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Armutskonferenz-Präsidentin Barbara Höckmann deckt Falschaussagen über Bürgergeld auf. Nur 16.000 echte Totalverweigerer, nicht sechsstellige Zahlen.

Berlin – Das Bürgergeld in seiner aktuellen Form sorgt bereits seit Längerem für hitzige Diskussionen in der deutschen Politik. Barbara Höckmann, Präsidentin der Landesarmutskonferenz Sachsen-Anhalt, wirft Kritikern vor, bewusst falsche Zahlen zu verbreiten und damit gegen Bürgergeldempfänger zu hetzen. „Da werden Lügen verbreitet und die, die sie verbreiten, wissen, dass es Lügen sind“, sagte Höckmann im Interview mit MDR Sachsen-Anhalt.

Die Behauptung, Menschen würden sich in der „sozialen Hängematte“ ausruhen, weil das Bürgergeld zu hoch sei, widerlegt sie mit konkreten Zahlen aus Halle: Ein Alleinstehender habe mit Mindestlohn 595 Euro mehr als ein Bürgergeldbezieher, eine Alleinerziehende mit einem fünfjährigen Kind sogar 773 Euro mehr. Diese Einschätzung bestätigt eine aktuelle Studie der Hans-Böckler-Stiftung, die zeigt, dass Vollzeitbeschäftigte mit Mindestlohn deutlich mehr Geld zur Verfügung haben als Bürgergeld-Bezieher – und zwar in allen deutschen Regionen.

Wo macht Merz Urlaub? So verbringen der Kanzler und seine Minister ihre FerienAuch Kanzler und Minister brauchen mal Urlaub. Aber wo geht es hin? Das erfahren Sie in unserer Fotostrecke zu den Reiseplänen der Politiker.Fotostrecke ansehenTotalverweigerer unter den Bürgergeld-Empfängern: Nur 16.000 statt sechsstelliger Zahlen

Besonders scharf kritisiert Höckmann die Aussagen von CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann, der von sechsstelligen Zahlen bei den sogenannten Totalverweigerern spricht. „Das ist alles gelogen“, betont die Sozialexpertin im MDR-Interview. Tatsächlich gebe es nur 16.000 echte Totalverweigerer unter den 5,5 Millionen Bürgergeld-Empfängern. Laut Höckmann sind derzeit nur 1,7 Millionen der Bürgergeld-Empfänger überhaupt dem Arbeitsmarkt verfügbar.

Weitere 1,8 Millionen sind Kinder, und 2,1 Millionen können nicht sofort in Arbeit vermittelt werden, da sie Angehörige pflegen, in Weiterbildung sind oder gesundheitliche Probleme haben. Aus ihrer 25-jährigen Erfahrung in der Sozialberatung weiß Höckmann: „Bei den Totalverweigerern gibt es viele Leute, die sind psychisch überfordert und machen Briefe nicht auf, weil sie Angst vor dem Amt haben.“ Diese Menschen zu bestrafen, hält sie für „Schwachsinn“. Die wirklich cleveren Verweigerer „kriegt man sowieso nicht“, da sie immer neue Schlupflöcher finden.

Höckmanns Position stützt sich auf eine Analyse der Landesbank Baden-Württemberg (LBBW) zum Bürgergeld, die Anfang 2025 veröffentlicht wurde. Deutschland leistet sich einen starken Sozialstaat – und das kostet. Trotzdem bleibt das gesamte Sozialbudget trotz alternder Bevölkerung und schwächerer Konjunktur laut LBBW weitgehend stabil. Das Bürgergeld spielt dabei – ähnlich wie zuvor Hartz IV – nur eine vergleichsweise kleine und sogar schrumpfende Rolle: Sein Anteil an den Sozialausgaben sank von 5,8 Prozent im Jahr 2010 auf 4,1 Prozent im Jahr 2023. Den größten Kostenblock bilden Gesundheit, Rente und Pflege. Während die Ausgaben für die frühere „Grundsicherung für Arbeitssuchende“ 2010 noch 1,8 Prozent des BIP ausmachten, waren es 2023 „nur“ noch 1,3 Prozent – rund 54 Milliarden Euro.

Geldscheine und Münzen mit Schriftzug ArmutskonferenzDie Präsidentin der Armutskonferenz, Barbara Höckmann, fordert eine sachlichere Debatte, die auf Fakten statt auf Vorurteilen basiert. Nur so könne eine konstruktive Sozialpolitik entwickelt werden. © Steinach / IMAGOBürgergeld-Kosten bleiben überschaubar: Luxus-Vorwürfe sind unbegründet

Eine Anfrage der AfD-Fraktion an die Bundesregierung hat im Juli dieses Jahres ein klareres Bild der Bürgergeld-Ausgaben 2024 aufgezeigt. Laut Bundesregierung flossen allein im Januar 2024 rund 3,9 Milliarden Euro an Leistungen, davon etwa 1,5 Milliarden für Unterkunft und Heizung – im Schnitt 505 Euro pro Bedarfsgemeinschaft. Hinzu kamen weitere Heizkosten von durchschnittlich 140 Euro sowie Betriebskosten und einmalige Zuschüsse, etwa für Kautionen. Auch die Verwaltungskosten steigen: 2023 lagen sie bei 6,3 Milliarden Euro, fast doppelt so hoch wie 2010. Insgesamt belief sich der durchschnittliche Anspruch pro Bedarfsgemeinschaft Anfang 2024 auf 1.345 Euro – gestützt durch die Erhöhung der Regelsätze und gestiegene Energie- und Mietkosten.

CDU-Kanzler Friedrich Merz hatte behauptet, es würden bis zu 20 Euro pro Quadratmeter gezahlt. Diese Kritik an den Wohnkosten weist Höckmann entschieden zurück. Tatsächlich stehen Bürgergeld-Empfängern in Sachsen-Anhalt nur 50 Quadratmeter für eine Person zu, da es kleinere Wohnungen oft nicht gibt. Für diese Preise seien meist nur unsanierte Wohnungen in Problemvierteln verfügbar. „Das sind auch so Märchen, die da erzählt werden, wie luxuriös Leute leben. Das ist aus meiner Sicht alles Schwachsinn“, so Höckmann wörtlich gegenüber dem MDR. Die Armutskonferenz-Präsidentin sieht in der aktuellen Debatte einen Versuch, „bei Bürgergeldbeziehern und Geflüchteten zu sparen, um das Geld woanders einsetzen zu können“. Diese Form der Sozialstaatsdiskussion gehe „in die völlig falsche Richtung“. (ls)