichts so richtig zusammenpasst: Das alte Bonn im neuen Berlin, die original Kiosk-Zitate und die bayerisch-böhmische Mittelmeerküche, die sich zwischen solidem Handwerk eines Mittagstischs und Fine-Dining bewegt. Ich bleibe dabei: Mich berührt die Sehnsucht von Jochen Thoss, etwas von der alten Zeit in die neue herüberzuretten. Johann Maier wünscht sich übrigens, dass Robert Habeck einmal hier vorbeikommt, verriet er meiner Kollegin. Auch ich hätte einen Wunsch: Wie wäre es mit einem Handyverbot im Restaurant – und stattdessen ein paar Zeitungen im Abo? Vielleicht wird das Bundesbüdchen dann wieder zum informellen Hotspot, wo keiner den anderen fürchten muss. Und wer weiß? Dann schaut eventuell auch Habeck mal vorbei.
Preisangaben: Vorspeisen 6–21 Euro, Klassiker 22–24 Euro, Hauptgänge 22–46 Euro, Extras 6–9 Euro, Desserts 8 Euro, 3-Gang-Menü 54 Euro, 4-Gang-Menü 68 Euro