Transkaspischer Transportkorridor. Quelle: middlecorridor.com / Karte: TP
Aserbaidschan und Usbekistan wagen einen Befreiungsschlag: Sie wenden sich der EU zu und riskieren damit Konflikte mit Russland.
Unter der Überschrift „Warum gibt der Bezwinger der Zwerge Ratschläge zum Besiegen von Riesen“ nahmen russische Medien sich den aserbaidschanischen Präsidenten Ilham Alijew vor. Dieser hatte es tatsächlich gewagt, Russland offen zu kritisieren und der Ukraine zu raten, die Besetzung ihrer Gebiete nicht hinzunehmen.
Aus Usbekistan kam jetzt Beifall für Alijews außenpolitischen Kurs, was in Russland auf wenig Gegenliebe stößt.
Der usbekische Präsident Schawkat Mirsijojew kündigte auf einem Spitzentreffen von Usbekistan, Aserbaidschan und Europa am 18. August in Taschkent Pläne zur Unterzeichnung eines Abkommens mit der Europäischen Union zur verstärkten Partnerschaft und Zusammenarbeit an.
Aserbaidschan als strategische Brücke
Es wurde ein historischer Beschluss gefasst, eine strategische Partnerschaft zwischen unserer Region und den EU-Ländern aufzubauen. In den kommenden Monaten beabsichtigen wir, ein Abkommen zur verstärkten Zusammenarbeit mit der Europäischen Union abzuschließen
Schawkat Mirsijojew
Dazu stellte Mirsijojew heraus, dass Aserbaidschan als strategische Brücke für Zentralasien und Europa diene. Ebenso würdigte er Alijews Bemühungen, zur Entwicklung neuer regionaler Prozesse beizutragen und die Interaktion zwischen dem Südkaukasus und Zentralasien zu stärken, und gratulierte Aserbaidschan zur trilateralen gemeinsamen Erklärung mit Armenien und den USA.
Kritik aus Russland
In Russland stieß das Lob an Alijew und Aserbaidschans Westorientierung auf Kritik. „Für die westliche Welt sind solche Republiken zweitklassige Konsumenten. Sie werden benutzt, um Produkte zu fördern, die in Europa heute nicht gefragt sind“, sagte der Duma-Abgeordnete Wiktor Wodolatski.
Er betonte, dass der Wunsch nach der EU auf den persönlichen Vorteil der Führung des Landes zurückzuführen sei und mit dem Verzicht auf nationale Souveränität einhergehe. Der Verzicht auf nationale Souveränität ist womöglich genau das, was Usbekistan umgekehrt von Russland mit Blick auf die Ukraine befürchtet. Seit dem Krieg in der Ukraine verdoppelten sich die Exporte der EU nach Usbekistan im Vergleich zum Vorkriegsjahr 2021 auf knapp 4 Milliarden Euro.
Usbekistan bereit zur Wende
Durch die Trump-Route für internationalen Frieden und Partnerschaft, kurz TRIP, oder den Sangesur-Korridor sieht sich Usbekistan offenbar bestärkt, sich wie Armenien und Aserbaidschan der EU weiter zuzuwenden und mehr als nur ein Transitland für westliche Güter zur Sanktionsumgehung für Russland zu sein. Bereits im April 2024 schlossen Usbekistan und die EU ein Abkommen zu einer strategischen Partnerschaft für kritische Rohstoffe.
Eine neue Orientierung soll helfen, sich wie Aserbaidschan gegen die russische Übermacht zu behaupten. Weil Baku die Ukraine unterstützt und russische Streitkräfte aserbaidschanische Brennstoffanlagen auf ukrainischem Territorium angreifen, sind Beziehungen zwischen den beiden Ländern angespannt.
Erste Gaslieferungen aus Aserbaidschan sind in der Ukraine über die Transbalkan-Gasleitung aus dem Süden eingetroffen, was Russland zu militärischen Schlägen veranlasste.
Front gegen Russland
Im Juli hatten russische Medien berichtet, dass Präsident Alijew in den vergangenen Tagen besonders aktiv an der antirussischen Front gewesen sei. Auf dem internationalen Shushi-Medienforum am 19. Juli antwortete Alijew auf eine Frage des ukrainischen Journalisten Dmitri Gordon: „Stimmen Sie niemals einer Besetzung zu. Das ist der wichtigste Rat.“
Mit diesem Ratschlag und einem Vergleich zum Konflikt von Bergkarabach würde Alijew seine Zukunft riskieren. Erfolge der Türkei in Syrien, die Schwächung des Iran durch die Bemühungen Israels und der USA sowie die vollständige Neutralisierung Armeniens als Verbündeter Russlands und damit die Schwächung der russischen Position hätten dem Abscheron-Politiker Vertrauen in die eigene Stärke gegeben.
Durchbruch für Global Gateway
Für Russland nahezu überraschend folgte am 9. August in Washington die gemeinsame Erklärung von Armenien, Aserbaidschan und den USA zu Frieden und TRIP, die Aserbaidschan über Armenien einen direkteren Zugang zur Türkei und nach Europa verschaffen soll. In Telefonaten gratulierten die Türkei und EU, aber auch sämtliche Kaukasus-Staaten der ehemaligen Sowjetunion zum historischen Durchbruch.
Das öffnet zugleich die Perspektive für die Zusammenarbeit an Europas Global Gateway Strategie. Regierungschefs zentralasiatischer und europäischer Staaten hatten auf ihrem ersten Zentralasien-EU-Gipfel im April in Usbekistan beschlossen, hier eine strategische Partnerschaft aufzubauen.
Im Zentrum steht ein zwölf Milliarden Euro schweres Investitionspaket zum Ausbau des Transkaspischen Transportkorridors, der auch als Mittlerer Korridor firmiert.
Ausgleich durch Anschluss
Mit über 4.250 Kilometern Eisenbahnstrecken und 500 Kilometern Seeverbindungen von China über das Kaspische Meer in die Türkei und über das Schwarze Meer bis nach Deutschland und in die Ukraine umgeht der Korridor sowohl Russland als auch Weißrussland und bietet eine alternative Handelsroute. Ein Blick auf die derzeitige Karte zeigt, dass der Mittlere Korridor Turkmenistan, Usbekistan und Armenien bislang nicht einschließt.
Diese Länder sind an einem Anschluss interessiert, da diese Verkehrsader sie aus ihrem Schattendasein in der russischen Einflusssphäre herausführt. Ebenso findet eine einseitige Verbindung zu China, so etwa für Turkmenistan oder Kasachstan, im Anschluss an Europa Ausgleich.